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Eigentlich unübersetzbar

Als Lajos Parti Nagy vor vier Jahren mit einem Stipendium in Berlin lebte, wurde er bei Lesungen stets als ungarischer Lyriker, Prosaist, Dramatiker und Feuilletonist mit großem sprachlichem Witz und Erfindungsreichtum vorgestellt – und als die Zuhörer die Werke dieses großartigen Künstlers endlich kennen lernen wollten, hieß es süffisant: Aus eben diesen Gründen sei Nagy, ein etwas untersetzter Mann mit einem kantigem Gesicht unter strubbeligem Haupthaar, unübersetzbar.

Beitrag von Jörg Plath | 30.05.2005
    Eigentlich jedenfalls. Dennoch las der 1953 geborene Autor dann einige wenige Gedichte, und deren Übertragungen, so vorläufig sie auch sein mochten, machten außerordentlich neugierig. Doch es blieb bei Kostproben.

    Nun ist Lajos Parti Nagy endlich auf Deutsch zu lesen, mit einem Roman, der dank der blendenden Übertragung von Terézia Mora Nagys eminente Fähigkeiten nicht nur erahnen lässt. Der Roman ist ein Stück aus dem Tollhaus des politischen Fanatismus, er bietet brillante Rollenprosa eines Größenwahnsinnigen zwischen Stammtisch und Weltherrschaft und entpuppt sich am Ende als ein Experiment aus dem Labor der Postmoderne. Alle drei Aspekte tragen auf ihre Weise zu einer atemlosen Lektüre bei, bei dem bei dem einem das Lachen regelmäßig im Hals stecken bleibt. Spannender und beängstigender ist noch nie vom Siegeszug einer faschistischen Bewegung erzählt worden. Freilich gibt es auch wenige Bücher, in denen die wichtigsten Protagonisten Tauben sind, die sich über alle Maßen aufplustern.
    Tauben? Warum denn ausgerechnet Tauben, Herr Nagy?

    "Zum einen, weil sie speziell genug und weit genug entfernt sind von Säugetieren, andererseits sehr in unserer Nähe leben, und natürlich auch deswegen, weil sie auf der einen Seite ein Symbol für den Frieden sind und auf der anderen sehr, sehr blutrünstig. Aber ich könnte auch sagen, dass es um des Beispiels willen einer Kreatur bedurfte, die so halb unterdrückt ist, eine Paria-Kreatur, die halb Haustier ist. Aber in dem Roman geht es ja sowieso nicht um die Tauben."

    Nein, in "Meines Helden Platz" geht es um Macht. Trotz der Tauben lässt der Roman Gedanken an Possierliches aus dem Reich der Fauna, das schon George Orwells antikommunistische Fabel "Animal farm" hat beschaulich wirken lassen, gar nicht erst aufkommen. Die Vögel versetzen die ganze Stadt in Angst und Schrecken. Täuberich Tubitza, dessen "Adlerboys" seine menschlichen Nachbarn terrorisieren, ist der skrupellose Naturwissenschaftler der Bewegung "Erwachende Tauben". Er sucht nach einem Mittel, Tauben zu ansehnlicher Größe heranwachsen zu lassen, und transplantiert voller Lust und ohne Rücksicht auf den meist letalen Ausgang Taubenflügel auf "Säugeaffen" aller Art, darunter auch Menschen. Vor allem aber bramabasiert Tubitza in einem fort, und wenn ein Taubenball bevorsteht, dann soll sein menschlicher Adlatus, der Ich-Erzähler, verdammt noch mal eine Tischrede für ihn produzieren, dass die Federn nur so fliegen.

    "Er spazierte auf und ab, schlug gegen seine Knieschützer, er war enthusiastisch und beseelt. Die Adlerboys trugen ihm routiniert den Schreibtisch hinterher. Nun, er möchte so was in der Art wie, was ist eine Taube, Federbrüder, und so weiter, und dass wir mit dem Sektglas in der Hand auf der Wacht stehen, ich wisse schon, was er meine, es würde auch langsam Zeit, das ich es lernte. Also die Annahme soll sein, was ist die Taube, welche durch die Jahrtausende der Unterdrückung gestählt, mitten hinein in deren Fresse, aber natürlich schön kultiviert, schließlich ist es ein Ball.
    Federbrüder, wiederholte er theatralisch und trat vor den Spiegel. Neuerdings übt er vor dem Spiegel, das war mein Vorschlag. Erst ist er wütend geworden, er sei weder eine Tunte noch ein Kanarienvogel, aber dann hat es angefangen, ihm zu gefallen. Wenn er ihn zerbricht, lässt er einen neuen bringen. Sehr geehrte Rassengenossen und –genossinnen, brüllte er, ein Paloma-Ball ist eine gute Gelegenheit, unsere blutgetränkte Rassengemeinschaft auch von der fröhlichen Seite her zusammenzuschweißen im Schmelztiegel der Aufgaben, die vor unserer erwachenden Taubennation stehen, das ist eine faktische Tatsache, was jeder sieht, der keine Tomaten auf den Augen hat. Denn nur ein Blinder sieht nicht, dass die Wiege unserer Zukunft ein Schmelztiegel für uns ist, an dem man nicht wortlos vorbeigehen kann, es sei denn, man ist blind, vielleicht ist das ein bisschen zuviel Blindheit, sagte er und sah mich an, aber dafür sei ich ja da."

    " Es geht darum, dass die Sprache den zur Macht strebenden Menschen enttarnt, demaskiert. Der in seiner eigenen Unsicherheit immer etwas Größeres sagen will, als was, ja, bei seinem Mund herauspasst. Dadurch wird jeder seine Sätze falsch, dilettantisch, irgendwie gesprungen. Der Roman handelt von dieser Sprache. Und was das anbelangt, darin gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Diktaturen. Und auch geschichtlich haben sich diese Diktaturen soweit berührt, dass sie das Heilsbringervokabular gegenseitig übernommen haben."

    Ungarn hat beides erlebt: erst die faschistische Pfeilkreuzler, auf die Nagys Roman mit "Krallenkreuzlern" anspielt, dann den Sozialismus. Der im Jahr 1999 spielende Roman zieht die Summe aus den Diktaturen des zu Ende gehenden Jahrhunderts. Seine Kunstsprache verleiht, wenn die Tauben frenetisch mit "Reiner Weizen" grüßen oder sich der Bewunderung für "greifsche Höhen" hingeben, dem durch Historisierung und politische Reflexe gemilderten Schrecken neuen, bösen Glanz. Nagy ist auch ein politisch denkender Mensch.

    "Kurz gesagt, mich hat an dieser ganzen Geschichte diese Faszination von Macht interessiert, also dass sich jemand so auf die Macht kapriziert, die Machterlangung. So wie die Unsicherheit und die Feigheit in der Machtübernahme die einzige Möglichkeit sieht, auszubrechen und sich zu behaupten. Ich glaube, dass es hier um reale Ängste geht, die in ganz Europa dieselben Ängste sind. Aber nicht um reale Möglichkeiten. Es ist nicht zu leugnen, dass zum Ende der 90er Jahre in Ungarn wie auch in anderen Länder der rechtsgerichtete Populismus sehr laut geworden ist. Ich könnte es auch so sagen, dass dieser ewige Populismus auch in Ungarn wie auch in anderen Ländern wieder in den Vordergrund getreten ist. Man könnte an dieser Stelle ein Zitat aus dem Faust bringen: Das ewig Taubliche zieht uns hinab."

    Gleich zwei Erzähler führen uns hinab. Der erste, ein Schriftsteller, erzählt, wie er vor den Drohungen seines Nachbarn Tubitza in eine andere Wohnung flieht. Überraschenderweise erhält er in seinem Versteck bald Emails von einer Figur aus einer seiner Erzählungen, die ihm äußerlich gleicht. Dieser Mensch berichtet in den heimlich abgesandten Emails des zweiten Romanteils, dass er in den Händen von Tubitza sei, der ihm Flügel transplantiert habe. Der Gefangene findet allmählich Gefallen am Vertrauen des Mächtigen, bis er den Emailverkehr schließlich abbricht. Im dritten Teil des Romans erblickt der erste Erzähler starr vor Angst seinen geflügelten Doppelgänger im Fernsehen bei einer Taubengroßkundgebung auf dem Heldenplatz. Er stellt die Romanteile mit allen Emails hastig zusammen, schickt sie an einen unbekannten Empfänger ab und erwartet die Taubenhäscher.

    Das Gehirn des ersten Erzählers ist der Ort, der mit dem Titel "Meines Helden Platz" auch gemeint ist. Denn möglicherweise ist der faszinierende Roman, der die alte Autorenphantasie der lebendig werdenden Fiktion mit der Bewusstseinsspaltung aus Furcht kombiniert, nur ein beklemmender Kassiber aus einem geschlossenen Wahnuniversum. Möglicherweise aber auch nicht... Die Parabel ist zu Ende, die Beunruhigung bleibt. Kann man sich Schöneres wünsch