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Ein Jahr Moralisierungs-Gesetz
Leichter Vertrauensanstieg in Frankreichs Politiker

Dass ihre Spitzenpolitiker korrupt sind, glauben seit dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron nur noch 65 Prozent der Franzosen. Das sogenannte Moralgesetz hat etliche Missstände behoben, etwa die Beschäftigung von Verwandten unter Parlamentariern. Doch vielen Franzosen geht es nicht weit genug.

Von Jürgen König | 09.08.2018
    Das Bild zeigt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) mit seinem Sicherheitsmitarbeiter Alexandre Benalla.
    Präsident Emmanuel Macron machte unlängst in der "Affäre Alexandre Benalla" keine gute Figur (AP / dpa-Bildfunk / Christophe Ena )
    Die Minister der ersten Regierung von Präsident Emmanuel Macron wurden mit 24-stündiger Verspätung ernannt. Man wollte sicher sein und hatte die 2002 gegründete Behörde zur Transparenz des öffentlichen Lebens, Anticor, eigens zur besonders gründlichen Überprüfung aller Kandidaten aufgefordert. Der Vize-Präsident der Behörde, Eric Alt:
    "Hat der zukünftige Minister alle notwendigen Steuererklärungen abgegeben? Hat er Steuerschulden? Ist die Erklärung seiner Vermögensverhältnisse zu beanstanden? Wie sind anderweitige private oder berufliche Interessen zu bewerten? Diese dürfen sich auf keinen Fall mit seinen ministeriellen Aufgaben überlagern."
    Als Emmanuel Macron antrat, hielten rund 75 Prozent der Franzosen ihre Spitzenpolitiker für korrupt. Entsprechend empfanden es die meisten im Land als deutlichen Fortschritt, dass die finanziellen Verhältnisse von Amtsträgern mit dem neuen Gesetz offengelegt und kontrolliert werden sollten. Der erste Justizminister unter Emmanuel Macrons Präsidentschaft, François Bayrou, erklärte es bei der Amtsübernahme zu einem Kernanliegen:
    "Das Gesetz zur Moralisierung des politischen Lebens wollen wir unbedingt noch vor den Parlamentswahlen vorstellen. Ich setze mich seit Jahren für ein solches Gesetz ein, es ist von ausschlaggebender Bedeutung, auf dass die Bürger wenigstens ein Minimum an Achtung und Vertrauen zurückfinden - zum öffentlichen Leben hier."
    Beschäftigung von Verwandten war üblich unter Parlamentariern
    Um "Gleichheit zwischen Bürgern und Parlamentariern" herzustellen, wurden Abgeordneten-Privilegien abgeschafft, etwa gesonderte Rentenansprüche. Gewählte Volksvertreter durften fortan nicht mehr als drei Mandate in Folge ausüben, die sogenannte "Parlamentsreserve" wurde ihnen gestrichen, mit der sie bisher Vereine und Gesellschaften in ihrem Wahlkreis nach Gutdünken subventionieren konnten. Jede Beratertätigkeit wurde ihnen verboten, ebenso jede Beschäftigung von Verwandten oder Familienangehörigen. Seit Jahrzehnten war es unter Parlamentariern die Regel gewesen, Ehefrauen, Ehemänner, auch die eigenen Kinder als Assistenten anzustellen: für ein üppiges Salär aus der Staatskasse. Dies vor allem hatte den Zorn der Bürger erregt, zuletzt im Fall des Präsidentschaftskandidaten der konservativen "Republikaner", François Fillon, gegen den wegen einer möglichen Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau monatelang ermittelt wurde.
    Vielen im Lande ging das Gesetz aber nicht weit genug. Mathilde Mathieu vom Onlineportal Mediapart im Mai 2017 im Sender BFM:
    "Es findet sich nichts darin zur besseren Kontrolle der Parteienfinanzierung, auch wird das ganze Thema Lobbyismus nicht konkret angegangen - es gibt noch viel zu tun."
    Heute finden die Franzosen mehrheitlich, dass das Gesetz viele Missstände behoben hat. Ob es auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder hergestellt hat, ist fraglich. Ausgerechnet François Bayrou, jener Justizminister, der sich so für das Gesetz stark gemacht hatte, wurde schon dessen Opfer, bevor es überhaupt verabschiedet worden war. Nach nur vier Wochen im Amt trat er zurück, nachdem Scheinbeschäftigungsvorwürfe gegen seine Partei MoDem laut wurden, deren Vorsitzender er war. Mit ihm mussten andere Minister gehen, auch Richard Ferrand, der damalige Generalsekretär der Macron-Partei "La République En Marche", der über eine Immobilienaffäre stürzte.
    Größtmöglichste Transparenz? Fehlanzeige in der "Affäre Alexandre Benalla"
    Seit Monaten ermittelt die Justiz gegen den Generalsekretär des Élysée-Palastes, Alexis Kohler, der vor einigen Jahren eine italienische Reederei begünstigt haben soll, zu der er familiäre Verbindungen hat. Und auch Präsident Emmanuel Macron machte unlängst in der "Affäre Alexandre Benalla" keine gute Figur. Er, der mit wahlkämpferischem Pathos "größtmögliche Transparenz" versprochen hatte, sagte über seinen Sicherheitsmann im Élysée, der als Polizist verkleidet zwei Demonstranten zusammengeschlagen hatte, gar nichts, sondern erklärte die undurchsichtige Angelegenheit einfach für beendet. Auch bei seinen Anhängern kam das gar nicht vertrauensbildend an.
    Immerhin, der Prozentsatz der Franzosen, die ihre Spitzenpolitiker für korrupt halten, ist Umfragen zufolge auf 65 Prozent gesunken.