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"Ein letztes Aufbäumen des radikalen Islamismus"

Laut der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hatte Osama bin Laden nie die Bedeutung, die ihm vom Westen beigemessen wurde. Der radikale Islamismus habe in der islamischen Welt schon lange keinen Einfluss mehr - das zeigten auch die neuen arabischen Revolutionen.

Katajun Amirpur im Gespräch mit Michael Köhler | 03.05.2011
    Michael Köhler: Die Reaktionen auf die Meldung vom Tod Osama bin Ladens, sie dauern an. "Amerika jubelt", "Ein Sieg der Gerechtigkeit", so lauten Schlagzeilen der Presse. Ob das auch für mehr Sicherheit sorgt, das ist eine andere Frage. Die Börsen goutierten es kurzfristig, die Aktien der Luftfahrtgesellschaften profitierten, weil die Angst vor dem Topterroristen abgenommen hat. Mit der Publizistin Katajun Amirpur, deutsch-iranische Journalistin und Islamwissenschaftlerin, habe ich gesprochen, weniger über Mythenbildung als darüber, ob der Mann, der der Welt den Krieg erklärt hatte, eigentlich noch von heute war? Das saudische Königshaus entzog ihm schließlich die Staatsangehörigkeit. Also, Frau Amirpur, war der meistgesuchte Terrorist nicht schon vor seiner Erschießung nur noch eine Chiffre, ein Mann von gestern?

    Katajun Amirpur: Ich denke schon. Also er hatte natürlich noch Anhänger, das kann ja nun nicht bestritten werden. Für eine ganze Reihe von radikalen Islamisten hatte dieser Mann durchaus noch eine Bedeutung. Aber er hatte bestimmt schon sehr lange nicht mehr (oder vielleicht hatte er sie wirklich nie) die Bedeutung, die ihm im Westen oft beigemessen wurde. Ich glaube, es gibt viel mehr Indizien für die These, dass auch Osama bin Laden eigentlich nur noch ein letztes Aufbäumen des radikalen Islamismus war und dass das, was er vertrat, eigentlich schon sehr, sehr lange keinen Grund mehr, keinen wirklichen Boden mehr hatte unter den Bevölkerungen in der islamischen Welt.

    Köhler: Die neuen arabischen Revolutionen, die von Tunesien im Januar auf Ägypten übergegriffen haben, Präsident Mubarak im Februar stürzten, sie sind anders organisiert, haben andere konkrete Geschichtsziele, sie sind nicht nur gegen was, sie wissen, wofür sie sind. Ägypter, Syrer, Libyer, Tunesier, die rufen nach Mitspracherechten, sozialer Gerechtigkeit und nicht nach Staatsterrorismus. Einen Verteidiger dieser Art wie bin Laden für entrechtete Muslime, den braucht heute niemand mehr?

    Amirpur: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, sie haben gerade auch bin Laden als Verteidiger von sich selber, von sich im Sinne von entrechteten Menschen überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Das war gar nicht die Rolle, die er ausgefüllt hat. Er war nicht die Person dafür. Sie haben für was ganz anderes gestritten: Sie wollten Würde, Freiheit. So jemand wie bin Laden, das war keine Parole, die irgendwie fiel in den letzten Monaten bei all diesen Rebellionen und Revolutionen, die wir beobachtet haben. Ich glaube, die Volksbewegungen in diesen vielen arabischen Staaten haben eben gerade bewiesen, dass Osama bin Laden eine Figur der Vergangenheit ist, dass er vielleicht schon viel, viel länger tot ist, geistig, als jetzt, und sie haben eigentlich auch bewiesen, dass die Menschen etwas ganz anderes wollen als diesen radikalen Islamismus.

    Köhler: Also ein reicher Außenseiter, der nicht mehr das Zeug zum islamischen Anführer hatte?

    Amirpur: Ich denke, dass er das wirklich nicht hatte. Nein! Auch die Islamwissenschaft ist eigentlich schon seit sehr, sehr langer Zeit davon überzeugt, dass es zwar in den 70ern eine Bewegung des sogenannten Islamismus gab, der sich dann aber irgendwann politisch überlebt hatte, und dass die Anschläge, die wir beobachtet haben, auch in den 90er-Jahren, wirklich nur noch das letzte Aufbäumen einer politischen Ideologie waren, die sich überlebt hatte, die gar keine Anhänger mehr fand und die sich genau deswegen gerade radikalisiert hatte. Und wir haben eben beobachtet, dass die Menschen nun wirklich etwas völlig anderes wollen, ganz andere Ziele haben als das, wofür Osama bin Laden stand.

    Köhler: Ich möchte mit Ihnen im zweiten Teil des Gespräches vielleicht das ein bisschen lösen von der Figur und auch von den gegenwärtigen Revolutionen und Sie fragen: Der Terrorismus ist ja nicht besiegt. Wir haben immer wieder einzelnes Aufflackern, gerade sind in Nordrhein-Westfalen Verdächtige verhaftet worden. Der Terrorismus ist nicht besiegt, aber der Ruf nach Gottesstaaten wird leiser? Würden Sie zustimmen?

    Amirpur: Nun, auf jeden Fall! Der Ruf nach einem Gottesstaat, der ist ja nun einmal verwirklicht worden, 1978/79 in der islamischen Welt, in Iran nämlich, und Iran ist nun wirklich nicht das, was man ein besonders großes Erfolgsmodell nennen kann. Es gab 1978/79 sehr viele arabische Länder, die bewundernd nach Iran geblickt haben und die sich überlegt haben, ob das nicht wirklich eine Alternative wäre, und man hatte einfach auch erlebt, was der Islam für eine potenzielle Kraft ist. Schließlich war es diese islamische Bewegung, die einen sehr, sehr stark installierten Diktator zu stürzen vermochte, etwas was man nie erwartet hatte. Insofern sah man den Islam als eine wichtige politische Kraft an, die das schaffen kann. Und dann kam nun aber dieser real existierende Islamismus, dann kam der erste Gottesstaat, dann kam der erste Staat, der gesagt hat, okay, wir setzen das um, wir lassen hier den Islam regieren. Und inzwischen, nach 32, 33 Jahren, haben die Leute nun mal gesehen, dass sich das Leben für die Iraner im Iran nicht verbessert hat. Es ist eine Diktatur, die dort herrscht. Iran ist ein Militärstaat inzwischen. Also es ist nun wirklich kein Modell, das dazu anstiftet, es nachzumachen. Das haben wir ja auch gesehen bei den arabischen Revolutionen der letzten Wochen und Monate. Es hat eigentlich niemand versucht, sich an diesem Modell zu orientieren. Das haben die Iraner zwar versucht, so auszulegen, das iranische Regime, aber eigentlich haben die Leute das genaue Gegenteil von dem gefordert auf den Straßen als das, wofür Iran steht. Sie haben Demokratie gefordert, sie wollten ein freiheitliches System, und das Modell Gottesstaat war insofern ein einmaliges Experiment offensichtlich, das sich überlebt hat.

    Köhler: Dann gehen wir vielleicht doch in der arabischen Welt einen kleinen Schritt weiter in Richtung auf Demokratie und nicht weiter auf den Dschihad?

    Amirpur: Ich denke schon. Man kann natürlich noch im Moment nicht sagen, wohin sich das alles entwickeln wird. Aber den Unkenrufen zum Trotz, die wir ja auch sehr, sehr stark gehört haben in den ersten Wochen – in den ersten Wochen waren ja, anstatt dass man sich wirklich darüber freute, was jetzt nun passiert in der islamischen Welt, die ersten Reaktionen bei uns in Europa "oh Gott, jetzt kommen die Islamisten", und nichts dergleichen ist bisher geschehen. Es waren einfach nicht die Islamisten diejenigen, die besonders stark waren in diesen Bewegungen, es kamen eben nicht die Rufe nach einem islamischen Staat, es wurde auch nicht gegen Israel großartig gewettert, oder gegen die Vereinigten Staaten. Vielleicht weiß man auch wirklich noch nicht so genau, wohin es geht und wie die Demokratie aussieht, aber es zeigt eben schon, dass die Demokratie als Exportmodell, als Exportschlager weitaus attraktiver ist für diese Menschen als all das, was wir uns im Westen auch vorgestellt haben, was die Menschen machen, wenn sie denn eine Revolution machen. Ich finde, die Revolutionen müssten eigentlich gerade auch das deutsche Feuilleton extrem überrascht haben.

    Köhler: Sagt die deutsch-iranische Journalistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.