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Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral

"Arbeit ist das halbe Leben", "Ohne Fleiß kein Preis", "Wer rastet, der rostet" - alles Quatsch, dachte sich wohl Konstantin Faigle und machte sich auf, den Mythos Arbeit zu entthronen. Was sich erst einmal witzig anhört, ist es eigentlich gar nicht. Die Doku "Frohes Schaffen" ist bitterer Ernst.

Von Michael Meyer | 30.04.2013
    "Hinlegen ... und fertig. Man spürt lediglich das Flimmern des eigenen Nervensystems. Dann lässt man seinen Blick durch den Raum schweifen, durch sein eigenes kleines Universum."

    Erstmal ein Nickerchen machen, die kleine Siesta für die Seele zwischendurch. Oder auch: Die Kunst des Müßiggangs. Was in anderen Kulturkreisen vor Jahren noch üblich war, geht auch dort immer mehr verloren: Heute wird durchgeackert, zehn, zwölf, Stunden am Tag – auch schon mal am Wochenende, oder im Schichtdienst. Von "downsizing" oder "shifting" keine Spur. Wer geglaubt hatte, das Arbeitspensum würde irgendwann mal weniger werden, sieht sich getäuscht: Wir arbeiten heute zwar produktiver, aber eben nicht kürzer, als noch vor Jahren. Darüber hinaus, so sagt im Film die britische Evolutionspsychologin Susan Blackmore, geht ein Riss durch die Gesellschaften:

    "Es ist zu einer verhängnisvollen Spaltung in unserer Gesellschaft gekommen, zwischen Menschen mit einer absurd hohen Arbeitsbelastung und Menschen, die wenig oder gar nicht arbeiten."

    Und der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin ergänzt:

    "Wir denken immer, dass Arbeit unser Leben definiert. Ein Großteil unserer Existenz waren wir aber Jäger und Sammler, und arbeiteten durchschnittlich drei Stunden am Tag."

    Eine recht utopische Vorstellung in der heutigen digital vernetzten Welt, die niemals zu schlafen scheint.

    "Also, Arbeitsmoral ist für mich die Arbeitsreligion, also diese Überhöhung der Arbeit, dieses Glorifizieren, dass man denkt, Arbeit ist schon sinnvoll, das zu senken, ist ein ehrenwertes Ziel für mich. Also klar meine ich das ernst. Es ist ja eine Religion, und gegen Glauben und Irrglauben muss man ankämpfen."

    Auch Regisseur Konstantin Faigle war in seinem Umfeld zusehends genervt von Bemerkungen wie: "Oh, du gehst mit deiner Tochter ins Schwimmbad, ihr Freiberufler habt es ja gut." Irgendwann kam ihm die Idee zu seinem Dokumentarfilm. Er spricht mit Experten, Wissenschaftlern, Arbeitskritikern – aber auch mit normalen Menschen auf der Straße – und die meisten sagen, sie können sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Interessant daran: Die Kritiker des Rattenrennens, des Arbeitens rund um die Uhr, leben in allen möglichen Ländern: USA, Großbritannien, Österreich und eben auch bei uns.

    "Perspektivisch, glaube ich, müssen die Leute die Grundfragen, die ihr Leben betreffen, umstellen."

    Daher fordert der österreichische Historiker und Journalist Franz Schandl im Film ein ganz neues Denken in den westlichen Gesellschaften:

    "Das heißt, sie müssen nicht mehr fragen, wie mache ich Karriere?, wie bilde ich mich aus?, wie werde ich etwas?, wie setze ich mich in der Konkurrenz durch?, sondern sie müssen ganz andere Grundfragen stellen: Was heißt Individuum, was heißt gutes Leben, wie bewerkstellige ich die Produktion mit anderen Leuten, wie kommuniziere ich?, und dann natürlich ganz zentral: Was ist Glück, was ist Lust, was ist Vergnügen, was ist Genuss?"

    Fairerweise muss man sagen, dass sich all diese Fragen für einen chinesischen Landarbeiter oder indischen Bauern ganz anders stellen: Dort ist man froh, wenn eines der Kinder in der Stadt einen Job gefunden hat, der zwar schlecht bezahlt ist, und täglich viele Stunden umfasst, aber dennoch: Besser, als auf dem Feld zu schuften. Und letztlich, so fragt Regisseur Faigle, geht es um die Frage: Was braucht man zum Glücklichsein? Ist es wirklich nötig, ständig die neuesten Gadgets, das schickste Outfit, das größte Auto zu haben? Nein, sagt der Arbeitskritiker Norbert Trenkle:

    "Also worauf es letztlich ankommt, ist, diesen Zwang zu beseitigen, Geld verdienen zu müssen, um mehr Geld zu machen. Erst dann ist eine Gesellschaft vorstellbar, die sich darüber verständigt, was sie wirklich will, und was sie nicht will."

    Der Film von Konstantin Faigle ist eine unterhaltsame Dokumentation geworden, die zwar total einseitig und mit klarer Botschaft ihre These formuliert, dabei aber niemals mit erhobenem Zeigefinger daherkommt. . Daneben gibt es Spielszenen, die unter anderem die Leere, aber auch den Burnout eines Arbeitslosen und einer Freiberuflerin porträtieren:

    "Löschleit Filmproduktion, hallo?"

    "Ja, hallo, hier spricht Marion Weber, ich glaube wir haben uns letztes Jahr mal auf ihrem Berlinale-Empfang kennengelernt ... für mich hat sich gerade eine Freiphase ergeben, und ich wollte nur mal so fragen, ob bei Ihnen gerade ... .also ob Sie zufällig jemanden suchen gerade?"

    Am Schluss allerdings versteigt sich der Film in philosophische Höhen – wenn etwa das Gärtnern als quasi heilsgleiche Erweckung eines aufgeklärten Individuums gefeiert wird. Naja – man mag dem Film das verzeihen – immerhin ist es auch lustig zu sehen, wie ein Börsenreporter das Prachtstück eines selbst gezüchteten Butterkohlrabi kommentiert.