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Ein Mann der Tat und der Musik: Johann Andreas Streicher

Seine gemeinsame Flucht mit Schiller hat ihn bekannt gemacht, den Autodidakten Johann Andreas Streicher, der sich als Klavierlehrer durchschlug und zwei Opern arrangierte. Das Glück seines Leben fand er in München: Er heiratete Maria Anna Stein, die Tochter eines Augsburger Klavierbauers, der mit einer neuen Pianoforte-Mechanik nicht nur den jungen Mozart begeisterte.

Von Frieder Reininghaus | 13.12.2011
    Bekannt ist Johann Andreas Streicher heute vor allem noch als Mann der Tat. Die frühe Freundschaft mit musikinteressierten Schülern der württembergischen Hohen Karlsschule führte auch zur Bekanntschaft mit dem jungen Friedrich Schiller. Über ihn schrieb der Klavierspieler und Komponist Streicher:

    "Schon in Stuttgart ließ sich immer wahrnehmen, dass er durch Anhören trauriger oder lebhafter Musik außer sich selbst versetzt wurde."

    Schiller und Streicher wagten in der Nacht vom 22. auf den 23. September 1782 die legendäre Flucht: Die beiden entwichen auf der Straße von Knittlingen nach Bretten in die benachbarte Pfalz – nach Mannheim, wo im Jahre zuvor am Nationaltheater Schillers "Räuber" uraufgeführt worden waren. Der zwangsweise als Militärarzt verpflichtete Dichter war bereits wegen unerlaubter Abwesenheit von der Truppe vorbestraft – Streicher riskierte beim bewaffneten illegalen Grenzübertritt gleichfalls Kopf und Kragen. Auch in der Pfalz war die Angst vor dem "langen Arm" des Herzogs Carl Eugen begründet, der Fahnenflüchtige einfangen und abstrafen ließ. Daher wohnten die beiden Freunde zunächst in Frankfurt, dann – um näher beim Nationaltheater zu sein – in Mannheim gegenüber am anderen Ufer des Rheins. Sie hausten, von Schulden geplagt, gemeinsam in einer Kammer des Wirtshauses Viehhof.

    "Selbst an den Kerzen musste gespart werden."

    Schrieb Streicher viele Jahre später in seinen Jugenderinnerungen. Aus seinem Plan, bei Carl Philipp Emanuel Bach, dem wichtigsten "modernen" Komponisten damals, Unterricht zu nehmen, wurde nichts. Für einen Umzug nach Hamburg war einfach kein Geld da und mit Klavierstunden-Geben auch nicht einzuspielen. Andreas Streicher blieb im Wesentlichen Autodidakt.
    Er hatte ein portables Clavichord mit auf die Fahrt ins Ungewisse genommen. Das musste in Oggersheim zur Beruhigung der gereizten Nerven des Freundes dienen, Melancholien entgegenwirken und den Gedankenfluss stimulieren.

    Geboren wurde Andreas Streicher am 13. Dezember 1761 in Stuttgart als Sohn eines Maurermeisters. Er wuchs nach dem frühen Tod des Vaters im Waisenhaus auf, ohne eine nennenswerte musikalische Ausbildung zu erhalten. Nach der Flucht schlug er sich als Klavierlehrer durch, arrangierte auch zwei Opern für Aufführungen in Mannheim, zog dann nach München. Das Glück des Lebens fand er 1794: Er heiratete Maria Anna Stein, die Tochter des Augsburger Klavierbauers Johann Georg Stein, der mit einer neuen Pianoforte-Mechanik (der sogenannten deutschen) nicht nur den jungen Mozart begeisterte.

    Maria Anna, genannt Nanette, war eine tüchtige Pianistin, die auch komponierte. Sie hatte nach dem Tod des Vaters zusammen mit ihrem Bruder Matthäus dessen florierendes Geschäft übernommen und nach Wien verlegt. Dort unterhielt das Ehepaar Streicher, befreundet mit Beethoven, auch einen illustren Salon - was wiederum der Firma zugutekam. Als die Wohltätigkeitskonzerte den privaten Rahmen sprengten, gründeten die Streichers zusammen mit Freunden die Gesellschaft der Musikfreunde. Sie ist bis heute in Wien höchst einflussreich.

    Nanette Streicher besorgte eine Zeit lang den chaotischen Haushalt des großen Ludwig van, Andreas kümmerte sich, zusammen mit der Gattin, um die Werkstatt zur Herstellung von technisch weitergehend perfektionierten Klavieren und um den Instrumentenverkauf. Einer der um 1821 gebauten Wiener Flügel ist hier zu hören.

    Andreas Streicher veröffentlichte einige Klavierwerke und eine Klavierschule, engagierte sich für eine erste Gesamtausgabe von Beethovens Werken, insbesondere auch für die Gründung einer Singschule und die Herausgabe eines Gesangbuchs mit evangelischer Kirchenmusik in Wien. Die beiden starben kurz nacheinander: sie im Januar 1833, er im Mai. Posthum erschienen seine Jugenderinnerungen Schillers Flucht. Es war auch seine, Streichers, Flucht in die Freiheit – in die einer bürgerlich-souveränen Existenz.