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Ein Leben für die Bücher

Das Turiner Unternehmen Einaudi ist bis heute eines der wichtigsten Verlagshäuser der Welt. Gegründet hat es mitten im Faschismus Giulio Einaudi. Da war er gerade einmal 20 Jahre alt und tat sich mit einem Schulfreund zusammen. Der faschistischen Borniertheit und Provinzialität überdrüssig, setzten sie auf ein internationales Profil.

Von Maike Albath | 02.01.2012
    In der Via Giusti, einer kleinen Straße mitten in Turin, kam am 2. Januar 1912 Giulio Einaudi zur Welt. Der Vater Luigi Einaudi war ein angesehener Professor für Wirtschaftswissenschaften, Senator der liberalen Partei und späterer Staatspräsident Italiens. Anfang der 30er-Jahre spannte er seinen Sohn, der nach dem Abitur eher glücklos Agrarwissenschaften studierte, für den Vertrieb einer von ihm verantworteten Zeitschrift ein. Giulio fand Gefallen an der Aufgabe, wollte ein eigenes Blatt gestalten und auch Bücher herausbringen. Gemeinsam mit seinem Schulfreund Leone Ginzburg gründete der 21-Jährige im November 1933 den Einaudi-Verlag. Renata Einaudi, die Witwe des Verlegers:

    "Giulio hatte eine starke Ausstrahlung, der sich kaum jemand entziehen konnte. Das hing mit seiner Strenge zusammen. Er besaß eine große Strenge, und wenn er sich für einen Mitarbeiter entschied, dann deshalb, weil derjenige zu passen schien. Man fühlte sich geschmeichelt und geehrt, selbst wenn man dann vielleicht gar nicht bezahlt wurde. Er hatte einen großartigen Geschmack."

    Eisblaue Augen, ein markantes Profil, immer elegant gekleidet, eine kristalline Intelligenz, das zeichnete Einaudi aus. Er überzeugte auch den Schriftsteller Cesare Pavese, als Lektor in den Verlag einzusteigen. Von Anfang an erregte das Projekt der drei jungen Turiner großes Aufsehen. In ihren Zeitschriften verrissen sie regimetreue Bücher. Hausdurchsuchungen und Gefängnisstrafen änderten nichts an ihrem Programm: Mitten im Faschismus setzten sie auf amerikanische und russische Romane. Der mächtige Name Einaudi bot Schutz.

    "Es gab einen starken Zusammenhalt unter den Intellektuellen. Bei Einaudi veröffentlicht zu werden, war eine große Ehre. Bücher galten als etwas Heiliges, heute ist das nicht mehr so. Man las damals nur Einaudi-Bücher. Die berühmten gelben Umschläge standen für ein bestimmtes Bewusstsein."

    1943 stieß Giulio Einaudi zu den Partisanen im Aosta-Tal. Genau wie seine Freunde verstand er die verlegerische Arbeit aus dem Geist der Kritik heraus und war von der gesellschaftlichen Bedeutung der Literatur überzeugt. In der Nachkriegszeit knüpfte er daran an: Bücher sollten Italien zu einem freieren Land machen. Gemeinsam mit Pavese scharte er junge Intellektuelle, Wissenschaftler und Schriftsteller um sich. Mit der Veröffentlichung von Proust, Sartre, Hemingway, Morante, Bulgakov, Adorno, Benjamin, Gombrich, Panofsky und Roland Barthes schrieb Einaudi Kulturgeschichte. Der Programmchef Roberto Cerati trat 1945 in den Verlag ein.

    "Unser Verlag hatte die Tischreden von Luther im Programm. Einaudi berief sich häufig auf dieses Buch, denn Gespräche bei Tisch sind die einfallsreichsten, wo man extrem frei ist, wo einem Geistesblitze kommen, man sich mitreißen lässt, Anregungen äußert, die zu Ideen werden, aus denen irgendwann ein Projekt entstehen kann. Es ging soweit, dass Einaudi genau wissen wollte, was jemand tat, wohin er ging. Wenn einer von uns fehlte, fragte er nach, und wenn es dann hieß, derjenige sei in Florenz, dann sagte er, 'hoffentlich bringt er etwas Gutes nach Hause'. Wir waren immer in Aktion und haben daraus Dinge geschaffen, nichts Statisches, Fixiertes oder Formalisiertes, es war ein kontinuierlicher Prozess, eine ewige Bewegung."

    Jahrzehntelang war der Verlag ein Sammelbecken intellektueller Strömungen. Das exzellente Programm und große Enzyklopädien machten das Haus auch im Ausland berühmt. In den 70er-Jahren geriet Einaudi in finanzielle Schwierigkeiten. Giulio Einaudi trennte sich von seiner Familie und fand Gefallen an einem mondänen Lebensstil. 1983 stand sein Verlag trotz großer Erfolge vor dem Ruin – die Zinsen waren ins Unermessliche gestiegen, Rücklagen gab es kaum. Bis zu seinem Tod 1999 blieb Giulio Einaudi als Berater für das verkaufte Unternehmen tätig. Mittlerweile gehört das traditionsreiche Haus zu Mondadori, und damit zum Medienimperium Berlusconis.