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Ein Jahr Zuzugsstopp in Salzgitter
Weniger Flüchtlinge, mehr Geld für Integration

Der Zuzugsstopp für Flüchtlinge nach Salzgitter hat nach Auskunft der Kommune positiv gewirkt. Die Maßnahme war laut Oberbürgermeister Klingebiel zwingend notwendig, um die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten. Die Warteschlangen etwa bei Deutschkursen für Flüchtlinge seien so kürzer geworden.

Von Dietrich Mohaupt | 25.10.2018
    In der Fußgängerzone von Salzgitter-Lebenstedt ein Mann an einer großen Steinkugel vorbei, welche die Erdkugel darstellt. Damit soll an die internationalen Verbindungen der niedersächsischen Industriestadt hingewiesen werden.
    Erdkugel-Skulptur in der Fußgängerzone von Salzgitter-Lebenstedt (dpa / Wolfgang Weihs)
    Muhammed Abd Al Karim ist Palästinenser. Vor gut drei Jahren kam er nach Deutschland. Seit 2017 leitet er eine Erzählwerkstatt in der Begegnungsstätte Start.Punkt in der Berliner Straße in Salzgitter-Lebenstedt. Dreimal in der Woche werden hier Flüchtlingskinder spielerisch an die deutsche Sprache herangeführt werden.
    Eben kein ganz normaler "Grundkurs Deutsch" für Kinder, erläutert Petra Behrens-Schröter von der Diakonie Salzgitter, einem der Träger der Anlaufstelle. "Herr Abd Al Karim versucht die Kinder so zu erreichen - er spricht mit ihnen syrisch und deutsch, beide Sprachen werden trainiert, und über das singen, tanzen, schwimmen lernen, über Sport kommen sie ganz anders in Begegnung und Bewegung und … sie sprechen nicht mehr über das, was sie im Krieg erlebt haben, das wollen sie nicht, aber sie sprechen über das, was sie hier in Deutschland erleben und hier in Salzgitter, wo ihre neue Heimat für sie ist und wo sie einfach Kind sein wollen."
    Teils chaotische Zustände vor dem Stopp
    Integration braucht Zeit - und die lässt man sich hier. Vor gut einem Jahr noch gab es diese Zeit einfach nicht. Damals, vor dem Zuzugsstopp, herrschten teils chaotische Zustände in der Beratungsstelle.
    "Da ging es … die ganze Treppe hoch bis oben in den Wartebereich, dass da 20 bis 30 Leute warteten auf eine Beratung. Also, es waren welche, die schon ein bisschen länger da waren und schon den nächsten Schritt gehen wollten - wir konnten nur vertrösten, weil wir immer die Neuzugänge erst einmal bearbeiten mussten. Meine Mitarbeiter haben auch mir signalisiert: Völlige Überforderung, sie können die Dinge überhaupt nicht mehr abarbeiten."
    Das habe sich geändert – und zwar grundlegend, betont Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel: "Wir haben in 2016 in etwa monatlich 190 Flüchtlinge bekommen, in 2017 waren es dann 112, und nach dem Flüchtlings-Zuzugsstopp waren nur noch um die 26 – das ist der Familiennachzug, das sind Geburten und das sind die, die sich vor der gesetzlichen Regelung frei bewegen können. Das zeigt, dass die Maßnahme richtig war."
    Der Oberbürgermeister sagt das voller Überzeugung. Vor gut einem Jahr stand Salzgitter tatsächlich vor einer schwierigen Situation – die Stimmung drohte zu kippen, im Rathaus kamen immer wieder anonyme Schmäh- und Drohbriefe gegen Politiker an, wegen der angeblich verfehlten Flüchtlingspolitik, bestätigt eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig.
    Frank Klingebiel stellt klar: "Wir sind nicht stolz auf diese Maßnahme ‚Flüchtlings-Zuzugsstopp‘ – aber wir schämen uns auch nicht dafür, weil sie einfach zwingend notwendig war, um die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten."
    Seither hat sich in Salzgitter offenbar tatsächlich einiges getan - vor allem bei den Kitas. Die Wartelisten sind kürzer geworden, weil Kitas ausgebaut und einzelne Gruppen aufgestockt wurden. Es wurde mehr Personal eingestellt - zusätzliche Dolmetscher etwa für die Schulen, die auch besser mit speziellen Deutsch-Büchern für Neuankömmlinge versorgt werden. Und auch bei den Beratungsstellen habe man wieder etwas Luft zum Atmen bekommen, berichtet Petra Behrens-Schröter.
    "Wir haben immer noch Warteschlangen - aber es hat sich entspannt, weil wir nicht andauernd hundert neue Leute vor der Tür stehen hatten. In den Deutschkursen spüren wir auch, dass da eine Entlastung ist - fast jeder, der zu uns kommt, hat auch in irgendeiner Weise einen Deutschkurs. Das ist die Entspannung, die wir spüren."
    Fortführung der Sperre gefordert
    Das habe man nur geschafft, weil der Zuzugsstopp von einer kräftigen Finanzspritze begleitet war, betont Oberbürgermeister Klingebiel. Insgesamt zwanzig Millionen Euro hat das Land für 2017 und 2018 zur Verfügung gestellt – für den Neu- und Ausbau von Kitas, für die Arbeitsmarktförderung und für lokale Integrationsprojekte. Salzgitter bekam davon zunächst rund 11 Millionen, die ähnlich betroffenen Städte Wilhelmshaven und Delmenhorst fünf beziehungsweise vier Millionen Euro.
    "Mittlerweile sind weitere acht weitere Städte dazu gekommen - was richtig ist, wenn sie die gleichen Probleme haben. Aber es zeigt, dass das Geld nicht ausreicht und dass wir hier dringend auf eine Verstetigung und auf eine Erhöhung der Mittel eben auch angewiesen sind."
    Und das gelte nicht nur für die Finanzhilfen - auch die Zuzugssperre müsse über 2019 hinaus Bestand haben, fordert Frank Klingebiel.
    Bei der Landesregierung stößt Salzgitters Verwaltungschef damit auf Verständnis - man habe zwar noch keine abschließenden Erkenntnisse über die Effekte des Zuzugsstopps, so Manfred Götz aus dem Innenministerium in Hannover, aber "wir schauen uns jetzt gerade derzeit intensiv an, ob man diese Maßnahmen im finanziellen Bereich aber eben auch die Frage des Zuzugsstopps weiterführen kann. Und da wird es - denke ich - auch im Laufe dieses Jahres noch Entscheidungen geben."
    Auf die wartet auch Petra Behrens-Schröter von der Diakonie Salzgitter. Und zwar dringend. Die gesamte Migrationsberatung sei weitgehend auf eine Finanzierung des Landes angewiesen. Und die sei für das kommende Jahr noch nicht gesichert, kritisiert sie. "Ich habe im Moment noch keine schriftliche Zusage, was in 2019 geht. Und ich finde es ein großes Problem, dass alle meine Mitarbeiter - ich habe sieben Mitarbeiter - nicht wissen, wie es nächstes Jahr weitergeht."