Donnerstag, 18. April 2024

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"Ein bisschen Verdummung der Wahlbürger"

Nach Einschätzung des General a. D. Klaus Naumann fehlt es der deutschen Politik in der Debatte um das militärische Engagement in Afghanistan an Aufrichtigkeit gegenüber den Wählern. Die deutschen Soldaten seien nicht als "eine Art THW mit Gewehr" unterwegs, sondern ihre Mission sei in den Augen der NATO auch mit Kampf verbunden, betonte Naumann.

Moderation: Jürgen Zurheide | 02.02.2008
    Jürgen Zurheide: Es ist eine Debatte ausgebrochen über das deutsche Engagement in Afghanistan. Ausgelöst hat diese Debatte jetzt ganz frisch US-Verteidigungsminister Robert Gates, der die Deutschen zu höherem Engagement auffordert. Das führt natürlich zu heftigen innenpolitischen Reaktionen.

    Jetzt wollen wir über dieses Thema weiter reden mit General Klaus Naumann, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Naumann.

    Klaus Naumann: Guten Morgen, Herr Zurheide.

    Zurheide: Zunächst einmal, der Umgangston des Briefes von US-Verteidigungsminister Robert Gates, der wird allgemein heftig kritisiert. Wir haben gerade in den Kommentaren der Kollegen in der Zeitung gehört, das sei ein Feldwebel-Ton. Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen, ob das für Sie ein Vorwurf ist. Ist der Ton angemessen, soweit Sie den Brief kennen?

    Naumann: Ich kenne den Brief nun leider nicht, wie sollte ich auch. Ich bin manchmal etwas skeptisch, wenn ich höre, rüder Ton. Ich glaube das nicht. Bob Gates ist ein Mann, den ich persönlich kenne, der sicher einen sehr konzilianten Ton hat. Manchmal ist eine Übertragung vom Englischen ins Deutsche mit Ursache von Verschärfungen. Und soweit ich aus dem Bündnis gehört habe, ist der Brief dort keineswegs im Ton als rüde angesehen worden.

    Zurheide: Dann hat das ja vielleicht auch damit zu tun, dass wir die innenpolitische Debatte so führen, wie wir sie führen. Da kommen wir gleich im zweiten Bein drauf. Wer hat denn nun Recht? Prinzipiell mehr Engagement durch die Bundeswehr, wie sehen Sie das? Oder hat de Hoop Scheffer recht, der sagt, die Deutschen leisten schon Hervorragendes und wir sollten da jetzt nicht noch drauflegen? Da gibt es ja offensichtlich eine Differenz zwischen den beiden.

    Naumann: Also zunächst einmal muss man sagen, innenpolitisch ist bei uns wohl mehr kaum durchsetzbar. Nun kommt unglücklich dazu, dass der Brief gerade in dem Moment aufschlug, als Deutschland einen Schritt getan hatte, der durchaus positiv zu bewerten ist, nämlich die Bereitschaft anzudeuten, die schnelle Eingreiftruppe für den Norden zu übernehmen. Aber was generell, meine ich, zu kritisieren ist, ist die Hilflosigkeit und die reaktive Weise, mit der wir unseren Afghanistan-Einsatz verkaufen im Bündnis. Wir lassen uns immer treiben, wir reagieren, statt zu agieren. Und deswegen wird das Gute, was Deutschland leistet im Norden, im Grunde unter Wert in Einfluss im Bündnis umgesetzt. Und auch die jetzige Reaktion - es ist ja nicht in Washington der Brief öffentlich gemacht worden, sondern in Deutschland - wird uns im Grunde genommen kaum aus der Affäre ziehen. Wir werden weiterhin Getriebene sein, und ich glaube nicht, dass wir im Bündnis die Stimmung gegen Amerika aufbauen sollten. Das würde ich für falsch halten.

    Ich meine, ein solcher Brief eines Verteidigungsministers, das ist völlig in Ordnung. Wenn er vor einer Ministerkonferenz einen Brief an seine Kollegen richtet, den diskutiert man nicht öffentlich, sondern den diskutiert man im Bündnis. Und dann muss man darüber nachdenken, wie man insgesamt diese verfahrene Kiste Afghanistan wieder auf die Reihe kriegt, damit nicht aus einer innenpolitisch begründeten Situation in Deutschland eine Krise für das Bündnis wird.

    Zurheide: Aber damit sind wir ja eigentlich beim Kernpunkt, möglicherweise hat doch diese ganze Auseinandersetzung auch damit zu tun, dass der Bundeswehr-Einsatz hier innenpolitisch immer so dargestellt wird in so einer Art Schlichtanalyse, na ja, das ist so eine Art bewaffnetes Technisches Hilfswerk, was wir da nach Afghanistan schicken. Und so kommt man durch die innenpolitische Debatte. Und weil das so ist, kann man auch im Bündnis nicht so auftreten. Ist das vielleicht der Grundkonflikt, den wir irgendwann mal endgültig lösen müssten?

    Naumann: Ich glaube, da haben Sie durchaus den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Bundeswehr ist im Norden Afghanistans nicht in einer Art THW mit Gewehr auf dem Rücken, sondern im Bündnis sieht man das als einen Stabilisierungseinsatz, der immer mit der Mission Kampf verbunden ist. Denn wenn das Umfeld nicht sicher ist, kann man nicht stabilisieren. Das ist das Grundverständnis. Und ich meine, wir müssen endlich mal auch in unserer Sprache gegenüber unseren Bürgern aufhören, die Bürger für dumm zu verkaufen. Ich glaube nicht, dass die diese Maskerade noch lange mitmachen werden.

    Zurheide: Wie bewerten Sie denn den Einsatz? Auch um das noch mal militärtaktisch abzuarbeiten, im Norden, Sie haben es gerade schon angedeutet, ist es ja durchaus auch ungemütlich. Aber ist es im Süden so viel anders, dass es da wirklich eine neue Qualität der Auseinandersetzung geben würde, wenn Deutsche da auch mehr als bisher in verdeckten Operationen tätig wären?

    Naumann: Der Süden Afghanistans ist deutlich unruhiger als der Norden, das hängt damit zusammen, dass die Paschtunen, die dort überwiegend angesiedelt sind, ja letztlich der Ausgangspunkt und die Wurzel der Taliban-Bewegung waren. Das hängt mit der Verflechtung des Südens Afghanistans, mit den unruhigen pakistanischen Stammesgebieten, dem Rückzugs- und Ruhegebiet der Taliban zusammen. Dort ist der Stabilisierungsauftrag der internationalen Schutztruppe sicher um Deutliches risikobehafteter. Und dort muss man eben, wenn man eine Brücke bauen will, muss man erst mal den Raum freikämpfen in der einen oder anderen Situation, um die Brücke zu bauen, und anschließend die Brücke sichern. Es ist weit schwerer dort, Ruhe und Sicherheit reinzubringen und die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen.

    Zurheide: Aber was heißt das? Sagen Sie, wenn wir in Afghanistan tätig sind, dann sind wir im Norden und im Süden tätig, oder sagen Sie, nun gut, die imaginäre Grenze, die wir da innenpolitisch immer noch ziehen, die müssen wir aufrecht erhalten. Wofür plädieren Sie?

    Naumann: Ich plädiere dafür, dass man im Bündnis sich jetzt zusammensetzt und noch mal eine Bestandsaufnahme macht, wo stehen wir eigentlich in Afghanistan, dass man noch mal überlegt, ist unsere Gesamtstrategie, und damit meine ich nicht nur Militär, sondern der Einsatz von allen Hilfsmitteln, der Aufbau der Polizei, die Bekämpfung des Drogenanbaus, der Aufbau der Justiz, ist das alles stimmig, haben wir eine Konkurrenz von Auftrag und Mitteln?

    Zurheide: Haben wir das? Um hier die Frage mal...

    Naumann: Ich glaube, wir haben es nicht. Ich glaube, hier klafft die Schere weit auseinander. Und deswegen wäre auch mein Plädoyer, dass man im Bündnis noch einmal beschließt, wie gehen wir in einem Gesamtansatz, in dem militärische und zivile Mittel miteinander verknüpft sind, vor? Und wenn man da zu einem gemeinsamen Konzept kommt, dann müssen natürlich auch alle bereit sein, in gleichem Maße Last und Risiken zu teilen. Dann kann nicht eine Nation für sich eine Sonderrolle in Anspruch nehmen. Wer das tut, gefährdet den Zusammenhalt im Bündnis.

    Zurheide: Da muss ich Sie aber noch ein bisschen mehr locken. Das heißt, auch Sie sehen im Moment Defizite. Es gibt ja den einen oder den anderen der sagt, im Süden ist vielleicht das Militärische überbetont, nicht nur durch die äußeren Gegebenheiten, sondern auch durch die handelnden Armeen, und der zivile Aufbau müsste etwas mehr in den Vordergrund kommen. Höre ich das da richtig heraus?

    Naumann: Also ich würde dieses Vorurteil, dass so ein bisschen von antiamerikanischen Reflexen geprägt ist, in dieser generellen Form nicht teilen. Es sollten mal diejenigen, die da die Klappe so weit aufreißen, sich ansehen, was amerikanische Provincial Reconstruction Teams im Süden Afghanistans tun, und dann würden sie vielleicht etwas behutsamer urteilen. Unsere holländischen Freunde, die dort kämpfen, die haben in meinen Augen in vorzüglicher Weise die Mission Kampf- und Stabilisierungseinsatz miteinander verknüpft, und bei den Kanadiern würde ich auch nicht unbedingt einen Vorwurf in dieser Art erheben. Ich glaube, hier quaken ein paar Leute, die aus lauter Angst davor, dass man von Deutschland mehr verlangen könnte als jetzt, das eigene Beispiel überbewerten, und dabei die Unterschiede in den Ausgangspositionen völlig verwischen.

    Zurheide: Aber was müsste sich ändern aus Ihrer Analyse?

    Naumann: Also ich meine, wir müssen wirklich im Bündnis diese Vorbehalte, diese sogenannten National Caveats, gründlich überdenken, und man muss bereit sein, mit dem alten aber bewährten Prinzip, dass man in einem Bündnis Lasten und Risiken gemeinsam und solidarisch teilt, über dieses Thema Afghanistan noch einmal von Grund auf nachdenken. Und dann müsste man möglicherweise auch in Deutschland zu anderen Entscheidungen kommen, für die man natürlich innenpolitische Mehrheiten gewinnen muss. Das ist nicht leicht. Das ist völlig klar. Aber was wir gegenwärtig machen, ist letztlich - darf ich das so sagen - ein bisschen Verdummung der Wahlbürger, die insgesamt vielleicht schon weiter sind als die Politik das wahrhaben will.

    Zurheide: Das war General Klaus Naumann. Ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch. Dankeschön, Herr Naumann.

    Naumann: Bitte sehr, Herr Zurheide.