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Ein Erneuerer der deutschen Literatur

Er galt als ein Mitbegründer des deutschen Naturalismus: Am 26. April 1863 kam der Schriftsteller Arno Holz auf die Welt. Er widmete sich den Dingen des Alltags in einer gewöhnlichen Sprache - und machte sich selbst gerne groß. Allerdings findet man in seiner Lyrik auch nachdenkliche Töne.

Von Christian Linder | 26.04.2013
    Im Herbst 1929 streifte Arno Holz für einen Augenblick der Weltruhm. Zu den wenigen, die damals nicht überrascht waren, dass sein Name auf der Kandidatenliste für den Literaturnobelpreis auftauchte, gehörte Holz selbst. Als "literarischer Messias" kam er sich vor und scheute sich nicht, in der dritten Person über sich zu sprechen:

    ""… die stärkste Potenz, die dem deutschen Volk seit Goethe geschenkt wurde.""

    Trotz dieses gern zur Schau gestellten Größenwahns war der am 26. April 1863 im ost-preußischen Rastenburg geborene Apothekersohn Arno Holz, der mit seiner Familie 1875 nach Berlin kam, eine Weile als Journalist arbeitete und schließlich freier Schriftsteller wurde, tatsächlich einer der großen Erneuerer der deutschen Literatur.

    Ein Sprachspieler, der mit der Kraft eines Berserkers den alten Kanon verwarf. Nichts mehr von Romantisch-Erhabenem, stattdessen Blicke auf Alltägliches, beschrieben in einer Sprache, die zum Beispiel in der Lyrik alles in einen Reim gepresste Preziöse mied und einen "gewöhnlichen" inneren Rhythmus des Sprechenden hervorkehrte. Sein freier Umgang mit Wörtern zeigte sich oft schon in der Titelwahl: "Er klagt, dass der Frühling so kortz blüht" nannte er ein von Alban Berg später vertontes Gedicht:

    "Kleine Blumen wie aus Glas / seh' ich gar zu gerne, / durch das dunkelgrüne Gras / gucken sie wie Sterne. / Gelb und rosa, rot und blau, / schön sind auch die weißen, / Trittmadam' und Himmelstau, / wie sie alle heißen …"

    Es war Arno Holz, der den Naturalismus mit begründet hat, getreu seiner These:

    "Kunst = Natur – x."

    X stand für den Autor, der sich gefälligst klein zu machen habe, damit die Formel "Kunst = Natur" zur Geltung kommen könne. Das sagte zwar ausgerechnet jemand, der sich selbst gern groß machte und in seinem als "Autobiographie einer Seele" konzipierten, 50.000 Verse langen Lyrikband "Phantasus" in der Nachfolge Walt Whitmans den hymnischen "Gesang seiner selbst" anstimmte; zugleich fanden sich in den Gedichten aber auch kritische Bewusstseinsporträts.

    "Horche nicht hinter die Dinge. Zergrüble dich nicht. Suche nicht nach dir selbst. Du bist nicht! Du bist der blaue, verschwebende Rauch, der sich aus deiner Zigarette ringelt, / der Tropfen, der eben aufs Fensterbrett fiel, / das leise, knisternde Lied, das durch die Stille deiner Lampe singt."

    Trotz seiner Vorliebe für Tiefenbohrungen in seinem Innern vernachlässigte Arno Holz die Beschreibung der Außenwelt keineswegs. Schon in dem Lyrikband "Buch der Zeit" aus dem Jahr 1886 fand sich eine sehr realistische Beschreibung Berlins im ausgehenden 19. Jahrhundert; nach der Jahrhundertwende empfand er die Stadt mit allen Erscheinungen der wilhelminischen Zeit nur noch als bourgeois-verkommen und reagierte mit satirisch-sozialrevolutionären Parolen. Aber mehr als für thematische Motive wie das heraufkommende Maschinen-Zeitalter interessierte er sich für stilistische Fragen, um hinter dem Sichtbaren eine verborgene Welt zu zeigen:

    "Das Unsagbare, Unnennbare, Unbegreifliche … das Aller-Aller-Allereigentlichste"

    Er gab jedem Einfall nach - und kam nicht zum Ende

    Man revolutioniere eine Kunst nur, wenn man ihre Mittel revolutioniere, lautete Arno Holz’ Credo. Er sprühte vor Einfällen, und weil er jedem Einfall nachgab, kam er nie zu einem Ende. Dieses Auswuchernde, Verquere und deshalb auch Unbotmäßige seiner Texte hat ihn aber gerade zu einem der "Väter der Moderne" werden lassen, auf den sich noch viel später experimentelle Autoren der westdeutschen Literatur wie Helmut Heißenbüttel berufen haben:

    "Es ist sozusagen ein negativer Parnass, den er aufstellt und den er dann auch füllt. Er hat einen großen Entwurf gemacht, der Risse hat, der aber da als ein großartiger Entwurf immer noch steht und immer noch nicht wahrgenommen wird."

    Den Literaturnobelpreis hat Arno Holz 1929 nicht bekommen. Im gleichen Jahr starb er, am 26. Oktober, in Berlin. Sein Werk sei immer wieder neu zu entdecken, resümierte Helmut Heißenbüttel, ohne dass man den Autor gleich zu den Unsterblichen rechnen müsse.

    "Komb und gibb mir mitten drin / Küßgens ohnbemessen. / Morgen sind sie längst dahin / und wir selbst vergessen."