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Ein Jahr Vorsitz der EU-Kommission
Krisenmanagerin von der Leyen

Seit einem Jahr steht Ursula von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission. Geprägt wurde ihre bisherige Amtszeit von der Corona-Krise. Die größte Herausforderung steht für die Präsidentin noch bevor: Die Kommission muss den Aufbauplan für Europa durchbringen, gegen die Blockade von Polen und Ungarn.

Von Bettina Klein | 01.12.2020
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Brüssel im November 2020
Ein Jahr an der Spitze der EU-Kommission: Ursula von der Leyen in Brüssel (Dursun Aydemir / Anadolu Agency)
40 Jahre nach Simone Veill kandidiert eine Frau zum ersten Mal für das höchste Amt der Kommission - mit diesen Worten bewarb sich von der Leyen am 16. Juli 2019 um die Stimmen im Europäischen Parlament. Viel Argwohn begleitete ihre kurze Kandidatur. Keine Spitzenkandidatin, ein Geschöpf von Emanuel Macron, eine Marionette womöglich von Viktor Orban, so wurde sie verdächtigt. Und sie werde wohl schwer um alle Mehrheiten im Parlament kämpfen müssen.
Geehrt und überwältigt konnte von der Leyen in Straßburg jedoch den Abgeordneten für ihre Wahl danken, für das Vertrauen, das man in sie setzte. Es sei das Vertrauen in ein geeintes und starkes Europa, von Ost nach West, von Süd nach Nord.
Zehn Tage nach Amtsantritt im Dezember löste von der Leyen ihr Versprechen an das Parlament ein, einen "Green Deal" zu präsentieren, einen umfassenden Plan zum Kampf gegen den Klimawandel. Sie sprach vom "Mann-im-Mond-Moment" für Europa und versuchte, mit diesen Worten der historischen Bedeutung des Projekts gerecht zu werden.
Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem der RWE Power AG im Sonnenuntergang. Das Kraftwerk Niederaußem ist ein von der RWE Power mit Braunkohle betriebenes Grundlastkraftwerk in Bergheim-Niederaußem ( Rhein-Erft-Kreis ). 
"Green Deal" - Europas Kampf gegen den Klimawandel
Für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist die Begrenzung der Erderwärmung eines der Top-Themen ihrer Amtszeit. Ihr "Green Deal" soll dazu beitragen, dass Europa im Jahr 2050 erster klimaneutraler Kontinent wird. Um das zu schaffen, müssen bisherige Klimaziele verschärft werden.
Der Blick in die Glaskugel erwies sich jedoch schon damals als trügerisch. Niemand konnte ahnen, was von der Leyens erstes Jahr im Amt tatsächlich dominieren und vor welcher Bewährungsprobe - nicht nur Europa - im Jahr 2020 tatsächlich stehen würde.
Dauer-Krisenmodus wegen Corona-Pandemie
Drei Monate später war die Kommission bereits im Dauer-Krisenmodus. Die Ärztin an ihrer Spitze gefordert in der Bewältigung einer Pandemie, die Europa lange so nicht mehr erlebt hatte.
"Was können wir tun um die Auswirkungen von Corona zu verringern? Die Ausbreitung des Virus einzudämmen, die Reaktionen zu koordinieren, die Forschung für Behandlung, Diagnose und Impfstoffe zu beschleunigen, die Auswirkung auf die Wirtschaft abzumildern?"
Darum ging es bereits Anfang März. Noch bevor die Kommission eine bessere Koordination anmahnen konnte, handelten die Mitgliedstaaten auf eigene Faust, schotteten sich und ihre Wirtschaft teilweise ab.
"Tausende Bus- und Lkw-Fahrer an den EU-Binnengrenzen auf Parkplätzen gestrandet, mit hohem Gesundheitsrisiko, Lieferketten in Europa unterbrochen."
Die Kommission war gefordert, schnellstmöglich das Funktionieren des Binnenmarkts wiederherzustellen, unter anderem durch sogenannte grüne Spuren, die dem Warenverkehr Vorrang einräumten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der EU am 16.09.2020 in Brüssel, Belgien
Rede zur Lage der Europäischen Union
Ursula von der Leyen hat als erste weibliche EU-Kommissionspräsidentin eine Rede zur Lage in der Europäischen Union gehalten. Dabei überraschte sie unter anderem mit ihren Forderungen zum Klimaschutz, einer Absage an Lohn-Dumping und deutlichen Worten zum Thema Asylpolitik und Rassismus.
Zustimmung auch von den Sozialdemokraten
Die deutschen Sozialdemokraten hatten von der Leyen im Europäischen Parlament nicht mitgewählt. Der Kritik in diesem Kontext schließt sich Jens Geier, Vorsitzender der SPD-Gruppe im Parlament dennoch nicht an.
"Also, ich finde das Krisenmanagement der Kommission in der Corona-Krise war in Ordnung. Die Gesundheitspolitik ist ja nur zu einem kleinen Teil europäische Kompetenz. Den Großteil möchten die Mitgliedstaaten da schon noch selber machen. Und die waren sicherlich von der Wucht der Pandemie erstmal überrascht."
Medizinerin von der Leyen in ihrem Element
Mit täglichen Videos in drei Sprachen informierte von der Leyen in der Hochphase der Pandemie die Bürgerinnen und Bürger, was die Kommission in Sachen Krisenbewältigung unternimmt. Von der Leyen schien dabei nicht nur als Poltikerin, sondern auch als Medizinerin in ihrem Element zu sein. Nicht zuletzt insgesamt sechs Verträge mit Impfstoffherstellern wurden bis jetzt abgeschlossen, stets angekündigt durch jeweils einen eigenen Presseauftritt. Von der Leyen, die im Berlaymont-Gebäude nicht nur arbeitet, sondern auch lebt, vermittelte den Eindruck im Dauereinsatz zu sein. Auch wenn es zwischenzeitlich Kritik gab, sie stimme sich zu sehr im engsten Kreise ab und stehe nicht ausreichend für Pressekonferenzen zur Verfügung.
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und Bundeskanzlerin Angela Merkel.  
Von der Leyen setzt auf starke deutsche Präsidentschaft
Für Schwung und auch mal für Druck bei schwierigen Verhandlungen solle die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sorgen, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) im Dlf. Vom geplanten milliardenschweren Corona-Wiederaufbauplan der EU könne die Bundesrepublik profitieren.
Aufbauplan für das krisenbelastete Europa
Nach einer deutsch-französischen Vorab-Einigung stellte von der Leyen am 27. Mai den Aufbauplan für Europa vor. Ein Krisenbewältigungsinstrument von 750 Milliarden Euro, das auf den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen aufgesetzt wird. Doch Polen und Ungarn blockieren den EU-Haushalt und den Wiederaufbauplan - aus Protest gegen die bereits verabschiedete Rechtsstaatsregelung.
"Es ist sehr schwer vorstellbar, dass irgendjemand in Europa irgendetwas dagegen haben könnte."
Sagte von der Leyen kürzlich vor dem Europäischen Parlament. Sie appellierte an beide Staaten, die Mittel freizugeben, die für die am schwersten von der Krise Betroffenen gedacht sind. Es stehe ihnen frei, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, anstatt einen Streit auf Kosten der Bedürftigsten auszutragen. Den versucht derzeit die deutsche Ratspräsidentschaft zu schlichten. Ob dies gelingt, wird auch darüber entscheiden, in welchem Krisenmodus von der Leyen ihr zweites Amtsjahr in Europa durchlaufen wird.