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Ein Barrel Öl für weniger als zwei Dollar

Fast vierzig Prozent des weltweiten Öl-Bedarfs werden durch die Mitgliedsländer der OPEC gedeckt. Wann immer sich ein Vertreter der Organisation zu Wort meldet, hört die Welt genau hin. Denn von den Förderquoten der OPEC hängt nicht nur der Preis für Erdöl ab, sondern auch die weltweite Konjunktur. Heute vor vierzig Jahren wurde die OPEC in Bagdad gegründet. Damals allerdings nahm kaum jemand Notiz von dem Ereignis. Ein Kalenderblatt von Ralf Geißler.

Von Ralf Geißler | 14.09.2005
    "Der Preis für Roh-Öl hat einen neuen Rekord erreicht +++ Experten erwarten, dass der Öl-Preis weiter steigt +++ Gestern kostete ein Barrel erstmals mehr als 60 Dollar +++ Noch nie musste für Benzin so viel gezahlt werden wie heute"

    Seit Jahren sind die Nachrichten ähnlich: Der Öl-Preis steigt. Doch Ende der fünfziger Jahre war es genau anders herum. Alle paar Monate wurde das Erdöl billiger. Es gab ein Überangebot, denn immer neue Ölquellen wurden entdeckt. Im August 1960 kostete auf dem Weltmarkt ein Barrel weniger als zwei Dollar. Für die Wirtschaft der westlichen Industriestaaten war das gut. Für die Förderländer allerdings schlecht. In Saudi-Arabien waren die Staatskassen 1960 völlig leer. Deshalb regte das Land die Gründung der OPEC an - der Organisation erdölexportierender Länder.

    "Die Mitgliedsländer werden nicht hinnehmen, dass Erdölgesellschaften die Preise einseitig festsetzen. Sie werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um das Preisniveau wieder auf den Stand von vor dem Verfall zu bringen."

    Die Gründungsresolution richtete sich vor allem gegen die großen Öl-Konzerne wie Exxon und British Petrol. Vor der OPEC beherrschten sieben Unternehmen den Markt. Sie beuteten dank alter Kolonial-Abkommen die Ölfelder aus und legten die Preise fest - ohne sich mit den Ländern, aus denen sie ihr Öl bezogen, abzustimmen. Fünf Staaten wollten das nicht länger hinnehmen. Zu den Gründern der OPEC gehörten neben Saudi-Arabien Venezuela, Iran, Irak und Kuwait.

    "Die Mitglieder wollen ein System entwickeln, das die Stabilität der Preise sicherstellt. Sie werden die Produktion regulieren, mit Blick auf die Notwendigkeit, dass den Förderländern ein geregeltes Einkommen zusteht."

    Die OPEC-Mitglieder verstaatlichten ihre Öl-Felder und stimmten sich fortan ab, wie viel Erdöl in jedem Land gefördert darf. Zugleich veränderten sie die Besteuerung der Öl-Konzerne und nahmen so auch bei niedriger Produktion mehr Geld ein. Die Gründung des Kartells blieb 1960 weitgehend unbeachtet. Selbst die "New York Times" berichtete erst neun Tage später ausführlich über das Ereignis.

    "Selbst wenn die Mitgliedsstaaten einmal alle jetzt bestehenden öl-exportierenden Länder der freien Welt und die Sowjetunion umfassen würden - es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Öl aus anderen Regionen ihr Öl ersetzt. Außerdem werden andere Energieträger in wachsendem Maße auf den Markt kommen."

    Wie so viele unterschätzte auch die "New York Times" die Macht der neuen Organisation. Doch 13 Jahre später wusste jeder mit dem Begriff OPEC etwas anzufangen. Das Kartell drehte dem Westen 1973 den Öl-Hahn zu und protestierte so gegen den Einmarsch Israels in arabische Staaten während des Jom-Kippur-Krieges.

    "Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger. Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den folgenden Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone verwandeln."

    Bundeskanzler Willy Brandt verkündete das Sonntagsfahrverbot. An vier Sonntagen durfte ohne Ausnahmegenehmigung niemand Auto fahren. Die künstliche Öl-Verknappung führte zu einer weltweiten Rezession. Darunter litten auch die OPEC-Staaten. Deshalb versprach Saudi-Arabiens Ölminister al Jamani 1977 so etwas vorerst nicht zu wiederholen.

    "Es macht überhaupt keine Schwierigkeit, den Preis zu erhöhen. Denn wir in Saudi-Arabien können unsere Produktion sofort um, sagen wir, vier oder fünf Millionen Barrel am Tag senken. Aber das ist nicht unsere Politik."

    Doch mit der Revolution im Iran kam es 1979 erneut zur Öl-Knappheit und zur zweiten Öl-Krise. Ein Barrel kostete nun schon 40 Dollar. Alternative Energieträger erschienen dem Westen immer interessanter. Der amerikanische Chemie-Nobelpreisträger Melvin Calvin schwärmte 1989 von Benzin-Bäumen im Urwald.

    "Meine Frau und ich reisten auf Einladung der Zucker-Produzenten nach Brasilien. Dort zeigten uns einige Landwirte Bäume, welche in der Lage sind, eine Art Diesel-Treibstoff zu produzieren. Wir sahen diese Bäume und wir sahen das Öl aus ihnen heraustropfen."

    Calvin hatte sogenannte Bleistiftsträucher gesehen, deren Saft sich für die Herstellung von Bio-Diesel eignet. Doch bis heute ist Kraftstoff aus Pflanzen ein Nischenprodukt. Weder Bleistiftstrauch noch Raps machen dem Erdöl ernsthaft Konkurrenz. Und so klettern die Preise weiter. Heute kostet ein Barrel fast sechs Mal so viel wie während der ersten Öl-Krise. Im Februar erklärte die OPEC, sie habe die Kontrolle über die Preise verloren. Fast alle Mitglieder würden bereits so viel pumpen, wie sie können. Doch der Bedarf wächst - vor allem in China. Und das Öl wird langsam knapp.