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"Ein linkes Wunderkind"

"Er greift in gewisser Weise das bürgerliche Kulturverständnis an. Er ist also unglaublich omnipräsent." - Der Kritiker und Kulturredakteur Joachim Kaiser würdigt den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der seinen 80. Geburtstag feiert.

Joachim Kaiser im Gespräch mit Mascha Drost | 11.11.2009
    Mascha Drost: Zur Schriftstellerei und deren Klischees, an denen es nicht mangelt, es mangelt an Schriftstellern, die sich solchen Klischees verschließen. Einer davon feiert heute runden Geburtstag: Hans Magnus Enzensberger. Weder leidet er an der Welt, noch hatte er eine grauenvolle Kindheit, Familie, an der er sich abarbeiten musste, kein Neid auf Kollegen plagt ihn, er wird nicht verkannt, weder vom Publikum noch von der Kritik - und das ist doch ungewöhnlich für einen Autor dieser Größe.

    Zudem hat sich Enzensberger nie im Elfenturm vergraben, lieber ist er in der Welt herumgefahren - Norwegen, Italien, Kuba, USA. Er war noch keine 40 und hatte Orte überall in der Welt bereist, bewohnt - aus Wissensdurst und Neugier.

    Hans Magnus Enzensberger: ""Jede Kultur verdurstet auf die Dauer, wenn sie sich selbst isoliert und auf den freien Gedankenaustausch verzichtet","

    Drost: … sagt Hans Magnus Enzensberger. Die Feuilletons sind heute voll mit Würdigungen. In der "Süddeutschen" wurde ihm sogar die Seite drei freigeräumt. Da zu finden auch ein Artikel von Joachim Kaiser, Kulturredakteur und Kritiker seit 50 Jahren und auch mit Hans Magnus Enzensberger befreundet. Herr Kaiser, Sie wohnen in München, quasi um die Ecke, haben Sie heute schon gratuliert?

    Joachim Kaiser: Nein, ich bin heute Abend zu ihm eingeladen. Er gibt da eine Party bei Charles, das ist eine große Bar, und da freue ich mich. Da gehe ich mit meiner Freundin hin.

    Drost: Können Sie sich denn noch an Ihre erste Begegnung mit Enzensberger erinnern?

    Kaiser: Oh ja! Der Enzensberger war von vornherein sehr auffällig. Der lief immer in bunten Sachen rum, das hat die Leute damals eher verwundert, um nicht zu sagen ein bisschen irritiert. Ich war ja in der Gruppe 47, und da tauchte er doch schon Mitte der 50er-Jahre auf und war von vornherein also wirklich so eine Art linkes Wunderkind. Man staunte über ihn und er drückte sich gewandt aus, machte Verse, äußerte sich gar nicht allzu oft kritisch.

    Und ich werde nie vergessen, er las mal aus einem Stück vor. Und in der Gruppe 47, da war so eine Art Komment: Es konnte schon vorkommen, dass man verrissen wird; zum Beispiel Hans Werner Richter, der Gründer: Wenn der was vorlas, der wurde sehr oft heftig kritisiert. Es gab einen Komment, dass jemand solche Kritiken anständig ertragen muss.

    Der Enzensberger las also aus einem Drama vor, das war so eine Art Musical, und danach meldete sich Hildesheimer, Wolfgang Hildesheimer, und sagte, das ist vollständig misslungen und ich kann auch sagen, warum. Und dann legte er los. Und es war erstaunlich, wie vollkommen gelassen und heiter und überhaupt nicht betroffen oder gar boshaft der Enzensberger reagierte, sondern er ließ nur durchblicken, ja, ich glaube, ihr habt recht - ich glaube, ich habe da auch was Kritisches gesagt -, und dann hat er das Stück einfach, das gab es dann nicht mehr.

    Mittlerweile frage ich mich, ob das nicht vielleicht sogar ganz gut war und wir haben es unterschätzt, weil das in den 50er-Jahren war, da gab es ja diesen Typus von Musical und so weiter noch gar nicht recht. Aber immerhin, das gehört dazu, auch zu meiner Erinnerung an ihn.

    Drost: "Die Verteidigung der Wölfe", das war sein erster Gedichtband 1957. Sie haben ihn rezensiert, was war denn das Besondere an diesen Gedichten in dieser Zeit oder auch heute noch?

    Kaiser: Na ja, verstehen Sie, damals war das Zeitalter der "Angry Young Men", also dieser aufsässigen englischen Autoren, die also angriffen den ganzen politischen Schwindel und so weiter, die sich gegen das Establishment äußerten.

    Und bei uns fehlte das in gewisser Weise. Und dann meldet sich plötzlich der Enzensberger mit seinem Gedichtband - bin übrigens sehr stolz, meine Kritik ist, glaube ich, als einer der allerersten erschienen in der "Frankfurter Allgemeinen", war übrigens nicht ganz unkomisch, denn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", da war doch der Friedrich Sieburg, der im Übrigen ein sehr kluger und souveräner Herr war, aber der hatte nun mit der Gruppe 47 und diesen jungen Leuten gar nichts im Sinn. Und er hat irgendwie nicht richtig aufgepasst, und denn erschien meine Kritik im Dezember 1957 und machte also natürlich eine ganze Masse Aufsehen.

    Und der Sieburg ärgerte sich nicht schlecht, denn der konnte mit dem Enzensberger und mit der Gruppe 47 nichts anfangen. Aber die Sache stand nun in der Zeitung und war nicht mehr zu ändern. Es hat ja der Enzensberger dann auch später mal zwei berühmte Essays gegen große deutsche Zeitungsinstitutionen geschrieben, nämlich "Die Sprache des Spiegels", das ging also gegen den "Spiegel", und dann eben "Journalismus als Eiertanz", und das ging gegen die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Und in eben der habe ich ihn gelobt.

    Drost: Was auffällt, ist ja, dass die Lobreden in den Zeitungen relativ viel Platz benötigen für ihre Würdigungen, einfach vielleicht, weil Enzensberger so unglaublich vielseitig gearbeitet hat. Er war Lyriker als Theoretiker, hat sich auch der Mathematik zugewandt. Gibt es da eigentlich einen Enzensberger Stil?

    Kaiser: Das ist eine schwierige Frage. Er ist sehr intelligent, schnell, hell. Er greift in gewisser Weise das bürgerliche Kulturverständnis etwas an. Also er sagt: Mein Gott, warum sollen denn alle Leute lesen, und es ist gar nicht nötig, dass Literaturkritiker so viel veröffentlichen. Man weiß auch unter den Fachleuten und unter den Lesenden, die wissen auch, was gut und schlecht ist, die brauchen das nicht bei Reich-Ranicki nachzulesen.

    Also er spielt so ein bisschen - wie hat das mal der Immanuel Kant gesagt? -, er ist sozusagen ein Fachmann, der die Vorurteile der Laien gegen die Philosophie bekräftigt. Also so wie der Kant, der ja doch bewiesen hat, dass man also bestimmte Dinge, Gottesbeweise und so weiter, dass das alles nicht geht, also, was der Verstand alles nicht leisten kann, so ist der Enzensberger doch verdammt kritisch gegen den ganzen intellektuellen Betrieb. Aber ist ja weiß Gott selber von diesem Betrieb durchdrungen und schreibt ja ununterbrochen Bücher.

    Er versteht anscheinend wirklich eine ganze Masse von Mathematik. Und wenn man so seine Porträts dann im Mausoleum der großen Figuren sieht und so, das sind ja gar nicht immer Schriftsteller oder Literaturen oder Intellektuelle, sondern sehr häufig sind es Naturwissenschaftler und Leute aus ganz anderen Berufen. Er ist also unglaublich omnipräsent. Er kümmert sich wirklich um alles.

    Drost: Joachim Kaiser zum 80. Geburtstag von Hans Magnus Enzensberger.