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Ein dunkler Traum

"Revolution", so hat der Fotokünstler Hiroshi Sugimoto seine neue Werkreihe genannt. Das Museum Brandhorst in München zeigt zehn großformatige Schwarz-Weiß-Ansichten nächtlicher Meere irgendwo auf der Welt.

Von Christian Gampert | 26.10.2012
    Dass man mit Fotografie malen kann, das wussten schon die ganz frühen Vertreter des Mediums, die Piktorialisten. Sie wurden bald abgelöst von der Sozial- und Sachfotografie – aber manchmal, zum Beispiel heute, schlägt das Pendel auch wieder zurück. Vor dem Eingang der Münchner Ausstellung hängt ein Bild von Hiroshi Sugimoto, auf dem das Meer und der Himmel in einem weichen, wolkig-hellen Tageslichtweiß aufzugehen scheinen. Es wirkt wie gemalt, es ist Programm – und führt doch in die Irre. Denn die Ausstellung selber ist dann eine Art schwarze Messe, ein dunkler Traum. In den grau gestrichenen und spärlich beleuchteten Kabinetten sehen wir zehn großformatige Schwarz-Weiß-Ansichten nächtlicher Meere irgendwo auf der Welt, von Neufundland bis zur Adria und zwei Berglandschaften.

    Die Meerstücke sind in München hochkant gestellt. Die Aufnahmen wirken dadurch fast abstrakt, ihnen wird jede Romantik ausgetrieben. Der Mond ist nur noch ein kleiner Punkt irgendwo in der Schwärze oder, durch die Langzeitbelichtung, ein schmaler Streifen, der sich im Meer spiegelt. Die Horizontlinie, da, wo Meer und Himmel sich scheiden, führt nun von oben nach unten wie ein Strich, der eine Farbfeldmalerei in zwei Segmente zerlegt. Und überhaupt verbreiten diese sorgsam ausgearbeiteten fotografischen Großdrucke eher die Aura meditativ-religiöser Gemälde, dunkel schimmernde Altäre in der Museumskirche der Postmoderne. Man möchte eine Kerze anzünden, lässt es aber lieber – die Feuerpolizei würde die Andacht stören.
    "Revolution" nennt der japanische Fotograf Hiroshi Sugimoto diese von ihm sorgfältig inszenierte Ausstellung, und das heißt, er möchte unsere Wahrnehmung umwälzen, transformieren, auf sehr alte, versunkene, unbewusste Erinnerungs- und Traumbilder zurückwerfen. Obwohl Sugimoto in Amerika lebt, hat das natürlich mit seiner asiatischen Herkunft zu tun – und mit einem kulturgeschichtlichen Interesse, sagt der Direktor des Museum Brandhorst, Armin Zweite.

    "Es ist ein west-östlicher, amerikanisch-europäisch-japanischer Dialog, der sich fortsetzt. Das ist ein Mann, der sehr historisch orientiert ist und von der Paläontologie bis in die Raumfahrt immer wieder Zeugnisse der menschlichen Evolution gesammelt hat. Urzeitliche Abdrücke von Fossilien."

    Wenn man diese hochkant gestellten nachtschwarzen Meerbilder betrachtet, dann fühlt man sich unwillkürlich an die farbintensiven, verschwimmenden Werke des Malers Mark Rothko erinnert, mit dem Sugimoto gerade in London eine Doppelausstellung hat. Der Bezug auf Minimalismus und abstrakte Malerei ist klar – und doch gibt es da eine Obsession, eine Leidenschaft für das Meer. Sugimoto stellt eine ganz traditionelle Kamera auf eine Klippe und lässt den Verschluss sehr lange auf. Die Hauptaufgabe ist dann natürlich die Bearbeitung – und die Hängung. Sie muss das Gefühl des Schwebens erzeugen.

    "Manchmal fühle ich mich wie im Himmel, in der Luft. Ich denke, ich bin ein Astronaut. Der kann den Horizont auch vertikal sehen. Wenn man sich selbst neutral betrachtet und sich von der Schwerkraft frei fühlt, kann man diese Astronautenperspektive einnehmen, selbst wenn man am Boden ist."

    Die mit langen Belichtungszeiten aufgenommenen Meerbilder wirken irgendwie entrückt, meditativ, sakral, vielleicht, wenn man so will, auch zen-buddhistisch. Obwohl Sugimoto, wie er sagt, in einem sehr weltlichen Sinne religiös ist: Es ist eine Art Wahrnehmungs-Religion, die ihn umtreibt. Am Ende entlässt er den Zuschauer mit zwei ganz normalen Querformaten, Blicke auf Steine, Wolken, Berge und Himmel. Das ist nichts Abstraktes mehr, sondern, auch für den Zuschauer, die Rückkehr in die Realität.