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Ein eigener Radiosender für einen souveränen Staat

Mit der Anfang der 1970er Jahre beginnenden weltweiten Anerkennung warf die DDR ihren gesamtdeutschen Anspruch über Bord. Die konsequente Abgrenzung zur Bundesrepublik war oberstes Ziel - auch rundfunkpolitisch.

Von Sylvia Conradt | 15.11.2011
    "Meine Damen und Herren, hiermit beendet der 'Deutschlandsender' seine Tätigkeit."

    In der Nacht vom 14. auf den 15. November 1971 stellte der DDR-Rundfunk den 1948 gegründeten "Deutschlandsender" und das Programm der "Berliner Welle" ein.

    Karl Ryborz: "Im November 1971 war ich gerade unterwegs, war auf Dienstreise, und jemand rief mich an und sagte: 'Du bist entlassen'."

    Karl Ryborz, damals Redakteur beim "Deutschlandsender":

    "Und da kam der Nachsatz: Den 'Deutschlandsender' gibt es nicht mehr, er wurde aufgelöst, es ist ein neuer Sender entstanden, er heißt 'Stimme der DDR'."

    Damit hatte die SED-Führung 1971 rundfunkpolitisch das umgesetzt, was auf politischer Ebene schon länger offensichtlich war: Die DDR verstand sich als souveräner Staat, ein vereintes Deutschland war nicht mehr Ziel der Politik. Wolfgang Mühl-Benninghaus, Medienwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin:

    "Der Deutschlandsender wurde ja gegründet als Sprachrohr Ostberlins oder der damaligen sowjetischen Besatzungszone für Gesamtdeutschland. Und die 'Berliner Welle' wiederum war als Gegenstück konzipiert zum RIAS, also sollte sich auch vorwiegend an das Westberliner Publikum wenden. 1968 ist dann die Ulbrichtsche Verfassung verabschiedet worden, und da wird erstmalig in der Präambel der gesamtdeutsche Anspruch aufgegeben. Was der achte Parteitag unter Honecker dann noch mal bekräftigte. Und insofern steht die Zusammenlegung genau in dieser Abgrenzungspolitik der DDR gegenüber der Bundesrepublik."

    Mit dem Beginn der Ära Honecker war die Führungsrolle der UdSSR wieder als absolut verbindlich anerkannt und damit auch die enge Einbindung der DDR in das sozialistische Staatenbündnis.
    "Es spricht jetzt zu Ihnen der Intendant des Senders, Kurt Goldstein.
    Meine Hörerinnen und Hörer. In dieser Morgenstunde beginnen wir mit unserem neuen Programm."

    Kurt Goldstein, Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebender, stand vorher an der Spitze des "Deutschlandsender":

    "Wir wollen sowohl über die Probleme der sozialistischen Bruderländer beim Aufbau des Sozialismus informieren, als auch in feuilletonistischer und unterhaltender Form über die Bürger, ihren Alltag, ihre Festtage und ihre Freude berichten."

    Ryborz: "Im Nachhinein nannten uns die Kollegen in unserem Umfeld oft die 'Rotkehlchen', (lacht) weil natürlich wir eine ganz andere Blickrichtung hatten."

    Karl Ryborz, nun Mitarbeiter von "Stimme der DDR":

    "Und, das war ja das größte Stück, dass die Nationalhymne nur noch gespielt wurde, nicht mehr gesungen: 'Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, Deutschland, einig Vaterland'. Man kann sich das bei dieser internationalen Situation natürlich vorstellen, weil versucht worden ist, das eigene Staatsgebilde der DDR noch mehr zu profilieren und auf diese Weise den sozialistischen Charakter noch mehr zu unterstreichen und gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine konfrontäre Stellung einzunehmen."

    Auch wenn – wie bei allen Programmen des DDR-Rundfunks – letztlich das Zentralkomitee der SED den politischen Tenor bestimmte, glich das Programm mit Magazin-, Jugend-, Musik- und Kultursendungen bald schon weitgehend westlichen Programmstrukturen.

    "Hallo. Das Jugendjournal."

    Nach der Wende meldete sich die "Stimme der DDR" im Februar 1990 wieder als "Deutschlandsender" zurück, aus dem wenige Monate später der "Deutschlandsender Kultur" wurde, der schließlich mit dem Deutschlandfunk und RIAS Berlin zum öffentlich-rechtlichen Sender "Deutschlandradio" fusionierte, dem nationalen Hörfunk.