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Ein Denkmal für den Latin Jazz

In der Dekade vor der kubanischen Revolution 1958 hat Fernando Trueba seinen Animationsfilm über das Paar Chico und Rita angesiedelt. Doch die Story sollte man nicht zu ernst nehmen: "Chico & Rita" ist zuallererst ein Film über die kubanische Musik, die alle politischen Wirren überdauert und die ideologischen Lager verbindet.

Von Rüdiger Suchsland | 26.08.2012
    Eine ganz einfache Geschichte: Chico liebt Rita, Rita liebt Chico. Alles scheint perfekt: Der begabte Pianist und die aufstrebende Sängerin sind nicht nur jung und schön und leidenschaftlich, sie sind sogar musikalisch das perfekte Paar.

    Und auch das Jahr, in dem dies alles beginnt, und der Ort sind keine schlechten Voraussetzungen für ein Liebesglück zu Zweit: 1948 war der Zweite Weltkrieg gerade vorbei, man war froh, gut durchgekommen und noch am Leben zu sein und genoss die Gegenwart in vollen Zügen. Auf dem Karibik-Inselstaat Cuba lagen die politischen Umwälzungen noch in weiter Ferne, erst eine Dekade später kam es 1958 zur Revolution.

    Die Amerikaner allerdings haben sich zu dieser Zeit schon ganz schön breit gemacht in Battistas Tropen-Diktatur, das Kuba jener Jahre war für die Nordamerikaner ein mit Mafiageld gespeistes Paradies, und zugleich eine Sündenhölle, in der die - männlichen - US-Touristen alles das taten, was sie im puritanischen Zuhause nicht durften: Sie soffen, verspielten in Casinos ihre Dollars und gingen ins Bordell.

    Fernando Truebas Spielfilm lässt diese so abgründige wie kurzlebige Welt wiederaufleben. Er tut das durchaus Nostalgie getränkt, eher unkritisch und getragen vom herrlichen Sound der kubanischen Jazz-Musik und vom Charme der Bilder.

    Denn "Chico & Rita" ist ein Animationsfilm. Doch die flächige Zeichenästhetik hat mit Comic und mit japanischen Mangas wenig und mit den dreidimensionalen Plastikpuppen aus Hollywoods 3-D-Labors gar nichts zu tun. Es ist ein erwachsener Film, der sich zugleich dazu bekennt, unterhalten zu wollen.

    Der Spanier Fernando Trueba hat - erinnern wir uns noch? - 1993 den Auslands-Oscar gewonnen für die seltsam verführerische, gleichfalls sehr abgründige Bürgerkriegs-Kindheitsgeschichte "Belle époque". Trueba ist bekennender Billy-Wilder-Fan. Und so - kurzweilig, witzig, dabei intelligent und subtil mit zweiten Ebenen arbeitend, stilistisch klassisch, ohne Angst vor mit sentimental-romantischen Ausflügen ist auch dieser Film.

    Natürlich bleibt es für Chico und Rita nicht beim Glück vom Anfang. Nicht die böse Revolution des Fidel Castro, sondern die Amerikaner sind wieder mal an allem schuld, Und, ja, der Kapitalismus. In Gestalt eines amerikanischen Managers verführt er Rita auf die schiefe Bahn, lockt sie weg aus den Bars ihrer Heimat zu Geld und Glamour zwischen New York und Las Vegas. Chico folgt ihr, jagt ihr nach, das Paar trifft sich wieder, muss sich wieder trennen, und irgendwann wird Chico wie so viele Kubaner in dieser Zeit aus Amerika deportiert. Das Land des Geldes und der Touristen wollte die Kubaner nur im Urlaub sehen.

    Sie werden sich wiedertreffen - wie das wollen wir hier offenhalten.

    "Chico & Rita" ist ohne Frage ein Unterhaltungsfilm. Nicht zu tief, aber auch nicht zu doof und sehr, sehr schön gemacht.

    Zu dem, was er unter dieser Oberfläche auch noch erzählt, gibt es zwei Lesarten: Einerseits schmuggelt Trueba, ganz wie sein Vorbild Billy Wilder, ins leicht konsumierbare Paket einige unangenehme Wahrheiten: Über die Verführbarkeit und die Dummheit der Menschen, die ihr Glück nicht erkennen, wenn es vor ihnen liegt. Über die Gefahren des Reichtums, und die unglückselige Rolle der USA in weiten Teilen der Weltpolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo dem Kampf gegen den Kommunismus und dem Sieg im Kalten Krieg alle anderen Werte untergeordnet wurden.

    Man kann auch kritisieren, wie affirmativ dieser Film ist, wie die Schrecken der Battista-Diktatur in Karibik-Rum und Coca-Cola-Kitsch ertränkt werden.

    Vielleicht aber sollte man die Story gar nicht zu ernst nehmen: "Chico & Rita" ist zuallererst ein Film über die herrliche kubanische Musik, die alle politischen Wirren überdauert und die die ideologischen Lager verbindet:

    Überaus liebevoll setzt Trueba dem Latin Jazz und Größen wie Dizzy Gillespie, Charlie Parker oder Chano Pozo ein Denkmal, vor allem aber dem exilkubanischen Pianisten Bebo Valdés, dem der Film gewidmet ist.