Donnerstag, 25. April 2024

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Ein Königreich für einen Garten

Wenn nur der Regen nicht wäre, würden die Briten wohl den ganzen Tag zwischen Hecken und Rosen verbringen: Gardening ist in England Volkssport. Beliebter als Cricket oder Golf. Und das beim Rentner genauso wie im Königshaus: Prinz Charles ist nicht der erste begeisterte Gärtner unter den Blaublütern. Schon König George III. ließ kostbare Pflanzen aus aller Welt holen. Aber auch Shakespeare und Churchill waren Gärtner, ebenso Vita Sackville-West und Rudyard Kipling.

Eine Sendung von Kirsten Zesewitz | 11.04.2009
    Ein britischer Hobbygärtner am Tag des offenen Gartens:

    "Ich bin besorgt. It's my baby."

    Und der Chefgärtner des größten englischen Landschaftsgartens:

    "Du musst eine Vision haben.”"

    Gesichter Europas: "Ein Königreich für einen Garten -Volkssport Gardening in Großbritannien" - eine Sendung von Kirsten Zesewitz. Am Mikrofon begrüßt Sie Britta Fecke. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.

    In der Renaissance und im Barock galt die Natur als gefährlich, aber auch als unvollkommen. Schön war sie nach damaligem Empfinden nur in ihrer gebändigten Form, in der Gestalt eines Gartens. Die Bäume bildeten als Alleen gepflanzt perspektivische Sichtachsen, die Beete waren streng symmetrisch angelegt, alle Proportionen waren der Zahlenharmonie und der Geometrie verpflichtet. Dieser formale Disziplin des französischen Gartens entspricht der Park in Versailles vollkommen.

    Der englische Garten des 18. Jahrhunderts hat sich dagegen anderen Idealen verschrieben, statt symmetrischer Anlagen entstanden Landschaftsgärten: idealisierte Miniaturlandschaften, die natürlich auch aufwendig gestaltet waren, aber nicht danach aussehen. Der englische Garten ist bis heute eine einzige Bühne, eine Inszenierung von romantisch angelegten Seen, überraschenden Sichtachsen und üppig wuchernden Staudenbeeten:

    Die Begeisterung für Gärten hält bis heute an. So besuchen jährlich rund 200.000 Gartenliebhaber die Anlage von Sissinghurst Castle. Es ist der Garten von Vita Sackville-West, einer engen Freundin Virginia Woolfs. Auch sie war Schriftstellerin, berühmt wurde sie aber nicht mit ihren Gedichten, sondern mit ihrem Garten:
    Sissinghurst: Literarischer Spaziergang durch den Garten der Schriftstellerin Vita Sackville-West

    Mein Garten

    Es ist ein Schloss an meiner Tür
    "Privat" steht unten an den Stufen.
    Mein Garten, Fremder, mag Dich locken
    Und alle Wege stehn Dir frei.
    Doch bleibe fern von meinem Ort
    Ich bin zwar scheu doch unerschrocken. (Vita Sackville-West)


    Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten steht der rote Turm in der Landschaft. Er hat etwas Verwunschenes, mit seinen zwei Spitzen und den mannshohen Eiben, die wie Wachposten am Pflasterweg stehen. Kein Wunder, dass sich Vita Sackville-West sofort in ihn verliebt hat. Violette Rosen klettern an den Ziegeln empor, ihr Duft mischt sich mit Lavendel und Rosmarin. Im Torbogen hängt eine Tafel aus Stein.

    ""Hier lebte Vita Sackville-West, die diesen Garten schuf. Geboren in Knole, am 9. März 1892. Gestorben in Sissinghurst, am 2. Juni 1962."

    Alexis Datta ist Sissinghursts Chefgärtnerin. Sie trägt kurze Hosen und ein dunkles Guinness-Shirt. Die braunen Beine stecken in Wollsocken und Wanderschuhen, am Hals schaukeln Möhrenohrringe.

    Vita Sackville-West würde toben, wenn sie wüsste, dass ein Gedenkstein an ihrer Turmtür hängt. Ausgerechnet! Der Turm war das Heiligtum der
    exzentrischen Schriftstellerin. In die oberste Kammer zog sie sich zurück, wenn sie allein sein wollte. Hier schrieb sie Romane und Gedichte, führte Tagebuch.

    Ich sage: Niemals, niemals, niemals. Au grand jamais, jamais. Nicht diese harte Metallschildchen an meiner Tür. ... solange ich lebe, wird kein National Trust meinen Schatz bekommen. Nein, nein. Nur über meine Leiche. (Vita Sackville-West, Tagebuch 29. November 1954)

    Alexis Datta kramt den Schlüssel aus ihrer Hosentasche und schließt die Turmtür auf. Vorsichtig steigt sie über den Holzbalken am unteren Ende des Rahmens, den Kopf muss sie einziehen.

    Eine schmale Wendeltreppe führt den Turm hinauf. An den Wänden hängen orientalische Glasbilder: Tanzende Frauen sind darauf zu sehen, Mädchen in prächtigen Kleidern und Soldaten mit Schwertern. Auf halber Höhe zerschneidet ein Fenster die Steinwand, vier handtellergroße Keramikbuchstaben sind in den Sims eingelassen: V.I.T.A.

    "Hier war ihr ganz persönlicher Ort. Vita war in vielerlei Hinsicht keine einfache Person, wissen Sie. Sie war ziemlich herrisch, ein wenig arrogant, resolut. Es wird erzählt, dass sie in Kordhosen rumlief, mit kniehohen Stiefeln und einer Männerjacke. Aber sie trug stets ihre Perlenkette und einen breiten weißen Hut! Vita war eben eine echte Aristokratin. Großgewachsen war sie und sehr gutaussehend. Jeder war sofort von ihr eingenommen: Männer und Frauen. Sie muss eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein, physisch und charakterlich."

    Alexis Datta ist wieder im Garten. Schwungvoll packt sie eine Stiege Veilchen auf ihre Schubkarre. Sie heißen Vita. Als Vita das Grundstück entdeckte, war Sissinghurst ein Schuttabladeplatz. Von einem Garten konnte keine Rede sein. Die mittelalterlichen Mauern waren verfallen und mit Unkraut zugewuchert. Es gab weder Toiletten noch fließendes Wasser. Vita notierte in ihrem Tagebuch:

    Die Unmenge alter Bettgestelle, Pflugschare und Kohlstrünke, zerfetzter Trockenklosetts, Drahtknäuel und Sardinenbüchsen, alles verwoben in einem Wirrwarr von Winden, Brennnesseln und Zwergholunder, hätten ausgereicht, jedermann zu entmutigen. Doch als ich den Ort an einem Frühlingstag des Jahres 1930 zum ersten Mal sah, entflammte er augenblicklich mein Herz und meine Phantasie. Ich habe mich sofort in ihn verliebt. Es war Dornröschen Garten: aber ein Garten, der nach Befreiung schrie.

    Alexis Datta lockert mit einer Hacke den Boden. Zwischen Lavendel und Ziertabak ist gerade Platz für einen Rosenstock. Behutsam setzt sie die Pflanze ins Erdreich, deckt die Wurzeln mit Spänen zu. Alexis hat weiße Strauchrosen ausgewählt, eine alte Sorte, die Vita so gern mochte.

    "Es ist Vitas Garten. Nicht meiner, verstehen Sie. Als Gärtnerin ist es meine Aufgabe, den Garten so zu erhalten, wie Vita ihn wünschte. Ich muss wissen, was sie an ihm liebte, was ihr wichtig war. Ich habe sehr viel über Vita Sackville-West gelesen: ihre Tagebücher, die Gartenkolumnen. Und dann bin ich schon so viele Jahre hier. Ich sauge den Garten in mich auf. Ich habe gelernt, ihn zu verstehen, Vita zu verstehen - und Harold."

    Die beiden hatten eine ungewöhnliche Beziehung. Vita Sackville-West war eine willensstarke, emanzipierte Frau; der Diplomat Harold Nicolson ihr perfekter Gegenpart. Vitas Affäre mit der Schriftstellerin Violet Trefusis sorgte für einen Skandal in der adligen Gesellschaft. Virginia Woolf verarbeitete ihre Liebe zu der charakterstarken Vita in dem Roman "Orlando".

    Die Konstanten im Leben der Sackville-West blieben jedoch Harold und Sissinghurst. Er plante den Garten, Vita bepflanzte ihn. Gemeinsam wollten sie einen Garten schaffen, der wie ein großes Haus funktionierte - mit langen Fluren und gemütlichen Zimmern.

    Alexis Datta geht durch den Eibengang. Wie ein enger Korridor führt er vom Weißen Garten zum Rosengarten. Plötzlich biegt Alexis nach links ab.

    "Jeder Garten hat eine bestimmte Funktion, wissen Sie: Weißer Garten, Cottage Garten, Turmhof - alle klein und intim. Und dann stehen Sie plötzlich hier im Obstgarten. Er ist groß und wild, mit Apfel- und Birnenbäumen, auch ein paar Kirschen. Jetzt ist die Wiese voller Feldblumen, im Frühling waren es Osterglocken und Tulpen. Er sieht romantisch aus, nicht wahr? Mit den gewundenen Pfaden im Gras. Vita liebte das sehr!"

    Alexis Datta sammelt Zweige unter den Bäumen zusammen. Ellenlang und gerade müssen sie sein. Die Stäbe sollen die Blumen im Cottage Garden gegen den Wind stützen. Als Alexis genug zusammen hat, stapft sie über die Wiese, am Grabengang entlang zum Cottage Garten. Er sei der persönlichste unter den Gartenräumen, sagt sie. Harold und Vitas Wohnzimmer.

    "Sissinghurst" (für Virginia Woolf)

    Als müder Schwimmer in den Wellen der Zeiten
    Überlasse ich mich schließlich der Wogen Bauch,
    sinke durch Jahrhunderte zu andren Breiten:
    am Grund liegen begraben Schloss und Rosenstrauch.
    Begraben in Schlummer und Zeit,
    Verschlafen und rankenbedeckt,
    die Steine über und über von Moos befleckt,
    der Bergfried den Flechten geweiht.
    Im Wasser unten sank ich in ein Bild hinein,
    dort regt sich kein Lüftchen, nicht ein Laut stellt sich ein,
    ein fernes Trugbild, das bei Berührung vergeht,
    untergegangen im tiefen Brunnen der Zeit,
    wie im Wasser, das tief in einem Graben steht. (Vita Sackville-West)


    Mit einem Gartenmesser schneidet Alexis Datta die Stöcke zurecht. Die Schwertlilien haben beim Sturm etwas gelitten, sie brauchen Halt. Alexis steckt die Zweige in den Boden, bindet die Stängel daran fest.

    "Das ist der berühmte Cottage Garten, den Harold und Vita so sehr liebten. Ich mag ihn auch gern, eigentlich ist er mein Lieblingsplatz. Was daran so zauberhaft ist, das sind die Blumen: dicke, reiche Blumenbeete. Zuerst kommt der Schöterich, dann Tulpen, Iris - und plötzlich ist der Garten voller Blüten! Leuchtende Farben: Rot, Orange und Gelb. Das ist das Besondere an Sissinghurst, das ist Vita Sackville-West! Starke Farben und überbordende Blumenbeete. Wir haben wenige grüne Bereiche im Garten. Vita wollte es reich und bunt. Und ich finde, es funktioniert!"

    Alexis räumt die Stäbe zusammen und setzt sich auf die Steinstufen. Auch Harold und Vita hatten hier immer gesessen und ihren Tee getrunken: Am South Cottage nahm jeder Gartentag seinen Anfang und hatte sein Ende. Vita nannte ihn den "Sonnenuntergangsgarten".

    "Achten Sie einmal auf den Gesang der Vögel. Er kann wirklich laut sein, besonders am Morgen und am Abend. Manchmal wenn ich abends zurückkomme, haben die Vögel den Garten in Besitz genommen. Er gehört nicht mehr den Menschen, er gehört den Vögeln. Das ist zauberhaft."


    Nicht nur der Lord pflegt leidenschaftlich den geerbten Landschaftspark und nicht nur die reiche Oberschicht ihren Villengarten, auch der einfache Angestellte hegt seine drei Quadratmeter Boden hinter seinem Reihenhaus - die Leidenschaft für Gärten und Gartengestaltung hat alle Bevölkerungsschichten im Königreich erfasst.

    Natürlich gibt es auch Clubs, die sich ausschließlich dem Gardening verpflichtet haben. Anfang des letzen Jahrhunderts war es die Bloomsbury Group, ein Kreis Londoner Künstler und Intellektueller, zu denen auch Virginia Woolf gehörte. Sie verlegten ihr gesellschaftliches Leben und ihre Arbeit fast ausschließlich in die Gärten des Freundeskreises. Dort suchten sie Inspiration und Zerstreuung, dort wurde gedichtet, gemalt und gefeiert, aber eben auch geharkt und gepflanzt.

    Seinen Garten an bestimmten Tagen für Besucher zu öffnen hat in England eine lange Tradition. Seit 1927 ist die Queen die Schirmherrin des National Garden Scheme. Einst öffneten 600 Gärten ihre Pforten und der Eintritt kommt damals wie heute Wohltätigkeitsorganisationen zu Gute. Inzwischen nehmen 3500 Privatgärten an der großen Gartenschau teil.

    Kent ist berühmt für seine malerischen Dörfer umgeben von Obstwiesen und Hopfenfeldern, nicht umsonst wird die Grafschaft selbst der Garten Englands genannt - und innerhalb des Landschaftsgartens liegen die liebevoll gestalteten Cottagegärten der Dorfbewohner:


    Tag des offenen Gartens: Ein Hobbygärtner stellt seinen Garten vor
    Schon von weitem sieht man den Union Jack über den roten Ziegeldächern von Brenchley flattern. Am Ortseingang ein selbst gemaltes Schild: "NGS Garten, heute für Besucher geöffnet." Eng schmiegen sich die Backsteinhäuser in der Dorfstraße aneinander. Besorgt schaut Oliver-Smith zum Himmel, die Wettervorhersage war schlecht für dieses Wochenende. Schon in den vergangenen Tagen hatte es geregnet.

    Es ist halb zwei. Um 14 Uhr will Paul Oliver-Smith seine Gartentore öffnen. Ein letztes Mal macht er die Runde: Der Rasen sieht topp aus, der Gärtner hat ihn heute morgen noch gemäht. 5000 Quadratmeter ist das Grundstück groß. Vom Eingang geht er in den Steingarten. Üppig wölbt sich der Mohn über den Rittersporn, dazwischen Purpurglöckchen und Tränendes Herz.

    Besorgt schaut Oliver-Smith in den Rosengarten: Der Wind hat die Stäbe verrückt, Queen Elizabeth neigt sich bedenklich gegen die Princess of Wales. Auch der Lavendelbusch im Kräutergarten sieht zerzaust aus, die Clematis am Seerosenteich hat ein paar Blüten verloren.

    "Da ist diese fortwährende Sorge: Werde ich alles fertig kriegen? Wird es gut aussehen? Der Garten ist mein Baby! Es ist, als ob Sie Ihr Kind am ersten Tag in die Schule bringen, so eine Art Vaterstolz. Sie sagen zu den anderen Eltern: Schaut her, was für eine kluge Tochter ich habe. So ist es mit dem Garten. Man will ihn vorzeigen: Schaut her, was ich geschaffen habe! Das ist aufregend!"

    Garden Spotting ist eine ernsthafte Freizeitbeschäftigung in England. Die Besucherschaft ist kritisch. Manch ein Gartenfreund besucht zwei bis drei Gärten pro Woche, meist am Sonntagnachmittag, zwischen Kirchgang und Tea Time.

    Unablässiger Begleiter ist das Yellow Book des National Gardens Scheme. Sehnsüchtig warten die Gartenliebhaber auf den Erscheinungstermin des gelben Führers - um zu sehen, ob in diesem Sommer ein unbekannter Hobbygärtner seine Tore öffnet.

    Ein älteres Ehepaar betritt den Gartenweg. Es ist ihnen unangenehm, zu früh eingetroffen zu sein. Sie kämen vom Gottesdienst, sagt der Mann, könnten später noch einmal wiederkommen. Paul Oliver-Smith gibt den beiden einen Lageplan, klebt den NGS-Aufkleber auf ihre Brust und kassiert fünf Pfund.

    "Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Leute, die so schöne Gärten haben wie Sie, sie für uns öffnen. Ich hoffe, Sie genießen es genauso wie wir."

    "Faszinierend ist, dass sich die Besucher für ganz unterschiedliche Dinge begeistern. Eine Pflanze, die ich für gewöhnlich halte, findet ein anderer grandios. Und wenn ich denke, diese Blüte ist wahrhaft königlich, dann sagt ein Besucher gelangweilt: Ach ja, das ist ja eine von denen. Aber es macht Spaß, sein Garten zu teilen. Man weiß bloß leider nie, wo man steht: Hat man den miesesten Garten oder ist man im Mittelfeld?"

    Während sich das Ehepaar auf den Weg durch den Garten macht, laufen in der Küche die Vorbereitungen auf Hochtouren: Mrs. Oliver-Smith, ihre Tochter und eine Nachbarin bereiten Scones vor: süße Rosinentörtchen mit einer Schicht Himbeeren und Schlagsahne oben drauf. In der Veranda haben die Frauen ein kleines Buffet aufgestellt, gegen eine Spende können die Gartenbesucher Tee, Himbeerscones und Limonenbrause erwerben.

    Der englische Cream Tea gehört zum Gartenbesuch wie die neueste Ausgabe von Country Life. Manche Besucher kämen auch nur wegen des Cream Teas, erzählt die Tochter. Sie würden dann zwei Stunden mit Tee und Scones in der Sonne sitzen, sich über die Chelsea Flower Show unterhalten und wieder gehen.

    Auf der Wiese unterhalb des Hauses hat Paul Oliver-Smith Tische mit Gartenstühlen aufgestellt. Unter den pinkfarbenen Sonnenschirmen haben sich die ersten Besucher niedergelassen: Eine ältere Dame studiert den Gartenführer, ihre Töchter machen Fotos.

    Sie seien passionierte Gärtnerinnen, sagt die Mutter, alle drei. Während die Ehemänner am Sonntag zum Fußball gingen, würden sie sich die Gärten der Gegend anschauen. Je nachdem, was das Yellow Book zu bieten habe.

    "Der Wohltätigkeitsaspekt ist mir sehr wichtig. Da komme ich doch lieber hierher, wo ich weiß, dass mein Geld einem gutem Zweck zufließt, als es einem Schlossbesitzer zu geben, der seinen Hausmeister davon bezahlt."

    Ein Nachbar hat sich eingemischt. Er komme seit Jahren in Paul Oliver-Smith' Garten. Früher hätten viele Benchleyer beim National Garden Scheme mitgemacht, alle an einem Tag. Das ganze Dorf sei ein einziger offener Garten gewesen. Dafür seien die Besucher sogar aus London gekommen.

    "Es ist mehr als nur Neugier!"

    "Sie finden raus, was hinter den Hecken vor sich geht. Schauen Sie: Jeden Tag gehen Sie an einem Grundstück vorbei und können nicht über den Zaun schauen. Der Tag des offenen Gartens ist Ihre Chance!"

    "Ich glaube, wir Engländer lieben es einfach, Unkraut in den Gärten anderer Leute zu entdecken, zu sehen, dass auch ihr Garten nicht perfekt ist."

    Die Wettervorhersage scheint sich geirrt zu haben: statt Regenwolken strahlt blauer Himmel über Paul Oliver-Smith Garten. In kleinen Gruppen schlendern die Besucher über den Kiesweg, einige haben Notizbüchlein dabei, andere eine Videokamera. An einigen Stellen kommt es zu Staus: Jeder möchte an der Clematis riechen oder am Jasmin. Langsam beginnt auch Paul Oliver-Smith den Nachmittag zu genießen.

    "Es macht mir Spaß, meinen Garten mit anderen zu teilen. Vielleicht ist es sogar eine Art pädagogischer Mission: Ich möchte den Leuten zeigen, dass es noch andere Dinge gibt, als die Pflanzen aus dem Gartencenter. Ich möchte meinen Enthusiasmus weitergeben. Wie schon die alten Chinesen sagten: Willst du einen Tag glücklich sein, hab ein gutes Essen. Willst du für eine Woche glücklich sein, nimm dir eine Frau. Aber wenn du ein Leben lang glücklich sein willst, schaff dir einen Garten an."


    In der Gestaltung der großen Gärten spiegelt sich auch immer das politische und gesellschaftliche Verständnis der Zeit wieder. So repräsentierte Versailles den absoluten Herrschaftsanspruch Ludwig des XVI., nur ihm dem Sonnenkönig war der ideale Blick auf die strenge Symmetrie der geometrischen Anlage vorbehalten.

    Der Barockgarten entsprach aber nicht nur dem politischen, sondern auch dem mathematischen Verständnis seiner Zeit. So natürlich sich gegen den Barockgarten ein englischer Park ausnehmen mag, kann auch diese Art der Gartengestaltung als Huldigung an die Mathematik verstanden werden, denn im 18. Jahrhundert kam die Berechnung von Differentialen und Integralen auf - von Kurven und Schwingungen.

    Diese Mathematik ist komplizierter als einfache Geometrie und auch der englische Garten erschließt sich nicht einfach auf den ersten Blick.

    Die Wege sind nie gerade, sie schlängeln sich durch die inszenierte Landschaft, dem Spaziergänger öffnen sich unerwartet Blickachsen, die eine Tempelruine mit der Dorfkirche verbinden. Hinter der Gartengestaltung steht die Philosophie des Gärtners, dessen ordnende Hand man höchstens erahnen, aber nie sehen kann. Hinter künstlichen Seen und Diane-Tempeln, Staudenbeeten und malerischen Baumgruppen steckt die Sehnsucht nach dem Paradies.

    Der Garten ist eine Reise durch die Kunstgeschichte - insbesondere die italienische - in ihm finden sich literarische Zitate und musikalische Anspielungen. Ein Spaziergang durch das englische Arkadien: Stourhead in der Grafschaft Wiltshire ist genau so eine Reise, die auch die humanistische Bildung des Besuchers fordert:

    Stourhead: Morgenspaziergang durch den größten Landschaftsgarten Englands
    Es ist noch dunkel. Der Pflanzenmarkt ist geschlossen, die Cafeteria ebenso. Um Alan Power sammeln sich fünfzehn Frühaufsteher. Die meisten haben Wanderschuhe an und Fleecejacken. Alan Power ist der Gartenmeister von Stourhead, er wird die Wanderung anführen: zuerst zum Herrenhaus, dann am Flora-Tempel vorbei zum Pantheon, schließlich zum Apollo. Zweieinhalb Stunden lang. Bis nach Sonnenaufgang.

    Die Gruppe setzt sich in Bewegung. In Serpentinen schlängelt sich der Weg den Berg hinab, unter den Bäumen ist die Erde noch feucht, es riecht nach Moos. Plötzlich überholt ein alter Mann den Zug, läuft rasch nach vorn, da wo Alan Power geht.

    "Warum wir diese Wanderung mitmachen? Ich glaube, wir sind mit falschen Informationen hergekommen: Wir dachten, es würde um Vögel gehen. Ein morgendliches Vogelkonzert oder so etwas."

    Der ältere Herr berät sich kurz mit seiner Frau, die beiden bleiben. Der Weg wird breiter, an den Kastanien vorbei steigt er zum Herrenhaus an.

    Elegant liegt das Anwesen in der Landschaft: ein graues Säulenportal,
    umrahmt von violettem Rhododendron.

    Eine Lady holt Kekse aus ihrer Tasche. Als sie die Packung herumreicht, fallen Krümel ins Gras. Ein Rotkehlchen landet an ihren Schuhen und pickt sie auf.

    "Das ist Tony! Wir haben drei, vier Rotkehlchen im Garten. Wenn Sie geduldig sind, fressen sie Ihnen sogar aus der Hand. Das macht Eindruck, sage ich Ihnen. Einmal habe ich meiner Mutter den Garten gezeigt und hatte etwas Brot dabei. Dann habe ich meine Hand ausgestreckt und ein Rotkehlchen ist darauf gelandet. Meine Mutter war hingerissen. Sie war so stolz auf mich!"

    Unterhalb des Herrenhauses bleibt Alan Power stehen. Er streift sich mit der Hand über seinen Stoppelbart, wartet bis alle Besucher versammelt sind.

    "Wenn Sie Rhododendron 'Blue Peter' da links mal außer Acht lassen, schauen Sie direkt ins 18. Jahrhundert. Sie sehen alte Eichen, weidende Kühe und zauberhaftes englisches Parkland im Hintergrund. Heutzutage pflanzen wir riesige Hecken um unsere Gärten, damit keiner uns beim Grillen beobachten kann. Aber bohren Sie mal ein Loch da hinein. Und ich sage Ihnen, der Blick wird Ihren Garten viel größer erscheinen lassen. Sehen Sie, Stourhead muss diese Felder dort gar nicht besitzen. Sie sind einfach da und werden so ein Teil des Gartens. Der Garten leiht sich die Landschaft aus."

    Nirgendwo wurde die Idee des englischen Gartens so konsequent verwirklicht wie in Stourhead. Ein englisches Arkadien wollte Henry Hoare erschaffen: mit antiken Tempeln und Brücken, einer Grotte und Wasserfall. Vorbilder fand er in der klassischen Dichtung und Malerei. Noch heute rätseln Forscher über das komplexe System von Blickachsen und Botschaften: Nicht umsonst trug Hoare schon zu Lebzeiten den Beinamen "The Magnificent" - der Großartige.

    Stetig steigt die Sonne über den Hügeln empor, wenn sich der Nebel lichtet, will Alan Power am See sein. Zwischen Koniferen und Lorbeersträuchern senkt sich der Weg immer weiter nach unten. Alan Power bleibt stehen. Hinter ihm ist ein steinernes Tor - der Eingang zu einer Grotte.

    Im Halbdunkel thront eine weiße Nymphe über der Quelle, in Stein gemeißelt ein Vers des englischen Dichters Alexander Pope:

    Der heiligen Quelle Hüterin bin ich,
    zum Rauschen dieses Wassers schlafe ich.
    Verschon denn meine Träume und geh behutsam in die Höhle.
    Dann trink und schweig und schweigend geh hinaus. (Alexander Pope)


    Nacheinander kommen die Spaziergänger aus der dunklen Grotte ans
    Tageslicht zurück. Alan Power kneift die Lider zusammen: Die Sonnenstrahlen stechen in den Augen, fressen gierig die letzten Nebelschwaden über dem Wasser auf. Alan Power zögert, blickt gebannt auf den See.

    "Aus diesem Grund liebe ich die Wanderungen bei Sonnenaufgang. Egal, ob es regnet oder ob es so schön ist wie heute. Niemals schleppe ich mich durch die Gegend und denke: 'Oh Gott, ich wünschte die Sonne würde scheinen.' Der Garten ist einfach zauberhaft, und er macht das alles ganz allein. Ich erinnere mich noch an die Werbekampagne für den neuen Peugeot. Die wollten ihre Autos im Morgennebel ablichten, hier am See. Drei Tage haben sie den See eingenebelt, der Wind hat die Nebelmaschinen umgepustet - es war furchtbar. Na ja, am dritten Morgen hat die Natur es ganz allein gemacht - zauberhaft. Die Typen haben fix ihre Fotos gemacht und weg waren sie."

    Zwei Kilometer Wegstrecke haben die Wanderer hinter sich: das Herrenhaus, die Blicke auf Apollo und Flora, den Gang durch die Grotte, den See. Sie sind am Pantheon angekommen. Zwischen den Säulen des Tempels haben Stourheads Gärtner einen Picknicktisch aufgebaut. Äpfeln liegen darauf, Pfirsiche und Butterkekse. Alan Power gießt Orangensaft in ein Glas und reicht es einer Dame, sich selbst steckt er ein Stück Banane in den Mund. Zwischen den Weiden am Seeufer haben sich Schwäne eingefunden, eine Frau gibt ihnen Brot.

    "Mir ist so friedlich zumute. Es ist zauberhaft, den Garten im Morgengrauen zu erleben. Ich komme oft hierher, wissen Sie. Ich kann kommen so oft ich will, ich bin Mitglied im National Trust. Er kümmert sich um den Erhalt der alten Gärten und Schlösser. Aber ich sage Ihnen: Stourhead ist immer anders. Jedes Mal denke ich, jetzt kennst du den Garten. Und dann komme ich her und sehe, dass es nicht so ist. Er ist immer wieder anders."

    Es geht auf acht Uhr zu. Über eine kleine Eisenbrücke führt der Weg zum
    anderen Seeufer, das Pantheon liegt im Sonnenlicht. Langsam schlendern die Wanderer hinter dem Gärtner her, sind dankbar, als Alan Power an einem Steintor stehen bleibt. Wasserrauschen dringt nach draußen, ein Pfad steigt steil die Böschung empor: der Aufstieg zum Apollo.

    "Es gibt ein Gemälde in der Sammlung von Stourhead, da steht Herkules an einem Ort wie diesem hier. Er muss sich entscheiden zwischen zwei Damen: Tugend und Laster. Tja, wir müssen uns auch entscheiden: Entweder nehmen wir den steinigen Weg zum Tempel des Apollo, wo wir einen wundervollen Blick haben werden. Oder wir gehen ins Pub, frühstücken gemütlich - und steigern unseren Cholesterinspiegel für die nächsten Wochen."

    Durch Eden zog ein breiter Strom
    Und wandelte den Lauf nicht, sondern ward
    Vom rauh bewachsnen Hügel eingeschlurft,
    Den Gott als Gartenwall dahin gestürzt,
    Hoch auf dem raschen Strome,
    der, von Adern
    Der lockern Erde durstig eingesogen,
    Als frischer Quell entsprang und wässerte
    Mit manchem Bach den Garten. (John Milton)


    Alan Power hat sich an die Säule des Apollo-Tempels gelehnt. Ein paar
    Wanderer setzen sich zu Power auf die Stufen. Zwischen Rhododendren und Buchen liegt der See im Tal, am Flora-Tempel haben die Gärtner mit dem
    Mähen angefangen.

    "Wissen Sie, wenn man als Gärtner eine Blumenrabatte plant, weiß man nach zwei Jahren, ob sie gut aussieht. In Stourhead dauert es 60, 70 Jahre, ehe man ein Ergebnis sieht. Ich muss also verdammt aufpassen, dass ich keine Fehler mache. Manchmal fragen mich die Leute: 'Mein Gott, warum gärtnerst du nicht einfach?' Aber ich muss mir die Gestaltung gut überlegen, denn eines Tages wird jemand ein Buch über Stourhead lesen und sich fragen: 'Warum hat Alan Power damals diesen Baum gepflanzt?' Ich muss eine Zukunftsvision für den Garten haben! Und das ist eine großartige Herausforderung für mich."


    In keinem anderen Land ist je soviel Fläche aufgeschüttet, abgetragen und gestaltet worden wie in Großbritannien des 18. und 19. Jahrhundert - nicht einmal in Italien! August Wilhelm Schlegel meinte dazu nur, dass die Gartenkunst die einzig bildende Kunst sei, in der die Briten den Anspruch erheben könnten, originell zu sein.

    Bis heute ist das Inselvolk ein Volk der Gärtnerinnen und Züchterinnen, der Sammler und Gestalter. Ganze Regalreihen füllt die englische Literatur allein über die Anlage eines Staudenbeetes: Welche Sorten mehrjährig ist und welche nachgesät werden muss. Wann die eine Blume blüht und welche zeitgleich und in der Komplementärfarbe dazu passt. Welche Staude hoch wächst und welche niedrig bleibt, damit der Kelch der einen nicht die Blüte der anderen Pflanze verdeckt.

    So ein Garten will wohlüberlegt sein und bei der Planung hilft nicht nur die Literatur, sondern auch die BBC mit täglichen Gartensendungen, oft zur besten Sendezeit:

    Zur besten Sendezeit: Gartenfernsehen auf der BBC
    Es ist Mittwochnachmittag, kurz vor drei: Zeit für den Flying Gardener auf BBC2.

    Jane Wilson setzt Wasser für den Tee auf. Soeben hat sie ihr Kreuzworträtsel im "Daily Telegraph" beendet. Sie legt die Zeitung auf den Küchentisch, nimmt eine Porzellantasse aus dem Schrank, legt Kekse dazu und trägt das Tablett in den Salon. An den Wänden hängen Bilder von Kühen und Schafen - eine Erinnerung an die Zeit, als Jane Wilson einen Bauernhof besaß. Jane ist 84 Jahre alt. Gartensendungen sind ihre Leidenschaft.

    Jane Wilson macht es sich im Sessel gemütlich, ihre Füße hat sie auf ein Bänkchen gelegt. Der Flying Gardener dauert eine halbe Stunde. Chris Beardshaw heißt der Moderator: In Jeans und T-Shirt begrüßt er die Zuschauer. Beardshaw gilt als der James Bond der britischen Gartenszene. Deshalb fliegt er auch mit einem Hubschrauber durch die Gegend. Heute ist er in Irland unterwegs.

    Sie kenne keine Gärten in Irland, sagt Jane Wilson. Einmal sei sie auf der Insel
    gewesen, da hätte der Rhododendron ganz zauberhaft geblüht. Jane Wilson nimmt einen Schluck Tee. Neben sich hat sie einen Notizblock liegen, für alle Fälle. Schließlich schaue sie die Gartensendungen nicht nur zum Spaß: Jane Wilson will etwas lernen, auf dem Laufenden bleiben in Sachen Technik und Gartendesign.

    "Ich habe diese Gartensendungen schon immer gemocht. Man sieht die Gärten anderer Leute, lernt ihre Pflanzpläne kennen, bekommt Tipps. Ich schreibe mir die Ratschläge auf, irgendwann kann ich sie bestimmt mal gebrauchen. Man lernt ja immer dazu. Gerade im Gartenbau wird ständig was erfunden. Ich hatte doch selbst mal eine Farm! Ich will eben wissen, wie sich die Dinge entwickeln, was man heute so macht."

    Der Hubschrauber ist gelandet. An der Südküste Irlands, bei Skibbereen. Das Klima hier ist mild, dank des Golfstroms wachsen sogar tropische Pflanzen. Der Flying Gardener ist an diesem Nachmittag bei John und Claudia O'Leara zu Gast. Auch sie würden gern einen Hauch Exotik in ihrem Garten haben, sagt Claudia. Die beiden wohnen allerdings auf einer Steilküste, der Seewind habe bisher all ihre Versuche zunichte gemacht. Nun soll der Flying Gardener helfen.

    "Sehen Sie, deshalb ist das Fernsehen so interessant: Man sieht in diesen Gartensendungen Sachen, die wir hier nicht kennen. Dieser Busch dort zum Beispiel, in England könnten wir den nicht anpflanzen. Der würde erfrieren im Winter."

    Jane Wilson hat ihren Notizblock zur Hand genommen. Der Moderator ist in einem besonders schönen Garten unterwegs: Zitronenbäume wachsen hier, Oleander, Bougainvillea und Hibiskus. Ganz nah zoomt die Kamera an eine Blüte heran: Wie ein Fächer breiten sich die aprikosenfarbigen Blätter um eine dunkelrote Mitte aus, umgeben von feinen gelben Staubhaaren.

    Jane Wilson schreibt sich den Namen auf: Hibiscus rosa sinensis. Im Feng-Shui stehe die Pflanze für Reichtum, sagt Moderator Chris Beardshaw. Auf saurer Erde gedeihe sie besonders gut. Jane Wilson notiert.

    Der Gärtner geht weiter, plötzlich hat er eine Crocosmia in der Hand. Ihre orangen Blüten reihen sich ährenförmig am Fruchtstängel auf, die grünen Blätter sind schmal und lang. Jane Wilson horcht auf. Die habe sie auch in ihrem Garten. Lehmigen Boden mag Crocosmia gern.

    "Meine ist allerdings schöner, finde ich. Wir hatten auch mal diese Orangene im Garten, das ist eine Montbretia. Aber jetzt habe ich eine dunkelrote, mit Namen Lucifer. Die blüht grandios. Also schöner als diese da."

    Jane Wilson gießt sich Tee nach. Was jetzt kommt, kennt sie schon. Der Moderator packt einen Bambusbaum in seinen Hubschrauber. Er mache das immer so, erklärt sie: Nehme Büsche und Blumen aus anderen Regionen mit, um sie im Garten seiner Gastgeber anzupflanzen. Der Bambusbaum ist für John und Claudia O'Leara bestimmt.

    Der Laderaum ist voller Pflanzen und Blumen. Aus dem Cockpit zeigt der Moderator auf einen Koniferenwall in der Landschaft. Dicht gedrängt stehen sie nebeneinander, schirmen das Hinterland gegen den Wind ab. Daran könne sich jeder Gärtner ein Beispiel nehmen, sagt Chris Beardshaw.

    Jane Wilson taucht den Keks in ihren Tee. Eigentlich sei der fliegende Gärtner gar nicht ihr Lieblingsprogramm, sagt sie. Nun gut, der Inhalt sei interessant. Und erklären tue der junge Mann auch ganz gut. Aber wieso könne er nicht einfach die Gärten besuchen, ohne ständig in diesen Hubschrauber steigen zu müssen?

    Jane Wilson ist eine Anhängerin der Gardeners' World. Sie ist der Klassiker unter den britischen Gartensendungen. Seit 35 Jahren weiht die Gardeners' World Millionen englischer Fernsehzuschauer in die Geheimnisse geschmackvollen Gärtnerns ein.

    Der Flying Gardener ist fertig mit seinem Werk. Im Garten von John und Claudia O'Leara hat er aus Bambuszweigen einen Windschutz gebaut: für die tropischen Pflanzen, die von nun an in Claudias Garten wachsen sollen.

    Jane Wilson reißt den obersten Zettel ihres Notizblock ab und legt ihn unter die Blumenvase auf dem Kaminsims. Den Hibiskus müsse sie bei Gelegenheit im Gartenmarkt nachfragen, erklärt sie. Vielleicht würde er gut zu Lucifer passen.


    Italiens sonnenverwöhnte Landschaften, von Zypressen gekrönte Hügel und malerische Kornfelder entsprachen in vielen Fällen der britischen Vorstellung des Paradieses. Im elisabethanischen Zeitalter war es üblich, den jungen englischen Adel ins Ausland - vornehmlich nach Italien - zu schicken. Von ihrer Grand Tour brachten sie auch die Begeisterung für antike Städte und die idealisierte Natur mit. Die Gestaltung der neuen englischen Gärten war nun eine Hommage an die italienische Kultur, und der Landschaftsgarten imitierte auf kleinem Raum die Reiseerinnerungen des Adels.

    Auch heute lassen sich viele Briten gerne von anderen Gärten inspirieren. Da es im eigenen Königreich genug Parks und Gärten gibt, muss man dafür nicht mehr unbedingt nach Italien - eine Reise in die benachbarte Grafschaft tut es auch. Viele Gartenbesitzer bieten inzwischen Bed and Breakfast für Gartenliebhaber an. Die Reisenden verbinden so die Übernachtung in privater Umgebung mit dem Blick in den nachbarlichen Garten - Kostproben inklusive.

    Bed and Breakfast for Garden Lovers: Gartenliebhaber bei Tee und Gebäck unter Kirschbaum
    "Acht Unzen Mehl, vier Unzen Butter und vier Unzen Zucker. Sie kneten bis der Teig krümelig ist und legen die Form damit aus. Dann kommt der Rhabarber rein. Eine Schicht Teig obendrauf und 40 Minuten in den Ofen. Lecker ist das!"

    Sue Corfe zieht einen Rhabarberstiel aus der Erde, prüft, ob er reif ist und legt ihn in den Weidenkorb. Jeden Morgen macht die 72-Jährige eine Tour durch ihren Garten, schaut nach den Blumen, den Obststräuchern, dem Gemüse.

    Spinat hat Sue Corfe in ihrem Garten, Bohnen, Kartoffeln und Auberginen, Blumenkohl und Lauch. Das halbe Dorf Nettlestead versorgt sie mit Gemüse, vor allem die Gäste ihres Bed and Breakfast for Garden Lovers. Heute sollen zwei ältere Damen ankommen, aus Bristol. Sue will zur Begrüßung Rhubarb Crumble machen, dann können sie sich mit Tee und Rhabarberkuchen in den Garten setzen.

    "Oh, so ein Bed and Breakfast macht Spaß! Ich treffe so viele reizende Leute. Die meisten haben selbst einen Garten. Sie interessieren sich für Gärten und Pflanzen, genau wie ich! Und dann gehen sie durch meinen Garten und sagen: 'Ach, Ihre Blumen sind viel weiter als meine' - weil sie vielleicht aus Nordengland kommen. Das ist lustig. Oh ja, meine Gäste lieben Gärten. Aber ich glaube, das ist typisch englisch, nicht wahr?"

    Sue Corfe streift die Hände an ihrer Schürze ab. Sie sind rau und schmutzig, die Schwielen von Erde geschwärzt. Manchmal würden ihre Gäste sogar im Garten arbeiten wollen, sagt Sue. So wie der eine Hobbygärtner, der unbedingt den Rasen mähen wollte, mit ihrem Sitzrasenmäher. Nun ja, danach seien einige Ecken ramponiert gewesen, wegen der vielen Kurven. Aber der Rasen habe es überlebt.

    Sue Corfe öffnet die kleine Holztür zum Gemüsegarten. Die brauche sie, um das Gemüse vor den Fasanen zu schützen. Ein Männchen und drei Ladys wohnen in ihrem Garten. Weiter unten würden sie geschossen werden, sagt Sue. Hier seien sie sicher.

    "Mein Leben lang hatte ich immer einen Gemüsegarten. Ein Gemüsegarten ist sehr wichtig, wissen Sie! Wenn ich einen Blumenkohl ernte, dann esse ich ihn am selben Tag zum Dinner. Ich koche ihn nur ein paar Minuten. Die aus dem Supermarkt brauchen ja ewig, und der Geschmack ist völlig anders - genau wie der Salat. In unserer Familie gibt es eine Redensart: 'Noch vor zehn Minuten gewachsen.' Mais zum Beispiel: Wenn Sie den Mais ernten, sollte das Wasser schon kochen. Sie laufen in den Garten und stecken den Mais sofort in den Topf - oh ja, das ist etwas ganz anderes, als das Zeug aus dem Supermarkt."

    Sue Corfe holt ein Messer aus ihrer Schürzentasche. Kraftvoll teilt sie die Blätter und sticht einen Blumenkohl vom Strunk. Mit Schinken und Kartoffeln wird sie ein gutes Dinner machen - für sich und die beiden Ladys. Sie müssten ja bald kommen, werden Hunger haben nach der Fahrt.

    Sue Corfe setzt sich auf eine Holzbank und streckt die Beine aus. Im ganzen Garten hat sie kleine Bänke verteilt: Unter Bäumen und neben Blumenrabatten, manchmal ein Balken auf zwei Beinen, manchmal ein richtiger Lehnstuhl. Die Sitze seien für ihre Bed-and-Breakfast-Gäste, damit sie es sich gemütlich machen könnten in ihrem Cottage Garten.

    Ein Auto fährt den Kiesweg hoch. Es hält vor dem Cottage. Von ein paar Traktoren abgesehen, verirren sich nicht viele Fahrzeuge nach Nettlestead. Die Straßen zum Cottage sind eng, an beiden Seiten von Hecken umgeben.

    Ein Ehepaar kommt zur Holzbank gelaufen. Sie entschuldigen sich für ihr Eindringen: In einem Gartenbuch über basischen Boden hätten sie von Sue Corfes Cottage Garten gelesen. In Südfrankreich haben sie vor Kurzem ein Anwesen gekauft - bei Cognac, im Massif Central. Nur mit dem Boden kämen sie nicht zurecht. So viele Pflanzen seien ihnen eingegangen, dabei hätten sie extra eine Gärtnerei befragt.

    Sue Corfe rät ihnen, eigenen Kompost auf ihren Boden zu packen. Sie selbst nutze das Heu ihrer Wiese, sagt sie, alte Pflanzenteile und Häcksel. Auch wenn das nie genug sei. Und Pferdemist. Pferdemist sei auch nicht zu verachten.

    "Wir wollen die französischen Bauern überzeugen, uns ihren Pferdedung zu überlassen! Wir haben schon das Wort gelernt: Fumée de Cheval. Das Schlechtriechende vom Pferd."

    Es ist Nachmittag geworden. Tea Time. Sue Corfe steht in der Küche, unter fließendem Wasser spült sie Erdbeeren ab. Auf dem Tisch steht eine Schüssel mit Schlagsahne, daneben Teegeschirr. Gerade sind die Damen aus Bristol eingetroffen, sie hatten sich verfahren. Nun sind die beiden müde. Hunger haben sie keinen, eine Tasse Tee wäre nett, dazu Erdbeeren mit Schlagsahne.

    Sue Corfe trägt das Tablett in den Garten. In diesem Moment hüpft das
    Fasanenmännchen über den Rasen, seine Federn leuchten in der Sonne. Dann verschwindet er im Rhododendronbusch. Die Ladys aus der Stadt sind hingerissen.

    "Wenn ich mit meiner Freundin auf Gartentour bin, suchen wir immer nach einer Herberge auf dem Land: ein nettes Cottage, mit großem Garten. Tagsüber machen wir unsere Ausflüge, schauen uns die Gärten des National Trust an. Und wenn wir am Nachmittag zurückkommen, setzen wir uns mit einem Tee in den Garten - denken daran, was wir alles gesehen haben. Das gehört zusammen: Ausruhen und den Garten genießen."

    Sue Corfe holt eine Landkarte aus dem Haus. Die Damen wollen wissen, wo sie am nächsten Tag hinfahren könnten. "Sissinghurst!", sagt Sue Corfe. Sie tippt mit dem Finger auf die Landkarte. Sissinghurst sei zauberhaft.


    Und das waren Gesichter Europas: Ein Königreich für einen Garten - Volkssport Gardening in Großbritannien. Eine Sendung von Kirsten Zesewitz. Die Musikauswahl traf Ehrhard Gehl. Am Mikrofon verabschiedet sich Britta Fecke. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.