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Ein Fehler, den keiner zugeben will

Vor einem Dreivierteljahr, noch im Getöse des Kosovo-Krieges, ließ ein leiser, aber interessanter Ton aufhorchen. Es war der deutsche Außenminister Joschka Fischer, der mitten im Bombardement die Umrisse einer neuen Balkanpolitik zeichnete: keine Drohungen mehr, keine Bomben, keine plumpe Isolation von sogenannten Schurkenstaaten.

Norbert Mappes-Niediek | 12.02.2000
    Statt dessen sollte ein intelligenter, flexibler Zugang zu der Region gesucht werden, die wie der Nahe Osten zum dauernden Krisenherd zu werden drohte. Die Europäische Union sollte die Staaten in Südosteuropa nun mit finanzieller Hilfe an sich heranführen, selbst aktiv versuchen, die ganze Region für europäische Werte zu gewinnen, statt sie in Chaos und Isolation abdriften zu lassen.

    Die Skepsis war groß, denn gute Worte waren auch damals schon viele gesprochen worden. Aber diesmal blieb es nicht bei Worten: In Rekordzeit wurde ein Stabilitätspakt für Südosteuropa zusammen gebastelt. Mit Bodo Hombach wurde ein Koordinator bestellt. Aber schon nach wenigen Wochen war der Schwung verbraucht. Es ging wieder bergab. Der Stabilitätspakt, Hebel der neuen Balkanpolitik, könnte scheitern - nicht am Mangel an Phantasie, sondern am Desinteresse westlicher Regierungen. Nicht ohne Grund hat Hombach schon mit Rücktritt gedroht.

    Was blieb von der neuen Balkanpolitik? Es war ein kleines, aber wichtiges Kernstück: ein neues Verhältnis zu Serbien. Dass es nicht einfach werden würde, war den Beteiligten im Westen von Anfang an klar. Slobodan Milosevic ist vom Haager Gerichtshof als Kriegsverbrecher angeklagt; Kontakte mit der Staatsspitze verbieten sich.

    Statt dessen wollte die Europäische Union zum ersten Mal ernsthaft die schwache, geplagte und oft verzweifelte serbische Opposition unterstützen. Das musste behutsam geschehen, taktisch gut überlegt. Und man musste Sensibilität zeigen für die Stimmung in Serbien.

    Zuerst wurden die Anführer der Opposition nach Washington und Brüssel eingeladen – gedacht als eine Nachricht an die Wähler daheim. Sie sollte zeigen, dass Serbiens pro-westliche Parteiführer in Politikern wie Madeleine Albright, Gerhard Schröder oder Romano Prodi starke Verbündete haben.

    Aber beim Fototermin sollte es nicht bleiben: Eine Dreierkommission wurde gebildet. Ihr gehören Vertreter der EU, der USA und der serbischen Opposition an. Aufgabe der Kommission: die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien aushandeln. Die Überlegung dabei war: Wenn die Opposition es schaffte, dem Westen die Sanktionen auszureden, dann stünde sie endlich als ernst zu nehmende politische Kraft vor dem serbischen Volk.

    Vereinbart war, erst einmal mit zwei Sanktionen der EU anzufangen: dem Flugverbot für die jugoslawische Fluglinie JAT und dem Ölembargo. Zoran Djindjic, der Vorsitzende der Demokratischen Partei:

    Zoran Djindjic: Es ist sehr wichtig in Serbien, dass wir als Partner und nicht als Ausführer, als Instrumente gesehen werden, was der Kern der Propaganda von Milosevic ist. Wenn das geschieht, wenn die Sanktionen aufgehoben werden, das ist ein Sieg für uns, viel wichtiger, viel größer als die Folgen selbst.

    Bisher war es immer Milosevic gewesen, den der Westen als Partner angesehen hatte. Das war Realpolitik. Milosevic hatte nun einmal die Macht in Serbien.

    Zoran Djindjic: Er galt und gilt in Serbien als jemand der praktisch mit dem Westen verhandelt. Und die Opposition gilt als schöne Seele, die da ein bisschen politischen Tourismus macht und sich ein bisschen fotografieren lässt, aber eigentlich nicht ernst genommen wird vom Westen.

    Das sollte besser werden. Mit den Sanktionen gegen Serbien, die die meisten westlichen Regierungen inzwischen für kontraproduktiv halten, bot sich zugleich ein Pfand. Man konnte sich von der Opposition die Aufhebung des Embargos abhandeln lassen und würde so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen hätte man selber einen eleganten Ausstieg aus der Sanktionspolitik gefunden, zum anderen hätte man in Serbien eine gestärkte Opposition.

    Noch eine zweite Idee wurde im letzten Sommer geboren: Die Europäische Union wollte den bombardierten serbischen Städten, in denen im Winter beträchtliche Kälte herrschen würde, Heizöl liefern – als humanitäre Hilfe, wie sie Be-dürftigen auf der ganzen Welt geleistet wird, unabhängig davon, wie sympathisch man ihre Regierung findet.

    Aber früh schon regten sich die ersten Bedenkenträger: Konnte man wirklich auch an Städte Öl liefern, in denen die Partei von Milosevic am Ruder war? Aus der Absicht zu humanitärer Hilfe wurde ein Programm mit dem zweideutigen Namen "Energie für Demokratie".

    Der Winter ist in ein paar Wochen vorbei; bisher haben ganze zwei oppositionsregierte Städte in Serbien, Nis und Pirot, Öllieferungen der EU erhalten. Zoran Djindjic ist ernüchtert:

    Zoran Djindjic: Wir hatten das Energy-for-democracy-Projekt begonnen im Juni 99, bis jetzt praktisch nur in 2 Städten implementiert, nicht vollständig implementiert. Angekündigt für alle Städte, feierlich angekündigt und garantiert von der EG, angekündigt, dass 40 Millionen Euro bereitstehen für das Projekt. Und dann kam vor 10 Tagen die Nachricht, dass die EU nicht genug Geld für diese Zisternen, um die zu bezahlen, damit das Heizöl nach Serbien kommt. Und wenn die Menschen das hören, dann lachen sie und sagen: Das ist alles Propaganda. Milosevic bekommt aus China 200 Millionen Dollar, ohne das anzukündigen, und die Opposition erzählt monatelang über das große Geld, und am Ende kommen 10 oder 20 Zisternen. Man soll uns nicht erzählen, dass die Leute denken, dass Europa das Geld nicht hat, sondern: die spielen mit denen! Die warten bis Milosevic wieder zurückkommt, um mit ihm dann ernsthaft zu verhandeln.

    Slobodan Milosevic und seine Partei bekommen aus Russland zu Sonderkonditionen Erdgas geliefert. Und die Volksrepublik China überweist der serbischen Regierung das Zweieinhalbflache eines Betrages, der der EU schon erheblich zu hoch ist. Die reichsten Industrienationen der Welt haben sich bislang auch außer Stande gesehen, der serbischen Opposition nur bei ihren Organisationskosten zu helfen. Noch einmal Djindjic:

    Zoran Djindjic: Das Geld haben wir nicht bekommen. Man denkt in Serbien, wir hätten das Geld bekommen. Man hat generell drei Möglichkeiten, einmal jemanden zu unterstützen, aber sehr diskret, dann jemanden zu unterstützen und darüber zu reden, und dann darüber zu reden und nichts zu tun. Die dritte ist die schlimmste, und wir haben ständig diese dritte. Ständig Geschichten, dass wir unterstützt werden und eigentlich wenig oder gar nichts, und selbst unsere Leute denken, dass wir das Geld haben.

    Nicht einmal die für den Westen völlig kostenlosen Maßnahmen in dem Stabilitäts-Paket, die Aufhebung des Flug- und Ölembargos, haben funktioniert. Die beiden Sanktionen entfalten fast nur paradoxe Wirkungen. Öl zum Beispiel hat Serbien noch nie in der Europäischen Union gekauft. Das Nachbarland Bulgarien beachtet das Embargo nicht, und es hat, solange die Raffinerien in Serbien nicht wieder funktionieren, sogar die Verarbeitung des im Irak oder in Libyen erworbenen Rohöls übernommen.

    Statt die beiden Maßnahmen nach dem Krieg gleich wieder aufzuheben, glaubten zwei der 15 EU-Staaten, sie könnten sich noch etwas für die Aufhebung einhandeln. Hierzu meint Predrag Simic, der Chefberater des serbischen Oppositionsführers Vuk Draskovic:

    Vuk Draskovic: Dass es kein Öl gibt, liegt nicht am Embargo, sondern weil wir kein Geld haben. Wir haben gedacht, es wird besser, wenn die Sanktionen aufgehoben werden, wir haben dann wenigstens ein starkes Argument. Aber ich muss sagen, dass wir damit richtig gegen die Wand gefahren sind, und ich weiß nicht wie wir mit dieser Dreierrunde da wieder herauskommen. Ich war bei den Verhandlungen dabei: Es war klar, dass der Westen seine Versprechen nicht halten würde. Beim Ministerrat in Berlin hat Joschka Fischer zur serbischen Opposition gesagt: Vereinigt euch, und wir werden die Sanktionen aufheben. Wir haben uns vereinigt, die Sanktionen sind in Kraft.

    Für diesen fatalen Zusammenhang hat sich die serbische Opposition inzwischen eine Hohn- und Spottkampagne ein-gefangen, die ihr bei den bevorstehenden Kommunalwahlen sehr weh tun könnte. Die Regierung, gebildet von den Milosevic-Sozialisten, den Radikalen des Vojislav Seselj und der sogenannten Jugo-Linken mit der Milosevic-Gattin Mira Markovic, ist längst wieder in der Offensive. Sie hofft, der Opposition nun auch die vielen Rathäuser wieder abzunehmen, die demonstrierende Serben vor vier Jahren erobert hatten. Predrag Simic kommentiert das Ergebnis der europäischen Hilfsaktion so:

    Predrag Simic: Ich würde sagen, der Westen hat nicht die Opposition vereinigt, sondern die Herrschenden.

    Dass die Allianz mit dem Westen, die der Opposition eigentlich helfen sollte, ihr in Wirklichkeit nur noch schadet, ist mehr als ein zynisches Apercu. Die Anführer der serbischen Demokraten überlegen ernsthaft, ob sie die Zusammenarbeit nicht einstellen sollen, wenn die Europäische Union und die USA es am kommenden Montag in Brüssel wieder nicht schaffen, das Flug- und das Ölembargo aufzuheben.

    In Washington wurde am Donnerstag bekannt, dass der Westen die Sanktionen gegen Serbien ändern will, um das Regime in Belgrad härter zu treffen und die Lasten für die Bevölkerung zu verringern. Vorgesehen ist nach einem amerikanisch-britischen Vorschlag, zunächst für sechs Monate das Flug-Embargo zu suspendieren. Gleichzeitig soll das Visa-Verbot für hohe Mitarbeiter und Freunde von Milosevic verschärft und die Zusammenarbeit westlicher Firmen mit Belgrad nahe stehenden Unternehmen weiter eingeschränkt werden.

    Vom Aufheben des Öl-Embargos ist zur Zeit nicht die Rede. Doch dies ist der Opposition genauso wichtig wie die Suspendierung des Flugverbots.

    Zoran Djindjic: Wenn diese zwei, die sehr symbolisch sind und nicht sehr effektiv, nicht bis Mitte Februar aufgehoben werden, dann ist die Frage, ob für uns als Opposition in Serbien vielleicht empfehlenswert wäre, eine Pause in den Beziehungen zu den westlichen Ländern einzulegen und sagen: Bis zu den Wahlen halten wir das auf sehr niedrigem Niveau, weil das schadet uns.

    Das Verrückte ist, dass das Embargo selber praktisch gar keine Bedeutung hat. Nur seine Aufhebung sollte eine Bedeutung bekommen – eine symbolische. Die hat es durch das Taktieren der EU auch tatsächlich bekommen. Bloß deutet das Symbol genau in die falsche Richtung.

    Wirtschaftssanktionen galten vor zehn Jahren, nach dem Ende der Blockkonfrontation, als ein Mittel, widerspenstige Regime zum Einlenken zu bringen. Vorher gab es nur wenig Erfahrungen mit dem Instrument: Da war das Embargo gegen Cuba, ein Misserfolg, und das gegen Südafrika, das einerseits als Erfolg galt, andererseits aber nie wirklich eingehalten wurde.

    Als Jugoslawien 1991 von der EU und im Mai 1992 vom Weltsicherheitsrat mit einem Handelsembargo belegt wurde, war das Mittel gerade in Mode. Heute halten es alle für gescheitert. Dragoslav Avramovic, Kandidat der serbischen Opposition für das Amt des Premierministers und vor seiner Pensionierung Direktor der Weltbank, weiß auch warum:

    Dragoslav Avramovic: Sanktionen funktionieren genau so wie die Prohibition früher in den USA. Die Prohibition hat zu einer enormen Welle von Kriminalität geführt. Und das Verbrechertum hat man nicht in den Griff bekommen, bevor die Prohibition abgeschafft wurde. Genau dasselbe geschieht hier. Ich bin sicher: Wir sind heute eines der übelsten Verbrechensgebiete. Sie haben ideale Bedingungen für Schmuggel. Sie haben das Kosovo, wo niemand weiß, wer zur Polizei gehört. Sie haben Mazedonien, Albanien, und sie haben Montenegro. Das ist alles eine gigantische Schmuggelaktion, und die Sanktionen sind die Wurzel von allem.

    Die jüngsten Belgrader Morde an dem Freischärlerführer und Unterweltkönig Arkan und jetzt am Verteidigungsminister Pavle Bulatovic illustrieren, wie weit die Kriminalisierung der Gesellschaft schon fortgeschritten ist. In einem halblegalen Wirtschaftssystem, wo die Händler ständig auf den Staat angewiesen sind, um sich Lizenzen ausstellen zu lassen und um Sicherheit für ihre Lieferungen zu bekommen, wo schließlich wichtige Güter rationiert werden müssen, schießt Korruption aus dem Boden wie Pilze nach dem Sommerregen, glaubt der Ökonom Avramovic:

    Dragoslav Avramovic: Wenn es Wettbewerb auf dem Ölmarkt gäbe, würde man dort, auf dem freien Markt, sein Heizöl kaufen. Aber so wie es jetzt ist, haben wir keinen freien Markt, und deshalb ist die Versorgung rationiert. Rationierung bedeutet, dass Öl nur bekommt, wer eine Lizenz vorweist. Die Regierung gibt sich die Lizenzen vorwiegend selber, ihren Gesellschaften und den engsten Freunden, und der Ölpreis auf dem schwarzen Markt steigt auf das Zwei- bis Dreifache dessen, was auf einem offenen Markt bezahlt würde. Das Öl kommt sowieso ins Land. Das einzige was passiert, ist eine Preissteigerung. Die einfachen Leute, die Benzin brauchen, bezahlen, und eine begrenzte Zahl von Leuten hat ein Monopol. Die verdienen Geld damit.

    Was Avramovic hier vorführt, ist ein Grundkurs in markt-wirtschaftlicher Ökonomie, deren Einführung die inter-nationale Gemeinschaft dem Lande des Slobodan Milosevic dringlich ans Herz legt. Avramovic versteht nicht, dass gerade die Amerikaner, als besonders überzeugte Anhänger der freien Marktwirtschaft, ihre Erkenntnisse auf Jugoslawien partout nicht anwenden wollen.

    Dragoslav Avramovic: Und wenn es um internationale Beziehungen geht, folgen die Amerikaner ihren eigenen Prinzipien nicht mehr. Sie greifen zu eben den administrativen Bestimmungen, die sie im eigenen Land für ein Desaster halten. Aber sie sind auch international ein Desaster: Da gibt es überhaupt keinen Unterschied.

    Die Annahme jedenfalls, man könne mit Sanktionen einen plötzlichen Mangel schaffen, der die Menschen dann zur spontanen Erhebung gegen ihre schlechte Regierung verleitet, diese Annahme hat sich als kurzschlüssig und naiv herausgestellt. Eine nationale Regierung hat zahlreiche Möglichkeiten, solche Reiz-Reaktions-Ketten zu stören. Statt zum Volksaufstand kommt es zunächst zu einer langsamen Umverteilung von Geld und Macht:

    Dragoslav Avramovic: Sie können einem Land ein bestimmtes Gut nicht wirklich entziehen. Sie zwingen es nur, mehr dafür zu bezahlen. Zu gleicher Zeit findet innerhalb des Landes eine Umverteilung statt - und zwar zugunsten der Stärkeren. Das sind die Regierung und die Mafia. Und die einfachen Leute bezahlen. Und der Westen wundert sich, dass die Sanktionen nicht funktionieren. Sie können nicht funktionieren!

    Was aber funktioniert, ist die Entlastung, die das Regime durch den Wall der Sanktionen erfährt. Entlastung in politischer Hinsicht, weil man jetzt einen Sündenbock hat für die eigene Misswirtschaft. Und Entlastung ganz direkt in wirtschaftlicher Hinsicht. Eine klassische paradoxe Wirkung, meint Avramovic:

    Dragoslav Avramovic: Ein großer Teil unserer Industrie fährt Verluste ein, vor allem der Metallsektor. Ohne Sanktionen muss die Regierung diese Branchen betreiben. Es gibt Vollbeschäftigung, und statt Geld zu verdienen, verliert die Regierung welches. Unter dem Regime von Sanktionen muss sie aber die Betriebe schließen. Die Leute verlieren ihren Job, und Sie bekommen genau den paradoxen Effekt - ganz abgesehen von den politischen und psychologischen Folgen: Die Menschen leiden, der Staat macht Geld.

    Verteidiger der Sanktionen findet man heute so gut wie nicht mehr - weder in Belgrad, noch in den westlichen Hauptstädten. Auch die Briten und Niederländer, die bislang gegen die Aufhebung der Sanktionen waren, sind mittlerweile von dem Widersinn überzeugt – bloß meinen sie, es komme auf den besten Zeitpunkt für die Aufhebung an.

    Der oppositionelle Gewerkschaftsführer Branislav Canak beklagt vor allem das Problem, dass seit der Einführung der Sanktionen eine Mobilisierung der Arbeiterschaft kaum mehr möglich ist. Auch Canak greift zur Erklärung weniger auf die psychologischen als auf die handfesten wirtschaftlichen Folgen des Embargos zurück.

    Branislav Canak: Es hat dem Regime geholfen, frühzeitig Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Als die ersten Sanktionen eingeführt wurden, war das eine großartige Hilfe für die Regierung, auf einen Schlag 750.000 Arbeiter auf Kurzarbeit null zu schicken, ein Drittel aller serbischen Arbeitskräfte. Das heißt: Alle möglichen Spannungen waren schon mal um ein Drittel geringer, aber man muss das multiplizieren. Wir haben das gespürt, was unsere Möglichkeiten zur Organisierung von Arbeitern betrifft. 750.000 sind aus den Fabriken verschwunden. Aus qualifizierten Arbeitern wurden Schwarzhändler und Schwarzarbeiter; viele sind schon seit Jahren im Geschäft.

    Natürlich wettert auch das Regime kräftig gegen die Sanktionspolitik. Solche Tiraden sind notwendig, weil man für das Elend und die schlechte Stimmung im Lande ja stets den Schuldigen benennen muss. Aber ernsthaft tut Belgrad nichts dafür, das Embargo aufzuheben.

    Predrag Simic: Von der Regierung habe ich in der letzten Zeit nicht einmal gehört, dass sie die Aufhebung der Sanktionen verlangt hätte. Im Gegenteil, die Sanktionen liegen ja auch objektiv in ihrem Interesse. Solange das Land isoliert ist, sind sie sich ihrer Macht um so sicherer.

    Der Schattenpremier der Opposition, Dragoslav Avramovic, betrachtet die Verrenkungen der internationalen Gemeinschaft inzwischen mit mildem Spott. Er ist dazu übergegangen, die Treppenwitze der Diplomatie zu sammeln. Noch hat die EU es zum Beispiel nicht geschafft, das Flugverbot für die Luftlinie JAT abzuschaffen. Dabei könnte der staatseigenen Firma eigentlich nichts Schlimmeres passieren, als dass sie endlich wieder zu westeuropäischen Destinationen fliegen dürfte.

    Dragoslav Avramovic: Schauen Sie, wenn die JAT ihre Flugzeuge verleiht, bekommt die Regierung direkt Geld herein – eine klare Sache. Sie bekommt wenigstens genug, um die Kosten zu decken, und auch noch einen Gewinn. So einfach ist das. Wenn die JAT aber ihre eigenen Linien fliegt, dann fliegt sie meisten Verluste ein. Dann sind zwar die Piloten beschäftigt, die Reparaturcrews auch, es gibt mehr Beschäftigung dadurch, mehr allgemeines Einkommen – aber die Regierung verliert Geld, wenn sie die Flugzeuge nützt. Da haben Sie also exakt die paradoxe Wirkung, das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Man sagt, die Sanktionen bestrafen die Regierung. Das tun sie nicht. Sie bestrafen die Leute, die am Flughafen Belgrad arbeiten. Die Regierung verdient Geld damit.

    Hätte der Westen auf eine Politik gegen Milosevic einfach verzichtet statt untaugliche Mittel an ihm zu erproben, wäre sein Regime vermutlich schon gefallen, heißt es in Oppositionskreisen in Belgrad. – Ein bitterer Gedanke, der zu allerlei unerhörten Schlussfolgerungen einlädt. Aber jetzt, da der Westen mit der Materie nun einmal befasst ist, muss er auch seine Fehler korrigieren. Grund zur Hoffnung ist das keiner. Die Fehler der letzten neun Monate sind schließlich alle schon bei der Korrektur passiert.