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Ein Klotz gegen Bausünden

Am 1. Juni 1984 war es soweit: Das Deutsche Architekturmuseum wurde durch seinen Direktor Heinrich Klotz eröffnet. Die Ausstellung "Die Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980" hatte ungewöhnlich viele Besucher, die sich von der außergewöhnlichen "Buntheit" und "Bildhaftigkeit" der Architekturmodelle angezogen fühlten.

Von Jochen Stöckmann | 01.06.2009
    Rundbögen und Säulen statt Rasterfassade; kein Flachdach mehr, sondern verzierte Giebel oder sogar goldene Kuppeln: so hielt die Postmoderne Einzug, als das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main am 1. Juni 1984 die Tore öffnete. Mit der programmatischen Ausstellung "Revision der Moderne", mit aufwendigen Architekturmodellen, großformatigen Fotos und jeder Menge Zeichnungen oder Planskizzen machte Gründungsdirektor Heinrich Klotz, ein Kunsthistoriker aus Marburg, für jedermann anschaulich, was bis dahin allenfalls in der Fachwelt bekannt und heftig umstritten war:

    "Wir müssen zeigen was ist. Wir müssen sagen, was vor uns steht und was wir jeden Tag erleben – und nicht einfach ideologisch daran vorbeigehen. Wir haben dann ja selbst erlebt, dass alle die, die eben noch auf die Postmoderne geschimpft haben, sich auf dem Absatz herumgedreht haben und mit falsch verstandener Eilfertigkeit ihre leeren Kisten und Kästen dann mit blauen Schleifchen bepflanzt haben. Die haben ihre Erkerchen an die Fassade geworfen und meinten, jetzt seien sie up to date."

    Die weltweit erste Ausstellung zur Postmoderne in der Architektur wurde ein Erfolg, nicht nur im Publikum. Heinrich Klotz wollte mit der bereits 1979 von der Stadt Frankfurt beschlossenen Gründung eines Museums ein Diskussionsforum, auch eine bildungspolitische Institution schaffen.

    Über Architektur zu streiten ohne Schlagworte und Klischees, das wollte gelernt sein – und zwar am möglichst anschaulichen, bildhaften Modell. In Frankfurt, am Schaumainkai 43, beginnt das bereits mit dem Eintritt in die von Oswald Mathias Ungers umgebaute Villa: Hinter der Gründerzeitfassade tun sich gleich mehrere Raumtypen auf, als "Haus im Haus" wechseln sich auf fünf Stockwerken Satteldach und Säulenhalle, funktionalistisches Treppenhaus und klassische Agora ab. Alles Variationen ein und desselben Grundmusters, des für Ungers so typischen Quadrats. Im Übergang der verschiedenen Raum-Typen entstehen quasi urbane, städtebauliche Konstellationen. Im Lichthof verweist eine Kastanie, die 1984 beim Bauen im denkmalgeschützten Bestand sorgfältig ausgespart wurde, auf den damals schon beachteten Umweltaspekt. Heinrich Klotz:

    "Ich wünsche mir das Zusammenkommen von ästhetischen Gesichtspunkten, von sozialen Gesichtspunkten und technologischen Gesichtspunkten. Und das muss man überhaupt erstmal wieder in Bewegung bringen in diesem Land – dann auch eine Antwort zu finden. Also nicht nur zu kritisieren, sondern auch zu sagen, welche Mittel haben wir gegen die beklagte Containerarchitektur, um antworten zu können auf dieses Desaster der Kisten und Kästen, die unsere Städte kaputtgemacht haben."

    Auch in Auseinandersetzungen über "Wohnen in der Innenstadt", Fußgängerzonen und Shopping-Malls, Hochhäuser für Frankfurt oder München und die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses greift das Architekturmuseum ein. Nicht missionarisch, ohne eine Stilrichtung zu propagieren oder gleich die Lösung des Problems vorzugeben. Grundlage der aktuellen Diskussion ist die historische Rückblende, die Recherche im Archiv, auf das Gründungsdirektor Heinrich Klotz Ende der 70er-Jahre besonderen Wert legte.

    "Architekturpläne, Zeichnungen, nicht, diese Dinge sind einfach verlorengegangen. Und selbst prominente Architekten der Gegenwart wie etwa Gropius oder gar Mies van der Rohe, da sind also ganze Zeichnungskonvolute von diesen prominenten Architekten zum Teil auf dem Schutt gelandet. Ich selbst habe das mit ansehen müssen."

    Kein Architekt, keine Stilrichtung wird im Deutschen Architekturmuseum von vornherein ausgeschlossen. Aus dieser Quelle schöpfen auch die Nachfolger des 1999 verstorbenen Heinrich Klotz und schreiben mit Ausstellungen die Geschichte fort. So wie 1986, nur zwei Jahre nach der Eröffnung mit dem Reiz-Thema "Postmoderne", in der "Vision der Moderne", einer Schau, in der Heinrich Klotz eigene Standpunkte bereits wieder in Frage stellte:

    "Wir haben selbst uns zu widerlegen versucht. Wir haben dann gesagt: es gibt noch ganz andere Tendenzen, und nicht nur diese historisierenden und nicht nur die Postmoderne im nostalgischen Sinn. Es gibt die High-Tech-Architektur, es gibt eine ganze Welt, die dem wiederum entgegensteht. Wir haben niemals den großen Zampano gespielt, der den Zeigefinger erhebt und sagt: hiervor warnen wir und das ist das Richtige, dort auf der anderen Seite. Das ist Museumsdidaktik, die ich als eine Entmündigung des Publikums betrachte."