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Ein Flug ins ehemalige Feindesland

Die Eiszeit zwischen China und Taiwan, das von der Volksrepublik als abtrünnige Provinz betrachtet wird, ist beendet. Die beiden Länder kommen sich Schritt für Schritt näher, und seit wenigen Wochen gibt es wieder eine direkte Flugverbindung. In Gruppen können chinesische Touristen die Insel erkunden.

Von Ruth Reichstein | 16.08.2008
    Die Taroko-Schlucht an der Taiwanesischen Küste, einige hundert Kilometer südlich der Hauptstadt Taipeh. Das vom Schlamm grau gefärbte Wasser stürzt in die Tiefe. An der Balustrade oben an der Straße steht ein gutes Dutzend chinesischer Touristen. Verzückt knipsen sie den Fluss.

    Alle tragen sie einen blauen Anstecker mit einer Nummer. Die macht es dem Reiseleiter einfacher, sie zu identifizieren und sie regelmäßig durchzuzählen. Er muss garantieren, dass sie alle wieder zurück fliegen in die Volksrepublik China nach ihrem zehntägigen Urlaub in Taiwan.

    Liu Xang und seine Frau tragen die Nummern 538 und 539. Sie laufen etwas abseits von der Gruppe. Für die Mitreisenden sichtbar wollen sie lieber nichts sagen, nicht mit Journalisten aus Europa sprechen, aus Angst vor möglichen Konsequenzen daheim in China. Gesprächig sind sie nur bei verstecktem Mikrofon. Die Frau, die eine schwarze Baseball-Kappe und ausgewaschene Jeans trägt, spricht gebrochenes Englisch. Ihre Stimme wird von den Wassermassen fast verschluckt:

    "Wir sind nach Taiwan gekommen, weil es so ein offenes Land ist - für jedermann. Wir mögen Taiwan. Es ist wirklich eine sehr schöne Insel. Es ist sehr frei, eine freie Nation, ein demokratisches Land."

    Ihr Mann ist Textilproduzent. Die beiden sind aus geschäftlichen Gründen auch schon in die USA gereist. Aber für viele in ihrer Gruppe ist es das erste Mal, dass sie das kommunistische China verlassen und eine andere Staatsform kennen lernen. Und in Taiwan verstehen sie auch, was die Leute ihnen erzählen, was sie im Fernsehen sehen. Sie sprechen die gleiche Sprache.

    Das bleibt nicht ohne Wirkung, sagt Lin Chong-Pin, Leiter des politischen Instituts Fics, der auch die Regierung in Taipeh berät.

    "Das Verständnis füreinander wird wachsen. Und die Touristen werden unsere Demokratie in ihr Land bringen. Am Abend bleiben sie im Hotel und schauen sich politische Talk-Shows im Fernsehen an. Sie sind fasziniert, wie einfach es hier ist, die Regierung zu kritisieren. Und das werden sie zu Hause ihren Nachbarn erzählen. Das wird nach und nach wachsen - vor allem, wenn wir es schaffen, die Elite anzulocken - Professoren zum Beispiel und auch Parteifunktionäre."

    Noch sind es wenige Chinesen, die nach Taiwan kommen. Liu Xang und seine Frau gehören zu den ersten 18 Gruppen, die ins Land einreisen durften, insgesamt rund 700 Personen. Die Ausreisegenehmigung zu bekommen, ist kompliziert. Nur die Bewohner aus 13 von 31 chinesischen Provinzen können sich überhaupt darum bewerben, und wegen der Olympischen Spiele sind die Sicherheitsauflagen zurzeit noch strenger als sonst.

    Bis zum Jahresende rechnet die Regierung in Taipeh dennoch damit, dass es täglich mehrere Flüge geben wird, die dann jeden Tag bis zu 3000 Touristen ins Land bringen.

    Und diese Touristen könnten aus Taiwan nicht nur demokraktische Gedanken Richtung China exportieren, sie könnten umgekehrt der brachliegenden taiwanesischen Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Eine Frischzellenkur für den Tourismus bedeute die Aufnahme der Direktflüge in jedem Fall, sagt Manfred Haertl, Finanzdirektor bei der Taiwanesischen Niederlassung von Siemens. Aber auch Geschäftsleute sparen mit den Flügen vier Stunden Reisezeit :

    "Das wird dazu führen, dass es hier einen Aufschwung geben wird. Die Leute müssen irgendwo ankommen, hinreisen, übernachten. Es leben über zwei Millionen Taiwaner in China in hohen Positionen, weil sie gut ausgebildet sind. Die sehen ihre Familien zurzeit einmal im Quartal wegen der langen Reise. Jetzt wird sich vieles in der Infrastruktur hier ändern. Die Leute kommen am Wochenende nach Hause, geben ihr Geld aus, möchten ein gutes Wochenende haben."

    Auch die Fracht-Transporte könnten demnächst schneller in Taiwan ankommen.

    Dennoch weckt die vorsichtige Öffnung Richtung China Skepsis. So wirft Taiwans Opposition der Regierung vor, die Öffnung nicht gründlich genug vorbereitet zu haben. Eine langfristige Strategie für die Beziehungen zum Festland fehle. Und die Einreise der Chinesen müsse stärker kontrolliert werden. Michael Hsiao, Soziologe an der National Taiwan University in Taipeh:

    "Wir wissen nicht, wie die chinesische Regierung diese Touristen manipuliert. Für uns sind es einfach nur Touristen. Aber die Pekinger Regierung kann sie als Waffen ihrer Propaganda-Maschine benutzen."

    Außerdem befürchten Nichtregierungsorganisationen in Taiwan, dass die Regierung vor allem die Wirtschaftsinteressen im Blick habe und darüber die Menschenrechte vergesse. Schon jetzt, sagt Hsinyi Lin von der Taiwanesischen Liga für Menschenrechte, werde die Meinungsfreiheit eingeschränkt:

    "Einige Nichtregierungsorganisationen haben versucht, diesen chinesischen Touristen Informationsmaterial über die politische Situation in China zu geben. Aber die lokalen Behörden haben es ihnen untersagt. Dabei haben sie nichts Verbotenes getan."

    Die Touristen aus China sind sich der politischen Hintergründe ihrer Urlaubsreisen durchaus bewusst. Lui Xang aus Shanghai, mit der Gruppennummer 538 erzählt, viele Touristen müssten vor ihrer Abreise eine Kaution hinterlegen - schließlich seien in den vergangenen Jahren Chinesen, die über Drittländer eingereist waren, spurlos verschwunden. Untergetaucht in Taiwan.

    "Ich musste kein Geld hinterlegen. Ich habe China schließlich nicht das erste Mal verlassen und bin bisher immer zurückgekommen. Aber bei den Leuten aus den unteren Schichten haben die beiden Regierungen Angst, dass die Chinesen verschwinden könnten. Das ist ja schon passiert in den vergangenen Jahren und das hat der Regierung in Taipeh viele Schwierigkeiten gemacht."

    Bis zu 30.000 Euro kann die Kaution betragen. Und die Reise in der Gruppe kostet noch einmal rund 2000 Euro. Dennoch glauben Lui Xang und seine Frau, dass der Tourismus ein Bindeglied sein wird zwischen Taiwan und der Volksrepublik - und ganz im Sinne der chinesischen Sprachregelung glauben sie an die Vereinigung von Taiwan mit dem Festland:

    "Wir sind wie Brüder. Wir haben die gleichen chinesischen Vorfahren, die gleiche Sprache, die gleichen Traditionen. Wenn wir hierher kommen, dann fühlen wir uns wie zu Hause. Wir gehören zusammen - wie eine Familie. Wir sind ein Land - wie West- und Ostdeutschland."