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Ein hochintelligentes, einfallsreiches Theaterbefragungsspiel

Das Maxim Gorki hat dieser Spielzeit das Motto " Aufstand proben" gegeben. In welcher Form sich der junge Regisseur Antu Romero Nunes mit seiner Inszenierung der "Räuber" eingliedert, hat sich Hartmut Krug bei der Premiere angeschaut.

Von Hartmut Krug | 31.08.2012
    Wie viele Regisseure haben sich schon daran abgearbeitet, dem Aufbegehren von Schillers Karl und seiner Räuberbande einen heutigen, politischen Hintergrund zu geben. Schillers Räuber konnten sich austoben in vielerlei sozialen und politischen Ungerechtigkeitssphären, konnten sich gegen ihre Pubertät wehren, mit der Studentenbewegung denken, mit der RAF aufbegehren und schließlich sogar auf dem Mond landen. Der 28-jährige Regisseur Antu Romero Nunes aber sucht nicht nach einer aktuellen Definition des Revolutionsbegriffes mit Schillers sprachlich wie thematisch so hochfahrendem Stück. Nein, er befragt das Stück und seine Figuren. Nicht, indem er psychologische Charakterbilder entwirft, sondern, indem er sie in Erkenntnisdialoge mit sich und mit dem Publikum, besser vor dem Publikum, verwickelt.

    Alles beginnt mit Franz. Der tritt allein, ganz in Schwarz mit Gehrock und Galoschen, an die Rampe vor das Publikum auf offener, leerer Bühne, die nur durch wechselnde Lichtstimmungen verändert wird. "Ist Euch auch wohl", fragt er mit Schiller nicht seinen Vater, sondern das Publikum, das er in die Rolle des Vaters verweist. Und dann spielt er sich ganz allein, eine volle Stunde lang, durch einzelne Texte und Szenen des Stückes, auf das er aus der Perspektive einer kräftigen Theaterfigur blickt. Wenn er den Vater im Dialog mit Franz zeigt, wendet er dem Publikum den Rücken zu und spricht mit unterschiedlicher Stimme beide. Dabei macht er den Alten mit greinender Diktion nicht nur zum tapprigen Greis, sondern zitiert unentwegt unterschiedliche Theaterkonventionen des Spiels. Paul Schröder springt in seine Rolle, tritt aus ihr heraus und kommentiert, zitiert und spielt die anderen Figuren an. So erscheint Karl als Jammerbürschchen und Franz selbst als tougher Durchblicker. Wie der junge Schauspieler Paul Schröder diesen Franz zum sophistischen Gedankenspieler werden lässt, der nach seinen Schranken und Entgrenzungen sowie nach Darstellungsmöglichkeiten sucht, das ist ein furioses und immer wieder urkomisches Spiel von mimisch-gestischer und körperlicher Beweglichkeit. Nach ihm gehört Amalia allein die Szene. Wie bei Schiller bekommt sie weit weniger Zeit. Sie muss sich gegen Befingerung wehren, wo sie doch eine eher körperlose, über sie hinausreichende Liebe wünscht. Aenne Schwarz streift als Amalia bald ihre körperlange schwarze Kleiderhülle ab, dann steht sie im purpurblauen Abendkleid da, singt ein Liebeslied und durchfühlt die heroische Liebesgeschichte von Hector und Andromache und bewundert in der Nacherzählung Karls Heldentum als Fahnenträger im Krieg.

    Wenn nach ihrem Abgang mal wieder das Saallicht angeht, glaubt das Publikum an eine Pause. Doch nur ein mächtiges Getöse und Geknalle hebt an, - Theaterfeuer, sagt Karl, der aus Rauchschwaden an die Rampe tritt. Franz Klammer macht sich als Karl-Darsteller zum selbstreflexiven Entertainer:

    Pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert. Zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden des Altertums zu verhunzen, mit Trauerspielen. Wie sollst`nach solchen Sätzen weiterspielen, ja?

    Klammer zitiert andere Schauspieler und Inszenierungen und sagt wie seine Kollegen gelegentlich auch Schiller'sche Szenen an. Doch wer seinen Schiller nicht kennt, der hat hier nur das halbe Vergnügen. Wenn Klammer seine manchmal eingestandener weise geklauten Gags erläutert, entwickelt er mit Schillers Texten auch eine Befragung von möglichen Spielweisen und inneren Haltungen. Das alles macht Klammer so locker und unaufdringlich anmacherisch, dass man selbst einige Längen in seinem Monolog hinnimmt. Grandios, wie Klammer die einzelnen Bandenmitglieder mit kleinen Gesten charakterisiert. Wenn sein Karl sich in eine Kriegskämpferrolle hineinsteigert, steht schließlich ein schwarzer Kapuzenchor im Zuschauerraum auf und begibt sich als Räuberbande auf die Bühne. Klar, dass dieser Karl es nicht schafft, seine Pistole zu laden, sodass Amalie entnervt von der Bühne geht.

    Schillers Räuber, gegeben in drei Monologen in zweieinhalb pausenlosen Stunden: Das war ein sehr direkter und zugleich intellektueller Spaß und ein hochintelligentes, einfallsreiches Theaterbefragungsspiel. Das Publikum war begeistert. Zu Recht.