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Ein Abend zwischen Gräbern
Kulturveranstaltungen sollen Friedhöfe zum Leben erwecken

Sie sind Orte stillen Gedenkens und zugleich Zeugnisse der Kultur-, Alltags- und Religionsgeschichte: historische Friedhöfe in Deutschland. Sie führen aber ein Schattendasein. Das soll sich ändern. In Berlin versuchen engagierte Theologen, Landschaftsarchitekten oder Künstler, diese Friedhöfe wiederzubeleben.

Von Matthias Bertsch | 16.09.2015
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    In der restaurierten Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte gibt es seit Anfang Juli 2015 eine Lichtinstallation von James Turrell (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    "Sie gestatten: Grimm mein Name, Wilhelm Grimm, Professor Wilhelm Grimm von der Berliner Universität."
    Gerhard Moses Hess steht am Eingang des St. Matthäus Friedhofs in Berlin Schöneberg, um ihn herum eine Traube von Menschen. Der Theaterpädagoge bietet regelmäßig Führungen über den Friedhof an, für die er in verschiedene Rollen schlüpft – zum Beispiel in die von Wilhelm Grimm
    "Ich freue mich sehr, dass Sie so zahlreich heute zu meinem Geburtstag gekommen sind."
    Wilhelm Grimm, der zusammen mit seinem Bruder Jacob hier begraben liegt. Ihre Kinder- und Hausmärchen sind noch heute ein Klassiker der Kinderbuchliteratur.
    "Es gibt Leute, die wollen unser Märchenbuch am liebsten zur Bibel machen, man darf da nichts dran ändern. Wo immer wir hinkamen, gab es verschiedene Fassungen dieser Märchen, jeder hat sie anders erzählt, an jedem Ort, in jedem Landstrich eine andere Variante."
    Hess erzählt den Besuchern auf seiner Führung aber nicht nur Grimmsche Märchen sondern auch die Geschichte des Friedhofs, von seiner Gründung vor 160 Jahren bis zur Eröffnung des Cafés 2006.
    Friedhofscafé "Finovo"
    "Zu meiner Zeit war das unvorstellbar, ein Café auf dem Friedhof, nein, das ist pietätlos. Aber ich muss Ihnen sagen, ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Im Gegenteil, ich finde es mittlerweile schön, wenn ich die Leute dort in der Sonne sitzen sehe, und sie waren erst noch traurig und haben ihre Angehörigen besucht, und dann sitzen sie da, trinken ihren Kakao und ihren Kaffee und essen ihren Kuchen und es geht ihnen besser. Sie kommen miteinander ins Gespräch."
    Wenn Hess alias Grimm vom Stolz auf "seinen Friedhof" spricht, dann vermischen sich Rolle und Realität. Der 72-Jährige kann sich noch gut an andere Zeiten erinnern:
    "Ich hab n Freund gehabt, der ist an AIDS gestorben, das ist 20 Jahre her, mit dem ich zusammen in einer WG wohnte. Und ich hab dieses Grab von ihm gepflegt. Dadurch war ich sehr viel auf dem Friedhof und hab gesehen, dass es ganz traurig ist da. Da ist eben kein Blumenladen mehr, ich musste dann schließlich immer die Blumen von weit her mitbringen. Es gab keine Möglichkeit, sich bei der Trauerfeier aufzuwärmen. Dann hab ich gesehen, dass der Friedhof sich plötzlich verändert hat. Und dieser Förderverein hat ein Eröffnungsfest gemacht und da war Kultur auf dem Friedhof."
    Vor der Kultur allerdings war das Friedhofscafé "Finovo" – "Fin" für Ende und "Novo" für Neubeginn.
    "Ein Café – auf dem Friedhof!"
    "Finovo" – der Name ist Programm. Wer draußen die Toten besucht hat, kann sich hier wieder dem Leben zuwenden. Das gilt auch für die Teilnehme der Friedhofsführungen.
    "Ich stell mal eben unser Kuchenangebot vor, was heute da ist. Das ist ein Schokokuchen, Apfelstreusel, Stachelbeer-Krokant, Tränchenkuchen, das ist ein Käsekuchen mit Orangen-Mandarinen, Haselnusskuchen und Nougattorte."
    Bernd Boßmann hat das Café vor fast zehn Jahren ins Leben gerufen. Auch für ihn war der Tod eines guten Freundes der Auslöser, sich auf dem Friedhof zu engagieren. Nach dem Besuch am Grab einen Kaffee trinken zu können, das war die Ursprungsidee.
    "Das hat sich dann entwickelt, es hat sich dann rausgestellt, dass viel, viel mehr Bedarf da ist, nämlich tief greifende Gespräche, um alles, was auf dem Friedhof auch passiert. Zum größten Teil natürlich im Bereich Trauer und Begleitung, Zuhören, ganz menschlich zuhören können."
    Grabsteine erzählen lassen
    Und so wird heute auf dem St. Matthäus-Friedhof weit mehr angeboten als nur das erste Friedhofscafé der Republik. Boßmann nennt das kulturelle Kommunikation.
    "In der Kapelle sind öfter irgendwelche Konzerte. Lesungen sind hier im Haus, öfter aber auch in Mausoleen. Dann haben wir auch Ausstellungen von Künstlern, verschiedenste Skulpturen und Kunstprojekte, die natürlich auch immer den thematischen Bezug zum Friedhof oder zu der Thematik Tod, Sterben, Trauer und dergleichen haben. Das ist eigentlich über das ganze Jahr."
    Während der St. Matthäus-Friedhof das ganze Jahr über als Kulturort genutzt wird, beschränkt sich das Projekt "Kulturkapellen" auf die Monate April bis Oktober. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe stehen Konzerte auf verschiedenen Berliner Friedhöfen: meist in einer Friedhofskapelle, manchmal auch draußen.
    "Das ist natürlich ein gewisser Reiz, abends um sieben oder acht, wenn es schon anfängt dunkel zu werden, auf den Friedhof zu gehen oder ein Konzert sich anzuhören. Und dann um neun wieder rauszukommen aus der Kapelle und dann auf dem dunklen Friedhof zu stehen, der dann vielleicht nur mit ein paar Fackeln oder mit ein paar schütteren Leuchten beleuchtet ist. Da noch einen Drink zu nehmen und sich dann vielleicht noch etwas über so ein paar Grabsteine, die man da im Dunkeln durchschimmern sieht, erzählen zu lassen. So der gewisse Reiz ist da. Und deshalb kommen die Leute."
    Die Lebenden wieder auf die Friedhöfe holen
    Martin Ernerth engagiert sich in der Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg. Der Landschaftsarchitekt kümmert sich seit 20 Jahren um Friedhöfe und hat sich immer wieder gewundert, warum die historisch wie architektonisch und kunstgeschichtlich reizvollen Orte oft so verwaist sind. Um das zu ändern, hat Ernerth mit anderen vor ein paar Jahren einen Verein gegründet. Der Verein will die Friedhöfe nicht musealisieren, sondern mit Leben füllen.
    "Es geht schon darum, die Lebenden auch wieder auf die Friedhöfe zu holen beziehungsweise die Friedhöfe als Teil unserer Stadt wieder ein bisschen normaler zu präsentieren, wieder normaler in die Gesellschaft hereinzubringen. Der Ansatz ist schon der über kulturelle Veranstaltungen die Menschen zu erreichen."
    "Wir machen nicht nur Konzerte oder nur Filmvorführungen oder nicht nur mal eine Lesung in der Kapelle. Sondern es geht schon auch darum – ich nenn es mal: Ein Abend auf dem Friedhof oder so was zu etablieren. Wir haben auch immer eine kleine Bar dabei, Sie können nachmittags einen Kaffee trinken, Sie können abends ein Weinchen trinken oder vielleicht sogar mal eine Suppe essen in der Konzertpause. Und es geht darum, auch Informationen über den Friedhof rüberzubringen, das heißt eine Führung zu machen oder halt auch Fragen dazu zu beantworten."
    Fragen danach, wie die Gesellschaft eigentlich mit dem Tod und den Toten umgeht. Berlin besitzt über 200 Friedhöfe, von denen knapp die Hälfte wegen ihrer historischen Substanz unter Denkmalschutz steht, doch die Gesellschaft scheint an diesem kulturellen Erbe wenig interessiert.
    "Die meisten Berliner rennen immer um diese Friedhöfe drum rum , stecken aber nie die Nase mal so richtig rein. Und es geht darum, diese dazu zu kriegen, dass sie auch mal reingucken, sich mal damit auseinandersetzen um im nächsten oder übernächsten Schritt sich auch mal wieder mit der eigenen Vergänglichkeit vielleicht auseinanderzusetzen und dadurch diese Standorte wieder zu fördern. Das ist etwas, was nicht nur hier in Berlin passiert, das passiert in anderen deutschen Städten, das passiert in ganz Europa. Also unsere Stiftung ist seit acht Jahren oder so Mitglied in der ASCE, in der Association of Significant Cemeteries of Europe, der Internationalen Vereinigung historischer Friedhöfe in Europa. Dort sind genau, auf vielen anderen europäischen Standorten, sind genau diese Fragestellungen oder Herangehensweisen auch jetzt so nach und nach zu beobachten."
    Zwischen Billigbestattung und Grabpatenschaft
    Auch Jürgen Quandt beschäftigt sich seit langem mit diesen Fragen. Der Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte beobachtet zwei gegenläufige Tendenzen im Umgang mit Friedhöfen in Deutschland und Europa.
    "Das eine ist eine schon seit Jahrzehnten sich vollziehende Verflachung von Bestattungskultur. Also sichtbarster Ausdruck davon sind die sogenannten anonymen Begräbnisse, wo eine Urne in der Erde versenkt wird, und darüber Rasen ausgesät wird, kein Mensch mehr erkennen kann, dass hier die Grabstelle eines einzelnen Menschen ist, der mal unverwechselbar und einzigartig war, weil da eine Urne nach der anderen aufgereiht ist, dann Rasen drüber gesät und nichts mehr erkennbar ist. Das ist eine Entwicklung, die eben auch dazu führt, dass auch die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Umgang mit dem Tod in geringerem Maße stattfindet – bis hin dazu dass es an der einen oder anderen Stelle wirklich auch degradiert zu einer Art von Entsorgung. Es gibt Discount und Billigbestatter, die inzwischen Angebote machen, die mit einem würdigen Umgang mit dem Tod nach meiner Überzeugung nichts mehr zu tun haben. Das ist die eine Entwicklung, die seit einigen Jahrzehnten stattfindet und die auch gesellschaftlichen Gründe hat."
    Doch Quandt ist nicht nur pessimistisch. Er sieht auch eine gegenteilige Entwicklung,
    "Die Erhaltung historischer Friedhöfe, das Bemühen darum, hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Das ist Ausdruck davon, dass auch das Bewusstsein, dass hier sonst ein kultureller Reichtum verloren geht, der letztlich auch nicht nur dann den Blick in die Vergangenheit erschwert, sondern eben auch ein Problem darstellt für die jetzt lebende Generation überhaupt, mit diesem Thema Tod umzugehen und eigene Formen zu entwickeln, das eben dann auch stärker verunmöglicht."
    Grabpatenschaften sind ein Beispiel für die Verbindung von Altem und Neuem. Die Idee: Historische Grabanlagen, die vom Verfall bedroht sind, weil die Friedhöfe ihre Instandhaltung nicht mehr bezahlen können, sollen neu genutzt werden. Etwa das Grab des 1866 gestorbenen Reformpädagogen Adolph Diesterweg.
    "Das heißt, man kann dieses Grab übernehmen, ganz normal wie sonst auch, dass man 20 Jahre sich selbst oder seine Angehörigen beerdigen lassen kann – neben Adolph Diesterweg. Von dem ist ja nicht mehr viel übrig, ist also Platz genug. Man kriegt also den Vertrag über 20 Jahre, wie das ganz normal ist, und man hat nur eine Verpflichtung dabei – eine zusätzliche, nämlich dass man das Grab einigermaßen wieder herstellen muss – denkmalgerecht."
    Im Fall von Grabpatenschaften ist das Interesse am Friedhof stark mit dem Eigeninteresse des zukünftigen Nutzers verbunden, aber es gibt auch "selbstloses" Interesse, unterstreicht Jürgen Quandt.
    Platz der Ruhe und keine Location
    "Das andere ist, dass Friedhöfe nicht nur wahrgenommen werden als Bestattungsorte, sondern auch wahrgenommen werden als Orte, Denkzeichen sozusagen, wie eine Gesellschaft überhaupt mit dem Tod umgeht. Die Auseinandersetzung mit dem Tod findet ja nicht nur auf dem Friedhof statt, sondern die hat in der Kultur überhaupt ihren Platz. Deswegen werden Friedhöfe zunehmend auch entdeckt als Orte für kulturelle Ereignisse, die das speziell zum Thema haben. Das ist auch unser Interesse als Friedhofsverband, hier unsere Friedhöfe dafür zu öffnen."
    Eine Öffnung, die allerdings auch Grenzen hat.
    "Wir sind mal gefragt worden, ob nicht auch eine Hochzeitsfeier in einer Friedhofskapelle mit einem angrenzenden Raum, wo man auch noch die Hochzeit feiert, durchführen kann, ob man das da nicht machen kann, weil das doch auch ein schöner Ort ist. Und da haben wir gesagt, wir finden, das passt nicht zusammen und haben dann auch den, der da gefragt hat, glaube ich, sogar davon überzeugen können. Dass der Ort für sich, also die Kapelle in ihrer Historizität vielleicht ein schöner, interessanter Ort war – ganz bestimmt. Aber eben nicht neutral, sondern eindeutig definiert. Und Hochzeit und Tod passt dann doch nicht ganz zusammen."
    Wo die Grenzen der kulturellen Nutzung liegen, muss im Einzelfall entschieden werden. Davon ist Martin Ernerth von den Kulturkapellen überzeugt. Klar ist nur: Der Friedhof soll mehr sein als bloße Kulisse für Kulturevents.
    "Es geht drum, im ersten Schritt Dinge dort zu machen, die sich auch in irgendeiner Art und Weise mit dem Ort auseinandersetzen und dem Ort dienlich sind. Und zwar nicht nur deshalb dienlich sind, weil irgend eine hippe Eventagentur einen Tausender am Abend dafür zahlt dafür, dass sie dann ihre Modenschau da durchführen darf, sondern dass es auch nachhaltig dem Friedhof dient, das Thema auch weiterführt und den Besuchern das Thema in gewisser Weise auch nahebringt. Das kann auch theoretisch über ein Rock'n'Roll-Konzert passieren, aber es ist wohl doch eher in der besinnlichen Ecke zu suchen."
    "Es gibt schon einen ganz klaren Fokus – im Fokus steht der Friedhof. Ihn bekannt zu machen, Gelder zu avisieren. Den Friedhof als toller Location zu nutzen für irgendwas, mag ich absolut nicht, weil dann die Kunst oder sich zu profilieren im Vordergrund steht und nicht im Fokus steht der Friedhof. Da bin ich auch vehement dagegen, dass das eine Verkehrung wird. Weil der Friedhof ist ein toller Platz – ein Platz der Ruhe und des Friedens – und nicht ein Location im klassischen Sinne."
    Ein Lichtraum am Trauerort
    Der meditativ-besinnliche Aspekt steht auch in der Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhofs im Vordergrund. Der Dorotheenstädtische Friedhof hat den höchsten "Promi-Anteil" in Berlin. Hegel und Fichte sind hier begraben, Bertold Brecht und Helene Weigel, aber auch Christa Wolf oder der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau. Der Friedhof ist schon lange ein Anlaufpunkt für Berlin-Touristen, doch Anfang Juli ist noch eine weitere Attraktion dazugekommen. Nach mehrjährigen Restaurierungsarbeiten erstrahlt die Kapelle des Friedhofs in neuem Glanz oder besser: in unterschiedlichen Farben. An mehreren Abenden der Woche können Besucher eine Lichtinstallation von James Turrell bewundern. Der US-amerikanische Land-Art-Künstler hat in der ganz in Weiß gehaltenen Kapelle farbige, kaum sichtbare Leuchtdioden angebracht.
    "Es kann sein, dass Sie sich also jetzt hier in diesem Raum befinden, und die Farbe blau ändert sich auf einmal ins gelb und dann ins weiß. Und Sie merken es fast nicht, also eine so extreme Verlangsamung, dass Sie sozusagen mit diesem Farbwechsel gleichsam mitgehen, ohne es wirklich zu merken. Und dann können Sie nur sagen: Moment, es war doch vor zehn Minuten, noch blau."
    Christhard-Georg Neubert hat Turrell für das Projekt gewonnen. Für den Kunstbeauftragten der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg ist die Installation nicht einfach nur "Kunst auf dem Friedhof", sondern ein Versuch, die Kernbotschaft des Christentums umzusetzen: dass die Menschen nach dem Tod nicht Dunkelheit erwartet, sondern Licht.
    "Insofern glauben wir, dass dieser Ort für die Stadt Berlin, aber auch darüber hinaus, ganz neu diese christliche Auferstehungshoffnung zur Anschauung bringt, ohne dass man jetzt mit irgendwelchen Hilfsmitteln hergehen muss und was erklären muss, sondern es stellt sich der Eindruck ganz von selbst ein."
    Wenn sich das Turrellsche Projekt erst einmal unter kulturinteressierten Berlin-Touristen herumgesprochen hat und die Zahl der Friedhofsbesucher steigt, dann könnte das zu Problemen führen, denn schließlich wird die Friedhofskapelle ja auch weiterhin für Beisetzungen genutzt.
    "Ich bin sicher, dass wir darüber uns noch mal ganz gesondert Gedanken machen werden, weil natürlich beide Interessen in geeigneter Weise Berücksichtigung finden müssen: das ungestörte Begehen einer Trauerfeier an diesem Ort, und gleichzeitig das Interesse der Menschen, diesen Ort zu erleben als einen Lichtraum an einem Ort, an dem normalerweise das Dunkel der Seele, das Dunkel der Daseins das Bestimmende ist."
    Auch der Geschäftsführer des evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte, zu dem der Dorotheenstädtische Friedhof gehört, hält einen Konflikt für möglich.
    "Wie wir mit den Massen von Kunstinteressierten dann hierumgehen und klar kommen, das weiß ich auch noch nicht. Also wir werden es abwarten müssen. Das ist auch für uns ein Abenteuer und eine Ungewissheit, da wird man einfach aus der Erfahrung auch lernen müssen, glaube ich."
    Lebendige Friedhöfe
    Überlaufen zu sein – das ist allerdings noch das kleinste Problem für die über 200 Berliner Friedhöfe. Im Gegenteil. Die meisten haben damit zu kämpfen, dass sie für eine wachsende Zahl von Menschen immer bedeutungsloser werden. Ausdruck davon ist der Trend zu kleinen und preiswerten Urnengräbern, die kaum gepflegt werden müssen. Aber auch das zunehmende Interesse an Friedwäldern und anderen alternativen Bestattungsorten ist ein Zeichen dafür, dass klassische Friedhöfe im gesellschaftlichen Bewusstsein eine immer geringere Rolle spielen. Doch diesen Trend zu beklagen, das wird ihn kaum umkehren. Kunst und Kultur dagegen können – in einem gewissen Umfang – den Schatz deutlich machen, den viele Friedhöfe bieten.
    "Wenn ich so daran denke, dass es viele Leute in unserem Wissen, unseren Büchern und überall gibt, dann haben die ja hier ihre Orte, ihre endgültigen Orte. Es ist einfach fantastisch, daran teilhaben zu können. Das hat nichts mit Trauer und Jammern zu tun, sondern das ist eine Kraftquelle, wenn man so will und sich drauf einlassen kann. Friedhöfe sind wunderschöne Landschaften mit den zufälligen Begegnungen von Toten oder ehemals Lebenden. Aber ich finde, die sind eher lebendig als dass sie tot sind."
    Die Besucher, die Gerhard Moses Hess über den St. Matthäus-Friedhof führt, empfinden die Begegnung mit den Toten zumindest als eine Bereicherung.
    "Das ist eine Frage, die dich irgendwann auch mal interessieren muss: Wo möchtest du eigentlich mal begraben sein? Und ich hab mich schon für diesen Friedhof entschieden und hoffe, dass ich da noch lange Zeit habe, um hier zu liegen. Aber ich finde es einfach so lebendig hier, das kann ich mir gut vorstellen."
    "Du findest den Friedhof so lebendig, dass du hier gut tot sein kannst."
    "Ja, genau."
    Und so ist Kultur auf dem Friedhof oft mehr als nur ein Kunst-Event auf einer ungewöhnlichen Location. Die Themen Tod und Sterben stehen zwar meist nicht im Vordergrund der Führungen, Konzerte oder Lesungen, aber im Hintergrund – oder Hinterkopf – sind sie doch präsent. Theaterpädagoge Gerhard Moses Hess:
    "Ich denke einfach, der Friedhof ist ein Ort, wo man zur Besinnung kommen kann. Und ja, denk ich, dass man so an der Grenze des Lebens dazu kommt, übers Leben nachzudenken. Und da genau möchte ich die Menschen auch abholen."