Archiv


Ein Leben am Auslöser

Heute vor 100 Jahren wurde der Pressefotograf Joseph John Rosenthal geboren. Mit dem Motiv von sechs Soldaten, die eine Fahnenstange umklammern, machte Rosenthal eines der berühmtesten Kriegsbilder der US-amerikanischen Geschichte.

Von Anette Schneider | 09.10.2011
    "Wissen Sie, ... es hat einfach alles gestimmt: Der Wind wehte in die richtige Richtung, die Bewegungen der Männer stimmten, und es war der richtige Moment. Es war reiner Zufall",

    erinnerte sich Joseph Rosenthal später.

    Am 23. Februar 1945 hatte der Pressefotograf im Krieg der USA gegen Japan das weltberühmte Foto "Raising the Flag on Iwo Jima" geschossen.

    "Sechs Soldaten umklammern eine Fahnenstange, die sie in einer dynamisch-kraftvollen Bewegung nach rechts gemeinsam in die Erde rammen, während über ihnen, am Ende der Stange, bereits die US-amerikanische Flagge im Wind weht."

    Binnen weniger Tage wurde die Fotografie zum Symbol des baldigen Sieges über Japan. Und in der Folge für die USA zum Symbol ihrer Siege schlechthin.

    Joseph John Rosenthal wurde am 9. Oktober 1911 in Washington geboren. Seine Eltern waren russisch-jüdische Emigranten, die vor den Pogromen im Zarenreich in die USA geflohen waren. Bereits mit zwölf Jahren besaß Rosenthal eine Kamera, die er im Tausch gegen Zigarrengutscheine erhalten hatte.

    Nach der High School zog Rosenthal nach San Francisco. Er arbeitete für die "Newspaper Enterprise Association", und 1941, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, wurde er Fotograf bei Associated Press. Als "embedded photographer" begleitete er US-Truppen nach Europa und in den Pazifischen Raum.

    Er fotografierte:

    "Einen Boxkampf auf dem Deck eines Kriegsschiffes Richtung Pazifik. Einen US-Soldaten mit nacktem Oberkörper und Tropenhelm auf einem Markt im Südpazifik. Ein abgebranntes Feld, auf dem tote Japaner liegen, im Hintergrund sieht man US-Soldaten in einem Panzer. Einen Abhang, übersät mit toten Japanern. Auf dem Gipfel: vier US-Soldaten in Siegerposen."

    Massenhaft lieferte Rosenthal in die Heimat, was Politiker und herrschende Medien von ihm erwarteten: Bilder, die die kriegerischen Erfolge der US-Armee zeigten, ihre militärische Überlegenheit und Stärke.

    Doch je länger die Kämpfe dauerten, desto kriegsunwilliger wurde die Bevölkerung in den USA. Auch die "Kampfesmoral" der Soldaten sank.
    Es musste etwas geschehen.

    "Um 6.30 Uhr wurde es hell, und wir gingen auf die Landungsboote."

    Zur Legitimation des Krieges instrumentalisierten Politiker und US-Militärs die Medien in bis dahin nicht bekanntem Ausmaß: Auf einem Schiff schickten sie fast 100 Film- und Fotojournalisten sowie etliche Rundfunkreporter vor die kleine, seit Tagen umkämpfte, japanische Vulkaninsel Iwo Jima. Mit dabei: Joseph John Rosenthal.

    "Ich ging mit 15 Jungs an Land, die meisten waren gerade 19, 20 Jahre alt."

    Mit sechs Mann stieg er auf den Gipfel des Vulkans Suribachi, wo sie eine wenige Stunden zuvor aufgestellte kleine US-Flagge gegen eine weithin sichtbare große austauschen sollten. Rosenthal dokumentierte das Geschehen.

    "Das richtige Bild kann einen Krieg gewinnen oder verlieren."

    "Für mich ist dieses Bild nicht nur ein Schnappschuss von fünf Marines und einem Seemann. Es ist das Bild von sechs Jungs, die eine Insel erobert hatten und dort die Fahne der Freiheit hissten."

    Die Insel war aber noch gar nicht erobert. Doch als das Bild zwei Tage später millionenfach vervielfältigt auf den Titelseiten zahlreicher US-amerikanischer Zeitungen erschien, verfehlte es seine Wirkung nicht: Die Dynamik des gemeinsamen Flagge Aufstellens machte es zu einem Symbol der Siegesgewissheit. Es vermittelte Heldenhaftigkeit, schürte Nationalstolz, appellierte an Zusammenhalt. Die Öffentlichkeit war begeistert, die Kriegspropaganda erfolgreich.

    Schnell verselbstständigte sich das Motiv: Die Regierung warb mit ihm auf Plakaten für Kriegsanleihen. Nach dem Krieg diente es als Vorlage für das Marine Corps War Memorial in Washington. Und Joseph John Rosenthal?

    "Ich wurde interviewt und immer wieder fotografiert. Können Sie sich vorstellen, wie schrecklich das für mich gewesen ist?"

    Rosenthal, der nun für den "San Francisco Chronicle" arbeitete, blieb für die Medien und die Öffentlichkeit zeitlebens der Fotograf des Bildes von Iwo Jima, für das er unter anderem den Pulitzer-Preis erhielt. Auf Vermutungen, sein Foto sei inszeniert, reagierte er kurz angebunden.

    "So ein Foto kann man nicht nachstellen. Hätte ich es versucht, dann hätte ich es verdorben."

    Im Alter zog sich der ohnehin schüchterne Mann immer mehr zurück. 2006 starb er hochbetagt in San Francisco.