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Ein Märchen vom Verzicht

Armin Holz hat sich des Lorca-Stücks "Dona Rosita oder die Sprache der Blumen" angenommen und es in Bochum inszeniert, wo er vor ein paar Wochen erst mit Oscar Wildes "Ein idealer Gatte" Aufsehen erregte. Doch mit Federico Garcia Lorcas' Dichtung und "Sprache der Blumen" kommt nicht unbedingt blühendes Theater heraus.

Von Eberhard Spreng | 18.06.2006
    Es gibt sie wirklich, die rosa mutabilis, die ein Rosenzüchter in Granada in seinem Garten gezogen hat. Ihre Farbe wechselt an einem Tag von blutrot am Morgen über korallenfarben bis zu farblos weiß am Abend. Sie ist Gegenstand des leitmotivisch wiederholten Gedichts des andalusischen Dramatikers, die Kernmetapher für die Vergänglichkeit der weiblichen Schönheit, die Zeitlichkeit der menschlichen Existenz. In dieser "Sprache der Blumen", wie Lorcas "Dona Rosita" im Untertitel heißt, vollzieht sich das vergebliche Warten einer jungen Dame auf den ihr versprochenen Bräutigam, ein Warten, das sich nach dessen Abreise auf den neuen Kontinent ein ganzes Leben lang hinziehen wird. Was sie nicht wissen will: Ihr Liebster fängt 40 Tagreisen entfernt ein neues Leben an und heiratet dort eine andere Frau.

    Als Gegensatz zu Schimmelpfennigs zeitgenössischem Stück "Die Frau von Früher", wo eine Jugendliebe ein altes Liebesversprechen gegenüber einer längst etablierten Ehe einklagt und dabei einen Alptraum auslöst, wird hier ein Märchen vom Verzicht erzählt, wie es unaktueller kaum sein könnte in einer Epoche der allumfassenden Lebenslustansprüche und Schadensersatzklagen. Lorcas Dona Rosita stammt quasi noch aus einer Zeit mit noch nicht existierender Lebensglücksversicherung.

    Die Metapher von der Rosenblüte ist indessen ein viel zu schönes Rollenkleid, als dass man der Dona Rosita zumuten wollte, von sozioökonomischen Begleiterscheinungen zu reden, die dem Autor bei den alten Jungfern seiner Heimat auffielen: Verarmung zum Beispiel, die die Dona Rosita des Armin Holz am Ende eher als theaterfernes Gerücht erlebt. Nein, nicht einmal die im Stück angelegten drei Etappen des Lebens, von der jungen Verlobten über das reife Mädchen zur alten Jungfer sind hier aufgefächert - etwa durch Mehrfach- oder eine junge Besetzung, der man das wachsende Alter aufschminkt. Es ist mit Ilse Ritter eine eh schon reife Dame, die hier eine Rosa immutabilis spielt, ein eben nicht alterndes Geschöpf, dessen Emphase mit dem Alter vielleicht Schaden nimmt, dessen Geist aber kaum reifen muss, da er naiv nie wirklich war. So als wäre hier, auf der kargen, unbehausten Bühne, ein weiblicher Bartleby zu bestaunen, also jemand, der gerne etwas nicht tut, auf das Leben als Action verzichtet, lässt Ilse Ritters Rosita mit schalkhaftem Blitzen in den Augen rasch ahnen, dass sie die Langeweile ihres Jungfrauenlebens gerne gegen den Horror des Ehelebens eintauscht, dessen Verschleißeffekte sie bei Tante und Onkel beobachten kann, mit denen sie in milder Übereinkunft zusammenlebt, außerdem umsorgt von der Haushälterin Manuela Alphons und ihren alten Volksweisheiten. In so eine Alten-WG würde heute mancher gerne einziehen, in einen halberlösten Schwebezustand, zu dem Philipp Weiss eine merkwürdig tonlose und melodisch ausgelaugte Musik komponiert hat.

    Wenn die Moderne in diese Welt einbricht, zum Beispiel in der Figur eines Professors, so sinkt sie wie ein strahlender Aufzug von oben wie in ein heiteres Verließ, und wenn die preziosen Schwestern der Familie Manola und Ayola ihre Aufwartung machen, dann erscheinen sie auf kleinen fahrbaren Bänkchen aus den Kulissen. Dieses Schauspielertheater ist durchgängig eines der Pose, des opulenten Kostüms und der lupenreinen Diktion. Das ist nicht anders als beim zuvor in Bochum von Holz inszenierten "Idealen Gatten", der Joachim Lottmann im "Spiegel" vor Wochen als die Rettung vorm vermeintlich grassierenden Ekeltheater erschien. Aber die bei Armin Holz so stark ausgeprägte Freude am Theater als Form bedeutet doch zunächst einmal, dass er uns das Theater als ein Kunstobjekt kenntlich machen und damit von unserer Zeitgenossenschaftsbanalität abrücken will, ja gewissermaßen als etwas wirklich anderes erkennen lässt. Aber das Exaltierte, mutwillig aus dem Alltag in Posen gehobene Leben ist nicht automatisch vor der Hohlheit geschützt, so dass man nach dieser "Don Rosita "zwar immer noch glaubt, dass man, lässt man Blumen sprechen, etwas wunderschönes ausdrücken kann, dass aber mit Lorcas Dichtung und "Sprache der Blumen" nicht unbedingt blühendes Theater herauskommt.