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Ein Blick auf die Flakhelfergeneration

Was bewegt die Jugend von heute. Diese Frage interessierte schon Helmut Schelsky nach dem 2. Weltkrieg. In seinem Klassiker der politischen Literatur kommt er zu dem Ergebnis: Eine Jugend ohne Pathos, Programme und Parolen.

Von Rainer Kühn | 07.02.2011
    Ein nobler Mann Er hat vielleicht einfach seinen Spaß gehabt an der Vielfalt der Erscheinungen einer Wirklichkeit, die er immer gesucht hat, zu der er aber auch immer Distanz gehalten hat.

    So der renommierte Sozialwissenschaftler Lord Ralf Dahrendorf in seinem Nachruf über den, der die Soziologie in Deutschland populär gemacht hat: Helmut Schelsky. Zwar wird die Gründung der Wissenschaft hierzulande weit früher veranschlagt und mit dem Namen Max Weber verbunden. Die breite Öffentlichkeit nahm die Zunft allerdings erst nach 1945 wahr - eben durch die Werke des 1912 in Chemnitz geborenen Schelsky. Und zwar vor allem aufgrund seines berühmtesten Buches:

    Die skeptische Generation ist ein soziologischer Beitrag zur Jugendkunde und will den westdeutschen Jugendlichen von 1945 bis etwa 1955 schildern Unsere Darstellung fußt auf einer Analyse der berufstätigen Jugend zwischen 14 und 25 Jahren.

    Was brachte Schelsky dazu, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine derart trockene Studie zu erarbeiten, die, wie er es formulierte: auf einer "ideologiefreien Empirie" beruhen und Soziologie und nichts als Soziologie´ sein solle? Gleich nach Zusammenbruch der Nazi-Diktatur eignete sich Schelsky in atemberaubend kurzer Zeit den Stand der internationalen Soziologie an. Ab 1948 setzte er sein Wissen in Hamburg um; und zwar in empirischen Projekten für die gewerkschaftsnahe Akademie für Gemeinwirtschaft. Neugier und, wie er es ausdrückte, sein ausgeprägter `Realitätsdrall´ hätten ihn zu Untersuchungen gebracht, die hauptsächlich Tatsachen bilanzieren sollten! "Rechne mit den Beständen!" hatte ja bereits der Literat Gottfried Benn seinen Mitmenschen empfohlen. Nüchterne Bestandsaufnahme also! Und genau hier setzte Schelsky an, um weltanschaulich neutralen Grund unter die Füße zu bekommen: Nach vielen Studien, etwa zur Familie oder zur Sexualität, skizzierte er 1957 das Bild der heute sogenannten "desillusionierten Flakhelfergeneration", zu der beispielsweise Papst Benedikt XVI, Hans-Dietrich Genscher, Dieter Hildebrandt oder Niklas Luhmann gehören:

    Diese Generation ist in ihrem sozialen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubens- oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher, sie ist tolerant, sie ist ohne Pathos, Programme, Parolen.

    Diese Beschreibung charakterisiert offensichtlich nicht nur die Titel-gebende skeptische Generation. Sie drückt auch aus, was viele empfanden, die traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrten und lernen mussten, dass in ihrem - dem deutschen Namen - die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen worden waren. Schelsky beschrieb zwar nur diese Flakhelfer-Generation. Aber das Buch wurde zu einem soziologischen Verkaufsschlager, weil es insgesamt den Nerv der Zeit traf! Beispielsweise in Bezug auf den politischen Bereich:

    Was sich auch ereignen mag, diese Generation wird nie revolutionär, in flammender kollektiver Leidenschaft auf die Dinge reagieren. Sie trägt kein Bedürfnis in sich, elitäre Gemeinschaften zu stiften oder Ordnungsprinzipien zu verwirklichen. Sie wird alles Kollektive ablehnen, ohne daraus ein Gegenprogramm zu machen.

    Die Wahlkampf-Parole Konrad Adenauers: "Keine Experimente" passte perfekt zum desillusionierten politischen Zeitgeist. Auch zu Schelsky. Seine Schüler beschrieben ihn als tolerant und liberal. Doch auch er verdrängte eine ideologisch hoch aufgeladene Vergangenheit: 1932 war er der SA beigetreten, seit 1933 im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund aktiv und seit 1937 NSDAP-Parteigenosse. Wahrscheinlich hegte er später aus dieser eigenen Erfahrung heraus eine abgrundtiefe Abneigung gegenüber allen ideologischen Aufwallungen. Und somit konsequenterweise auch gegen die sogenannte `68er-Bewegung. Viele Formeln, die der aufmerksame Leser schon in der skeptischen Generation entdeckt, hat Schelsky später moduliert und damit öffentliche Aufmerksamkeit erregt: Eine "Nivellierte Mittelstandsgesellschaft" stehe bevor! Oder: Es drohe der "Technische Staat", in dem lediglich noch nach Sachzwängen entschieden werde. Diese Prognosen erwiesen sich bekanntlich als falsch:

    Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich vielmehr geöffnet; und politische Entscheidungen sind beileibe nicht obsolet. Trotzdem: Schelsky war einer der Stichwortgeber der Bundesrepublik der `50er und `60er Jahre - allerdings zeitgebunden und daher folgerichtig auch schnell veraltet. Seit etwa zehn Jahren wird Schelsky an Universitäten wieder gelesen. Warum? Vielleicht, weil es jedes Mal nach einer Zeit der ideologischen Überhitzung - wie etwa der '68-Bewegung und der darauf folgenden sogenannten Postmoderne - ein Bedürfnis nach Erdung gibt. So wie Helmut Schelsky dies schon nach dem Zweiten Weltkrieg beschrieben hat.

    Rainer Kühn:
    Helmut Schelsky: Die skeptische Generation Verlag: Diederichs; Auflage: First edition
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    inserted. (1957), 523 Seiten; EUR 9,95
    ASIN: B0000BN94B