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Ein genialer Journalist, ein originärer Erzähler

Philip Seymour Hofman erhielt für die Darstellung von Truman Capote 2006 im gleichnamigen Film einen Oscar. In seinem bekanntsten Roman "Kaltblütig" analysiert der US-Schriftsteller ein reales Verbrechen. Und auch in "Handgeschnitzte Särge" steht wieder eine Mordserie im Mittelpunkt.

Von Alain Claude Sulzer | 17.05.2011
    Wer mit Truman Capotes literarischer Welt nicht vertraut ist, wird das, was ihm in dieser "Reportage" begegnet, vermutlich von Anfang an nicht für bare Münze nehmen, sondern für eine Novelle halten, obwohl sie nicht als solche deklariert ist. Wer mit Capotes Welt bekannt ist, wird - wenn er den Tatsachenroman "Kaltblütig" kennt, und das wird er ja, da es sich dabei um eines seiner bedeutendsten Werke handelt – zumindest während der ersten Seiten glauben, dass dieses schmale Buch - wie schon "Kaltblütig" – den Spuren einer wahren Geschichte folgt. Denn dies gibt dieser Bericht ja explizit vor: "Hand-geschnitzte Särge. Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen" heißt er. Erschienen ist er 1979.

    Obwohl vom literarischen Ansatz her ähnlich, handelt "Handgeschnitzte Särge" im Gegen-satz zu "Kaltblütig" allerdings nicht von einem zeitlich und räumlich begrenzten ebenso sinnlosen wie brutalen Mord an einer ganzen Familie, sondern von einer über mehrere Jahre verteilten Mordserie; ein gewisses Raffinement kann man deren Ausführung nicht absprechen, ja das Raffinement macht seinen eigentlichen Reiz aus, wenn man bei so brutalen Morden denn davon sprechen darf. Dazu gehört auch, dass das Motiv dieser Ver-brechen lange Zeit im Dunkeln bleibt. Niemand wird bestohlen. Niemand wird um eines Vorteils willen umgebracht. Sollte es Rache sein, so bleibt der Grund der Rache rätselhaft. Dass die Opfer etwas miteinander zu tun haben müssen, scheint bald offenkundig. Aber was? Was wäre ein überzeugendes Motiv, ohne dass kein Weg zum Mörder führt, sofern er sich nicht in flagranti erwischen lässt?

    Nach einem Motiv sucht der Ermittler Jack Pepper bald gemeinsam mit Truman Capote, der ihn in seiner Einschätzung tatkräftig unterstützt.

    Nach mehreren Telefongesprächen mit Pepper reist der an interessanten Fällen immer interessierte Capote an den Ort, an dem sich die Verbrechen ereignen, eine namenlose Stadt "in einem kleinen Bundesstaat im Westen" mit zehntausend Einwohnern, zwölf Kirchen und zwei Kneipen, in denen sich die Protagonisten oft aufhalten werden, um ge-meinsam oder allein eine Menge Alkohol zu konsumieren. Capote lernt dabei bald auch Peppers Braut kennen, die neuerdings zu den potentiellen Opfern des Mörders gehört. Wie alle, die in der Kleinstadt in letzter Zeit auf unnatürliche Weise zu Tode gekommen sind, hat auch sie per Post einen handgeschnitzten kleinen Sarg erhalten, in dessen Inneren ein heimlich aufgenommenes Fotos von ihr lag. Der Mörder also warnt sein Opfer vor, ohne ihm die Möglichkeit eines Auswegs zu gestatten. Eine besonders perfide Art der Be-drohung. Denn bisher ist noch jeder Empfänger gestorben, wobei nicht jeder Tod so offen-sichtlich gewaltsam war wie der erste: Mit Amphetamin gedopte Klapperschlangen hatten einem Ehepaar in dessen Auto innerhalb weniger Sekunden tödliche Bisswunden zugefügt.

    Peppers zukünftige Frau hat ihrem geliebten Ermittler inzwischen nicht nur das Motiv für die Morde, sondern auch den Namen des Mörders geliefert. Davon jedenfalls ist Pepper überzeugt, und nichts und niemand kann ihn davon abbringen. Als er Capote den ver-meintlichen Mörder vorstellt – es handelt sich um eine angesehene Persönlichkeit -, glaubt dieser, ihm schon einmal begegnet zu sein.

    Nun, Verdachtsmomente gegen jemanden zu hegen ist etwas anderes, als eine lückenlose Beweiskette vorzulegen, mit der man ihm seine Verbrechen auch nachweisen könnte. Gemeinsam setzen Jack und Truman Capote alles daran, ihn zu überführen. Wie sie dabei vorgehen, wird zu einem großen Teil anhand der Dialoge geschildert, die die beiden sowohl vor Ort als auch - nachdem Capote wieder abgereist ist - per Telefon zwischen New York und dem kleinen Ort irgendwo im Westen führen. Der Rest sind knappe gehaltene Monologe – oder eher Regieanweisungen - Capotes, in denen wir mit dessen diversen Ge-fühlslagen, Tätigkeiten und Rauschzuständen in allen möglichen Weltgegenden vertraut gemacht werden; lauter Momente, die einem auf jenem Holzweg entlangführen sollen, an dessen Seiten große Schilder mit der Aufschrift "lauter Tatsachen" aufgestellt sind.

    Wenn das keine gute Story und kein Fall für Capote war, dessen Stern im Sinken begriffen war, nachdem es ihm nicht mehr gelingen wollte, an den Erfolg von "Kaltblütig" anzu-knüpfen. Die Veröffentlichung der brillant dokumentierten Geschichte des Mordes an einer Farmerfamilie in Kansas lag inzwischen dreizehn Jahre zurück. Ihr war kein annähernd so erfolgreiches mehr gefolgt.

    Aber natürlich war "Handgeschnitzte Särge" vor allem – oder sogar ausschließlich? - ein Spiel mit der literarischen Methode, die er bereits mehrfach, und am erfolgreichsten in "Kaltblütig", angewandt hatte.

    "Handgeschnitzte Särge" war ähnlich wie Wolfgang Hildesheimers ausgefuchste – fast zeitgleich erschienene - fiktive "Marbot"-Biografie – eine Art Echo auf eine Form, die man meisterhaft beherrschte, die einen womöglich aber auch beherrscht hatte. War "Marbot" eine verspielte Antwort auf Hildesheimers jahrelange Arbeit an der epochalen Mozart-Biographie, waren die "Handgeschnitzten Särge" im Fall Capotes eine forsche Antwort auf das Bild des genialen Journalisten, auf das man ihn inzwischen verkürzt hatte, ein Bild, das jenes des originären Erzählers allmählich zu verdrängen drohte. In beiden Fällen war es so, als müssten sich die Autoren auf literarischem Weg der Geister entledigen, die sie selbst gerufen hatten.

    Versucht man sich über Entstehungsgeschichte und Wahrheitsgehalt kundig zu machen, stößt man auf widersprüchliche Aussagen. Mal heißt es, Jack Pepper sei das Pseudonym für einen Ermittler in "Kaltblütig", der ihm gewisse Details über einen ähnlichen Fall ge-geben haben soll, dann wieder heißt es, die Erzählung sei reine Fiktion. Die Herausgeberin Anuschka Roshani hüllte sich bereits in "Die Hunde bellen", in der die Neuübersetzung zum ersten Mal erschien, in wenig hilfreiches Schweigen.

    Aber eigentlich kommt es auch gar nicht auf den Wahrheitsgehalt an, sondern auf die "Destillation all dessen, was" er, wie Truman Capote sagte, über das Schreiben wisse. Und das war genug, um seine Leser vom ersten bis zum letzten Satz in seinen Bann zu ziehen.

    Truman Capote: "Handgeschnitzte Särge",
    Kein & Aber Verlag