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Ein Hohelied auf die Kraft der Literatur

Die Macht der Tradition ist ein zentrales Merkmal in Badreya El-Beshrs Werk "Der Duft von Kaffee und Kardamom". Anhand der Protagonistin Hind zeigt El-Beshr die Geschichte einer langsamen und mühevollen Befreiung - und die Kraft des freien Wortes.

Von Kersten Knipp | 24.03.2011
    Gäbe es den Kaffee nicht, wer weiß, wie diese Geschichte verlaufen wäre. Weniger glücklich vermutlich, längs nicht so kühn und wagemutig. Denn woher hätte Hind dann ihre Ideen nehmen sollen, die ihre Fantasie befeuern, ihre Gedanken entzünden können? Denn der Kaffee, versetzt mit grünem Kardamom, er ist der große Inspirator, er setzt Kräfte, Gedankenkräfte frei, die in dieser Wucht sonst kaum denkbar wären. Seit Generationen entfaltet der Kaffee schon seine segensvolle Wirkung, und es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, er habe eine geradezu transzendente Wirkung.

    "Die meisten Geschichten dieses Haus wurden beim Kaffeetrinken gewebt", heißt es auf den ersten Seiten dieses Romans. "Die Kaffeetrinker befreien sich von den Fesseln der schnöden Realität. Nach der dritten Tasse wird irgendeine Geschichte erzählt, immer wieder in anderer Fassung, sie ist also nie die gleiche." Man ist versucht, angesichts solcher Zeilen an 1001 Nacht zu denken, an Scheherazade und ihren endlosen Kreis stets neuer Erzählungen. Richtig daran ist vor allem, dass es beim Geschichtenerzählen heute wie damals um Leben und Tod geht. Scheherazade bewahrte sich mit ihren Geschichten vor dem Todesurteil, das König Schahrayâr Morgen für Morgen über sie zu verhängen droht. Heute geht es hingegen um das intellektuelle und psychologische Überleben.

    Badreya El-Beshr, in den frühen 60er-Jahren in Saudi Arabien geboren, erzählt in ihrem Roman "Der Duft von Kaffee und Kardamom" die Geschichte von Hind, einer jungen Frau, die mit der der Autorin in erheblichem Maß identisch sein dürfte. Es ist die Geschichte einer Befreiung, der Befreiung von einer Tradition, die denen, die in Saudi Arabien als Mädchen zur Welt kommen, nur sehr bedingt attraktiv erscheinen kann, um es zurückhaltend zu formulieren.

    Um es aber von Anfang an klarzustellen: El-Beshr beutet diese Tradition nicht literarisch aus, sie hat keinen Skandalroman geschrieben, keine plattes, sensationsheischerisches Buch im Stil eines simplen "J´accuse", "Ich klage an". El-Beshr klagt zwar an, aber sie tut es auf sehr zurückhaltende, vornehme Weise. Natürlich kommen sie vor, die Männer, die sich von ihrer widerwärtigsten Weise zeigen: als Vergewaltiger und aufdringliche Lüstlinge, als eifersüchtige Brüder und Ehemänner mit ungebändigten Fantasievorstellungen, was den moralischen Status ihrer Schwestern und Ehefrauen angeht, einen Status, den sie sich fast ausschließlich in seinen extremen Ausformungen vorstellen können: Die Frauen sind entweder vollkommen rein oder völlig verkommen. Irgendetwas in der Mitte, das gibt es in ihrer Vorstellung nicht.

    Entsprechend brutal werden die Frauen "gehalten", so muss man es ausdrücken: eingeschlossen in den Räumen des Hauses, aus denen sie kaum entkommen. Als "Höhle" bezeichnet Hind das Haus, in das sie nach nicht freiwillig vollzogener Ehe mit ihrem Mann gezogen ist. Und es wird sie einige Anstrengung kosten, aus dieser Höhle wieder ans Tageslicht, in die reale Welt zu treten.

    In ihre Schilderungen lässt die Erzählerin immer wieder die Macht einer Tradition erkennen, die die Menschen so werden lässt, wie sie sind. Die ultra-konservative Ausdeutung des Islams ist eine Ideologie, die denen, die ihr unterliegen, kaum Alternativen lässt, kaum Möglichkeiten, sich anders zu entwickeln. Die Dumpfheit der Männer hat ihren Ursprung in der Totalität der Tradition.

    Und doch: Es gibt andere Menschen, Frauen ebenso wie Männer. El-Beshr erzählt von Frauen, die den Hijab, die Gesichtsverhüllung, ablegen, sobald es irgend möglich ist. Sie erzählt von dem 5-Sterne-Restaurant, wo der Hijab ohnehin nicht erwartet wird – und sie erzählt, was es kostet, aus den kleinen Freiheiten eine große zu machen, unabhängig zu werden von den Vorgaben der Tradition. Behilflich ist dabei die Lektüre. Die Geschichten, die die Frauen beim Kaffee spinnen, finden ihre Fortsetzung in den Romanen, die sie lesen. Colin Wilson, Gabriel García-Márquez, Nikos Kazantsakis, das sind die Autoren, deren Werke irgendwie ins Land gekommen sind und die den Frauen andere, dringend benötigte Eindrücke und Ideen bescheren. Das freie Wort, ob es sich nun unter dem Einfluss des Kaffees entfaltet oder über die Seiten der Bücher huscht, das freie Wort weist Hind den Weg.

    Es ist darum nicht übertrieben, El-Bechrs Buch als klassischen Bildungsroman zu bezeichnen, als Roman der Herzens- und Verstandesbildung. So ist der Text ein Hohelied auf die Kraft der Literatur.

    Nicht erstaunlich darum, dass Hind, wie El-Beshr selbst, Journalistin wird. Ihre Texte veröffentlicht sie unter Pseudonym, und als ihr Ehemann ihr das Schreiben zu verbieten versucht und ihre Manuskripte vernichtet, entdeckt sie den Computer, der dank der Passwortmechanismen nicht zuletzt eine uneinnehmbare geistige Trutzburg ist.

    "Ich verschaffte mir einen Internetzugang und richtete eine E-Mail-Adresse ein. Alles, was ich schreiben wollte, meißelte ich in das Herz des Computers ein, dann verschloss ich es. Alles verschwand, sobald ich die jeweilige Seite verließ – wie einst der riesige Geist, der in Aladins Lampe kroch, oder wie Rauch, der sich in Luft auflöst."

    El-Beshrs Roman besticht, weil er kein monolithisches Bild der saudischen Gesellschaft zeigt. Sicher: Sie ist zu großen Teilen erstarrt. Aber es gibt eben auch Menschen, die sich der Macht der Tradition entziehen. Viele Frauen gehören dazu, aber auch Männer. Walid etwa, der Physiker, in den sie sich bereits vor ihrer unglücklichen Ehe verliebt hat – und zu dem sie nach deren Auflösung weiter ein Verhältnis hat. Walid hat mit den Traditionen nichts zu tun –und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er im Ausland studiert hat. Dass es das westliche Ausland war, ist umso bedeutender, als Hinds Bruder Ibrahim ebenfalls eine Zeit lang ins Ausland geht – allerdings nach Pakistan. Von dort kehrt er als Glaubenskrieger und Terrorist zurück, im Kopf den Plan zur tödlichen Mission.

    Badreya El-Beshr beschreibt eine Welt im Übergang. Vor 70 Jahren hatte Saudi Arabien den Einzug der Moderne als Schock erfahren, denn sie kam daher in Gestalt riesiger Bohr- und Fördermaschinen, mit denen die Amerikaner, auf der Suche nach dem schwarzen Gold, das bis dahin so ruhige Beduinenleben in einen Hexenkessel des Kapitalismus verwandelten. Der syrische-saudische Autor Abdalrachman Munif hat davon in seiner Trilogie "Salzstädte" ein beeindruckendes Zeugnis abgelegt. El-Beshr nun beschreibt, wie sich das Land vorsichtig, nein, übervorsichtig, den angenehmeren Seiten der Moderne öffnet, vor allem der Freiheit des Gedankens und des Wortes. Die Widerstände gegen die neue Freiheit sind enorm, und es scheint, als würden sie noch eine ganze Weile weiter bestehen. Aber El-Beshr zeigt die Risse – sehr feine Risse, Haarrisse geradezu, die sich doch verbreiten. Mit wacher Intelligenz und in anmutiger Sprache beschreibt sie eine Gesellschaft, die ihre beste Zeit offenbar noch vor sich hat.


    Badreya El-Beshr: Der Duft von Kaffee und Kardamom
    Aus dem Arabischen von Nuha Sarraf-Forst.
    Köln 2010, Alawi Verlag, 265 Seiten, 19,90 Euro