Freitag, 29. März 2024

Archiv


Ein eher unglamouröses Schriftstellerleben

Im Jahr 2005 feierte Bernd Cailloux einen schönen Erfolg mit "Das Geschäftsjahr 1968/69". Nun sind unter dem Titel "German Writing" neue Kurzgeschichten des 61-Jährigen herausgekommen. Ihr Themenbereich ist eng gefasst: In den allermeisten von ihnen schreibt Bernd Cailloux über Schriftsteller in bedrängter Lage.

Von Dirk Knipphals | 30.01.2007
    Im Jahr 2005 feierte Bernd Cailloux einen schönen Erfolg mit "Das Geschäftsjahr 1968/69". In dem Roman erzählt er von dem ominösen Jahr 1968, und zwar indem er die Verbreitung des Stroposkoplichts in den Diskotheken dieser Republik in den Mittelpunkt rückt. Bewusstseinserweiterung durch Lichtgeflacker - und auch eine Geschichte darüber, wie hehre Ideale allmählich in ein reines Geschäftsgebahren münden.

    Die Kritik fands gut, und genug Käufer für bislang vier Auflagen fanden sich auch. Nun sind unter dem Titel "German Writing" neue Kurzgeschichten des 61-Jährigen herausgekommen. Und doch lacht Bernd Cailloux, wenn man ihn fragt, ob er gerne Schriftsteller sei, erst einmal laut auf.

    " Naja, es ist schon ... eine bestimmte Illusion von Freiheit steckt dadrin. Aber andererseits gibt es auch viele Momente, wo man das Schreiben und das Schriftstellersein als Fluch betrachten kann."

    Mag sein, dass die Frage zunächst überraschend kang. Aber das erklärt dieses - wissende Lachen nicht allein. Die Frage nach dem Verhältnis dieses Autors zu seinem Autorenberuf jedenfalls drängt sich förmlich auf, wenn man die neuen Erzählungen liest.

    Ihr Themenbereich ist eng gefasst: In den allermeisten von ihnen schreibt Bernd Cailloux über Schriftsteller in bedrängter Lage. Entweder haben sie gerade kein Geld und müssen Aushilfsjobs annehmen - wie etwa den eines Statisten beim Film in der Erzählung "Anruf aus Hollywood". Wobei sie dann in drei Drehtagen soviel Geld verdienen wie an einem Roman, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet haben - was einen den eigentlichen Beruf auch nicht gerade sympathisch macht. Oder sie sind durch das viele einsame Arbeiten am Schreibtisch ungeübt darin geworden, in Kneipen normale Gespräche zu führen - wie in der Erzählung "Das japanische Fadenziehen". Ständige Selbstreflexion ist nicht hilfreich, wenn man einen Abend lang einfach mal flirten will.

    Und dann gibt es auch noch die üblichen Abenteuer der Abgabetermine und Überraschungen bei Lesungen. Es ist ein eher unglamouröses Schriftstellerleben, bei deren Bewältigung man eine gehörige Portion Humor braucht, das Bernd Cailloux schildert.

    Bernd Cailloux wohnt im obersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Schöneberg. Vor die Fensterfront ist ein langer Schreibtisch gesetzt, der die ganze Breite des Zimmers einnimmt. Auch sonst ist die Wohnung, mit ihrer kargen Einrichtung und den herumliegenden Manuskripten, erkennbar die Arbeitswohnung eines Schriftstellers. In ihr erläutert Bernd Cailloux, weshalb man das Schreiben auch als Fluch betrachten kann.

    " Man sieht natürlich nur die Buchpreisträger, man sieht nur die strahlende Darstellung neuerdings der Autoren, seit Pop und auch vorher schon ein bisschen und immer noch. Das betrifft dann ja nur ein Prozent der Autoren. Was ist mit den anderen? Diese Ichfiguren hier gehören im Prinzip zu den anderen, die, also die schreiben oder die mal geschrieben haben und die vielleicht mal Erfolg hatten, die aber dann abgetaucht sind, verschwunden oder nicht mehr publiziert oder sonst irgendwas. Und der Beruf ist sicher einer der schwierigsten, auf die lange Strecke."

    Große Träume, die zerplatzten? Eher ein Autor, der viel mitgemacht hat in seiner Karriere, noch nie einen bedeutenden Preis bekommen hat, zu Unrecht übrigens, und sich nichts mehr vormachen will - falls er sich überhaupt je etwas vorgemacht haben sollte. Ebensowenig, wie er angesichts dieser Lage in Wehleidigkeit ausbricht, tritt Bernd Cailloux in seinen neuen Geschichten als großer Entlarver von hehren Schriftstellerklischees auf. Aber gegen Illusionen anzuschreiben, das ist schon sein Thema.

    Wie jemand seine Illusionen verliert, hat er in seinem Roman "Das Geschäftsjahr 1968/69" beschrieben. Und auch im Hintergrund der neuen Erzählungen lässt sich dieses Thema finden. Allerdings betrifft es diesmal den Autor der Erzählungen selbst.

    "Naja, vielleicht habe ich gehofft, dass in dieser Sphäre der Literatur, dass da irgendwie andere Verhaltensweisen sind als beispielsweise im Showgeschäft oder im normalen Handel, also in normalen Firmenbetrieben. Nicht so viel Intrigen, kein Mobbing etc. Aber das war natürlich auch eine schöne Illusion."

    Illusionen etwas entgegensetzen: Die neuen Erzählungen wiederholen den Ansazt das vorangegangenen Romans nun nicht einfach auf einem neuen Gebiet. Sie transponieren ihn nicht von 68 zu einem heutigen Schriftstellerdasein. Sondern sie gehen erkennbar vom erreichten Stand des Romans aus: In den Erzählungen geht es darum, aus einer Situation, in der von vornherein keine Illusionen da sind, das Beste zu machen. Das kann dann wieder sehr spielerische Züge annehmen, bis hin zur grotesken Situation, dass sich ein Autor an einem Spätschalter der Post in einer ganzen Schlange von Autoren wiedefindet, die alle noch den Eingangsstempel des Tages brauchen. Ein Papierkonzern hat einen Erzählwettbewerb über die Bedeutung des Geldes ausgeschrieben, Preisgeld: 20.000 Euro.
    "Welche Überraschung, so viele Gleichgesinnte. Alle verleitet und hergelockt von der Idee eines einzigen, abgebrühten PR-Managers, um hier als leicht peinliche Massierung von Außenseitern in einer stocknormalen Künstlerschlange zu enden."

    So lakonisch auf den Punkt gebracht sind viele Sätze in diesen Erzählungen. Bernd Cailloux pflegt in ihnen einen sehr trockenen, fast abgebrühten Witz. Gelegentlich ist sogar so etwas wie ein ketzerischer Spaß spürbar, am Image des Künstlerdaseins zu kratzen - einfach indem man mal wirklich erzählt, was Sache ist, wie sich so ein Schriftstellerleben eben auch anfühlen kann. Auch wenn Bernd Cailloux das mit dem Ketzerischen selbst relativiert.

    "Ketzerisch ist vielleicht übertrieben. Aber die Erzählungen, die ja ausnahmslos Schriftstellererzählungen sind oder aus dem Schriftstellerleben, die nehmen schon etwas von dem falschen Glanz des Berufs, der durch die Medien erzeugt wird permanent. Das wird schon ein bisschen zurückgeführt auf die Realität. Und gleichzeitig sind es aber trotzdem ja Menschen, die irgendwas erleben und nicht schlecht darüber erzählen können."

    Der letzte Satz ist wichtig. Denn so bedrückend die Umstände für seine Erzählerfiguren gelegentlich sind, die Fähigkeit, immerhin davon interessant erzählen zu können, gesteht er allen seinen Erzählern zu. Das Erzählenkönnen ist gleichsam so etwas wie der eigene Schopf, an dem sie sich wie Münchhausen aus dem Schlamm herausziehen können. Und so handeln die Geschichten letztendlich gar nicht von den misslichen Lebensumständen selbst, sondern von Menschen, die in ihnen wenigstens die eigene Würde bewahren. Solange sie etwas zu erzählen haben, muss man sich die Erzähler bei Bernd Cailloux, wenn schon nicht als glückliche, so zumindest als selbstbewusste Menschen vorstellen.

    Dass er ein ausdrückliches Programm hat, bestreitet Bernd Cailloux im Gespräch allerdings.

    "Bei dem German Writing kann man das möglicherweise so sehen im nachhinein. Aber es beschreibt ja eben doch Erfahrungen, versuchsweise eben, so wahr wie möglich. Man kann nicht nach der Theorie erzählen. Würde gar nichts nutzen. Man ist der Mensch, der man ist, und der hat eben nicht mehr zu sagen als andere, der kann dann eben erzählen, und dann fangen natürlich bestimmte Formprobleme an."

    Das Erzählen also, die Arbeit an der Form, versuchsweise, aber so wahr wie möglich, das ist es letztlich, was die Ich-Erzähler in diesen Geschichten den Kopf über Wasser halten lässt - trotz der widrigen Umstände. Denn die Arbeit an der Form, diese Bürde und würdevolle Aufgabe zugleich, kann dem Autor niemand nehmen - das wird in den Geschichten nicht direkt gesagt. Aber das steht deutlich im Hintergrund dieses Erzählprogramms.

    Und um welche erzählerischen Formen geht es Bernd Cailloux konkret? Satiren, sagt er, möchte er keine schreiben. Die Tragikomödie bildet hier vielmehr die Folie.

    " Es sind keine Satiren, weil die Satire ist ja auch eine tote Form. Die benutzt ja kaum noch jemand als Form, weil es eben zuwenig ist, wenn man einen Umstand herausnimmt und den satirisch ausstellt. Der Begriff Tragikomödie, auch im Sinne von Herrn Woody Allen, das gefällt mir schon besser. Tragikomödie haben wir mal erfunden, das ist eine bleibende Form, noch."

    Tragikomödien zu schreiben ist die Lösung von intelligenten Menschen ohne Hoffnung, grundlegend etwas an den vorgefundenen Zusammenhängen ändern zu können. Denn so hat man auch in schwierigen Verhältnissen wenigstens etwas zu lachen. Bei den neuen Erzählungen von Bernd Cailloux kann man das lernen.
    Hier ist sein Lachen noch mal.