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Ein Leben für die IRA

Seit mehr als 40 Jahren streiten die beiden Bevölkerungsgruppen in Nordirland über die Zukunft ihres Landes. Die katholischen Republikaner streben ein vereinigtes Irland an, die protestantischen Unionisten wollen Teil Großbritanniens bleiben. Eine wichtige Zäsur in den über Jahre von Gewalt geprägten Auseinandersetzungen war der 5. Mai 1981. Vor 25 Jahren ließ Bobby Sands als erster von zehn Häftlingen der Irisch Republikanischen Armee durch einen Hungerstreik sein Leben.

Von Hans Pietsch | 05.05.2006
    "Mein Sohn liegt im Sterben. Ich bitte meine Mitbürger, Ruhe zu bewahren und keine Gewalt mehr anzuwenden. Mein Sohn opfert sein Leben für bessere Haftbedingungen, nicht für mehr Tote."

    Am 3. Mai 1981 tritt Rosaleen Sands vor die Fernsehkameras und kündigt den bevorstehenden Tod ihres Sohnes an. Der ausgemergelte junge Mann liegt auf einem Wasserbett, um seine fragilen Knochen zu schonen. Seiner Mutter hat er das Versprechen abgenommen, ihn nicht zwangsernähren zu lassen, wenn er das Bewusstsein verliert. Nun ist er ins Koma gefallen, die Mutter hält ihr Versprechen. Zwei Tage später, am 5. Mai, erklären die Ärzte des Gefängnisses Maze Bobby Sands für tot - 66 Tage lang hatte das 27-jährige Mitglied der IRA - der Irisch Republikanischen Armee - jegliche Nahrung verweigert.

    "Ich bedauere diesen unnötigen, sinnlosen und selbst beigebrachten Tod. Ich hoffe zutiefst, dass die Bürger von Nordirland die Zwecklosigkeit von Gewalt einsehen und sich von ihr abwenden werden."

    Die Worte des damaligen britischen Nordirlandministers Humphrey Atkins. Doch weder sie noch die der Mutter verhindern Gewaltakte:

    Aus dem friedlichem Protest katholischer Frauen, die nach Bekanntwerden des Ablebens von Bobby Sands mit Mülleimer-Deckeln ihre Trauer und ihren Unmut ausdrücken, wird schnell eine blutige Auseinandersetzung mit Polizei und Armee - Molotowcocktails, Plastikkugeln, Schüsse.

    Seit Ende 1976 versuchen die Häftlinge der IRA im berüchtigten Gefängnis Maze in der Nähe der Stadt Lisburn mit allen Mitteln, ihren Sonderstatus als "politische” Häftlinge zurückzugewinnen. Sie weigern sich, Gefängniskleidung zu tragen und zu arbeiten, lassen sich nackt in eine Decke gehüllt in ihrer Zelle einsperren. Dem so genannten Decken-Protest folgt der "Dirty Protest” - der "Schmutzige Protest” - die Gefangenen waschen sich nicht mehr und schmieren ihre Exkremente auf die Wände ihrer Zellen. Als klar wird, dass die Londoner Regierung unter Margaret Thatcher nicht zum Einlenken bereit ist, beginnt am 27. Oktober 1980 ein erster Hungerstreik. Nach 55 Tagen wird er abgebrochen, weil die Hungernden - unter ihnen der wegen illegalen Waffenbesitzes einsitzende Bobby Sands - einem Regierungsemissär Glauben schenken, der einen Kompromiss in Aussicht stellt. Das dann vorgelegte Kompromisspapier ist für die Häftlinge eine herbe Enttäuschung. Drei Monate später, am 1. März 1981, verweigert Bobby Sands, inzwischen zum IRA-Kommandanten im Gefängnis aufgestiegen, erneut jegliche Nahrungsaufnahme.

    "Wir werden uns zu Tode hungern, bis die britische Regierung uns nicht mehr kriminalisiert und unserer Forderung nach politischem Status nachgibt."

    Am 5. März stirbt der Parlamentsabgeordnete für den Wahlkreis Fermanagh und South Tyrone. Bobby Sands wird für die Nachwahl als Kandidat aufgestellt und gewinnt – ein großer Propagandaerfolg für die IRA. Der Hungerstreik wird auch nach seinem Tod fortgesetzt, neun weitere Häftlinge sterben. Danach deuten die meisten Familien der noch verbleibenden Hungerstreiker an, dass sie bereit sind einzugreifen, wenn diese das Bewusstsein verlieren.
    "Unter diesen Umständen bleibt uns keine Wahl, den Hungerstreik aus taktischen Gründen auszusetzen."

    Mit dieser Erklärung brechen die Überlebenden am 3. Oktober den Streik ab. Der neue Nordirlandminister James Prior tritt vor die Fernsehkameras:

    "Wir haben immer gesagt, dass wir nach Beendigung des Hungerstreiks bestimmte Reformen einführen können. Und das werden wir in Kürze tun."

    Drei Tage später gibt die Regierung bekannt, dass die Häftlinge wieder Zivilkleidung tragen dürfen. Nach und nach werden die meisten ihrer Forderungen erfüllt, ohne dass ihr Status als politische Gefangene offiziell anerkannt wird.

    Sein Tod machte Bobby Sands zum Symbol für den Kampf der nordirischen Republikaner - 100.000 Menschen folgten seinem Sarg, fast 20 Prozent der katholischen Bevölkerung. Der Hungerstreik und Sands’ Wahl zum Abgeordneten waren langfristig entscheidend für den Friedensprozess. Von nun an verfolgte die IRA eine zweigleisige Strategie: Waffe und Wahlurne, die im so genannten Karfreitags-Abkommen und dem schließlichen Gewaltverzicht gipfelte.