Donnerstag, 28. März 2024

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Ein folgenreiches Dogma

Ende 1869 eröffnete Papst Pius IX. das erste vatikanische Konzil. Er ordnete an, dass der Vorlage über die Kirche, über die das Konzil zu beraten hatte, ein Abschnitt über die Unfehlbarkeit des Papstes eingefügt werde. Nachdem das Konzil im April 1870 zunächst die so genannte dogmatische Konstitution über den Glauben verkündet hatte, beschloss es, dass alle vorgesehenen weiteren vorgesehenen Debatten gestrichen und nur noch über die Unfehlbarkeit beraten werden solle. Eine Opposition, zu der etwa 20 Prozent der anwesenden Konzilsväter gehörten, war damit nicht einverstanden. Sie wurde geschickt von den beratenden Kommissionen ferngehalten. Auch die Debatte über die Unfehlbarkeit wurde vorzeitig abgebrochen. Das Konzil endete am 18.Juli 1870 mit dem Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, das für viele auch heute noch der spektakulärste Beschluss ist, den die katholische Kirche je gefasst hat.

Von Peter Hertel | 18.07.2005
    Rom, 18. Juli 1870. Über der sommerlich schwülen Stadt geht donnernd ein Gewitter nieder. Es taucht die Peterskirche in Dunkelheit. Manche Römer halten das Schauspiel der Natur für ein Zeichen himmlischer Zustimmung. Für andere ist es ein Ausdruck des göttlichen Zorns über eine Proklamation im Innern der Peterskirche. Dort verkündet das erste vatikanische Konzil feierlich ein für Katholiken unumstößliches Dogma, das bis heute zu den umstrittensten Beschlüssen der Kirchengeschichte zählt:

    Wenn der römische Papst ex cathedra spricht [...], dann besitzt er [...] jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen zur Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen wollte. [...] Wer sich vermessen sollte, was Gott verhüte, dieser unserer Glaubensentscheidung zu widersprechen, der sei verflucht.

    Zwar ist der Beschluss mit 535 gegen zwei Stimmen verabschiedet worden. Aber nicht einmal die Hälfte aller stimmberechtigten Bischöfe ist bei dieser entscheidenden, feierlichen Zusammenkunft im Petersdom dabei. Die einen sind gar nicht zum Konzil angereist, andere haben ihren Protest durch vorzeitige Abreise zum Ausdruck gebracht.

    Schon zu Beginn des Konzils war nämlich klar gewesen, dass der Papst das Dogma durchdrücken werde, nicht zuletzt aus kirchenpolitischen Gründen: Er bangte um seine, wie er meinte, gottgewollte Herrschaft. Pio Nono sah seine Macht als politischer Souverän durch die italienische Einigungsbewegung bedroht. Protestanten bestritten immer heftiger seine Autorität. Liberale setzten den Willen des Volkes an die Stelle göttlicher Normen. Demokratische Bestrebungen breiteten sich selbst auf katholischen Synoden aus. Gegen diese schlimmen Bedrohungen sollte ein Schutzwall errichtet werden - die unfehlbare, sozusagen göttlich untermauerte Autorität des Papsttums.

    Schon deshalb ging die Mehrheit der Unfehlbarkeitsanhänger mit der Minderheit nicht gerade zimperlich um.

    " Ein neuer Luther! Werft ihn raus,"

    entrüstete sich in der Konzilsaula ein Bischof über einen Opponenten. Auch Pius IX. selbst ließ keinen Zweifel daran, was er von den widerspenstigen Oberhirten insbesondere aus dem Land der lutherischen Reformation hielt:

    " Die deutschen (Bischöfe) sind die schlechtesten, die schlechtesten von allen; der deutsche Geist hat alles verdorben."

    Im Kern besagt das Dogma:

    Wenn der römische Papst eine Glaubenslehre oder eine Sittenlehre als allgemein verbindlich, also zum Dogma, erklärt und sich dabei ausdrücklich auf sein Amt beruft, dann ist diese Lehre unfehlbar. Sie ist es aber nicht etwa deshalb, weil ihr die Kirche zugestimmt hätte, sondern vielmehr, weil sie es aus sich selbst heraus ist.

    Dabei ist die Macht des Papstes jedoch eingeschränkt, wie sich aus den Konzilsdokumenten ergibt:

    Der Papst muss sich zuvor überzeugt haben, dass der Inhalt des Dogmas von den Ortskirchen, also den einzelnen Diözesen weltweit, geglaubt wird, zumindest mehrheitlich.

    Hier mag der Grund dafür liegen, dass seit 1870 nur ein einziger Papst einmal von seiner Unfehlbarkeit Gebrauch gemacht hat, nämlich Papst Pius XII. im Jahre 1950. Alle anderen Äußerungen der Päpste waren - theologisch gesehen - fehlbar, also keine Dogmen, die für katholische Christinnen und Christen letztverbindlich sind.

    Wichtiger als die tatsächliche Anwendung der Unfehlbarkeit war demnach bisher der Autoritätsanspruch, der sich hinter ihr verbirgt. Der Glorienschein des Papst-Dogmas hat nämlich eine Wirkung, die der Kirchenleitung meist nicht unangenehm zu sein scheint. Im Gegenteil: Nicht selten halten katholische Christen wichtige, aber fehlbare Entscheidungen des Papstes und seiner vatikanischen Behörden für unumstößliche Wahrheiten, denen sie ohne Wenn und Aber zu gehorchen haben. Wie viele sich dann danach richten, ist eine ganz andere Frage.