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Ein Mann, ein Film

Obwohl er mehr als 20 Filme gedreht hat, wird kaum ein Regisseur so sehr mit nur einem einzigen Film in Verbindung gebracht wie Carol Reed. "Der Dritte Mann" war ein international überragender Ausnahmefilm, für den der Engländer kurz nach der Uraufführung sogar geadelt wurde.

Von Hartmut Goege | 30.12.2006
    Anton Karas Heurigenmusik und "Der Dritte Mann": Sie sind seit 1949 untrennbar ein Stück Wiener Kulturgeschichte geworden. In dieser von vier Siegermächten besetzten und vom Krieg zerstörten Donaumetropole macht sich Joseph Cotton als amerikanischer Trivial-Autor Holly Martins auf die Suche nach seinem Freund Harry Lime, alias Orson Welles, der in tödliche Schwarzmarkt-Schiebereien mit der Unterwelt verstrickt ist. Carol Reeds konsequent zweisprachig gedrehter britischer Filmklassiker besticht durch seine glaubhafte Millieu-Darstellung der Nachkriegsjahre.

    "Please, what is los?"

    "Der Portier ist umgebracht worden."

    "Oh, I don´t understand."

    "The Portier! Dead, kaputt, murdered!"
    "
    Der Thriller ist das gelungene Ergebnis aus der Zusammenarbeit zwischen Carol Reed und Graham Greene, der das Drehbuch lieferte. Beide waren auf ihren Gebieten erfahrene Dokumentaristen. Greene hatte während des Krieges für das Foreign Office in Afrika spioniert und die Geheimdiensterlebnisse in seinen Romanen verarbeitet, Reed als Captain der britischen Militärfilmabteilung Propagandastreifen gedreht. Kenntnisse, die ihm später den Ruf eines perfekten Arrangeurs realistischer Schauplätze und düsterer Stimmungen einbrachten. Für "The Third Man" ("Der Dritte Mann") hatte Reed darauf bestanden, nur an Originalschauplätzen zu drehen, was einen Großteil der Atmosphäre ausmacht. Wäre es nach seinem amerikanischen Co-Produzenten David O´Selznik gegangen, hätte sich Orson Welles als Harry Lime nicht in den maroden Abwasserkanälen unter Wiener Kriegsruinen versteckt, sondern in künstlichen Kulissen Londoner Studios. Der ansonsten wenig bescheidene amerikanische Filmmogul bekannte später:

    ""Der Film war ausschließlich Carol Reeds Werk. Ich habe ein bisschen mit Reed und Graham Greene am Drehbuch gearbeitet, doch das war für den Erfolg des Films sicherlich nicht von großer Bedeutung. Ich habe nur die Stars geliefert."

    Carol Reed wurde am 30. Dezember 1906 in London geboren. Eigentlich sollte er nach dem Willen seiner Eltern Farmer werden. Stattdessen debütierte der 18-Jährige in London als Theaterschauspieler. Nach zehn Jahren, in denen er auch Edgar-Wallace-Romane für das Theater adaptierte, wechselte Reed dann zur Filmregie. Mit einigen billigen Produktionen stärkte er dort schnell seinen Ruf als solider Handwerker; bis die britische Armee auf ihn aufmerksam wurde. Im Auftrag der Alliierten sollte er 1944 gemeinsam mit seinem amerikanischen Co-Regisseur Garson Kanin "The True Glory", die Invasion gegen Nazi-Deutschland dokumentieren:

    "Carol und ich glaubten, es müsste möglich sein, eine echte Dokumentation über diese unglaubliche Operation zu machen - ohne gestellte Szenen. Wir montierten schließlich von rund 450 Kameraleuten über drei Millionen Meter Film. Unsere Idee war, die Dokumentation nicht von einem Sprecher erzählen zu lassen. Die Betroffenen selber, die Soldaten, Krankenschwestern, Seeleute und Flieger, sie sollten aus ihrer Sicht das Unternehmen schildern."

    "The True Glory", ein Viereinhalb-Stunden-Monument, wurde 1945 mit einem Oscar belohnt und brachte Carol Reed den Eintritt ins große Filmgeschäft zu einer Zeit, als der britische Film seine größten Erfolge feierte und gegen Hollywood international Marktanteile eroberte. Nach Achtungserfolgen wie "Odd Man Out" über das Ende eines gescheiterten IRA-Rebellen und "The Fallen Idol", bei dem Reed erstmals mit Graham Greene zusammenarbeitete, gelang ihm mit "The Third Man "der Welterfolg, den er später nie mehr erreichte, an dem er aber immer wieder gemessen und erinnert wurde, wie 1951 in Berlin:

    "Der Wunsch Berlins an Mr Reed: Kann sich zum 'Dritten Mann' Wiens auch ein Berliner Filmkollege gesellen?"

    "Ich würde sehr gerne in diesem Land einen Film drehen. Aber das Problem ist die Story. Ich bin sicher, es gibt eine Menge wundervoller Stoffe über die spezielle Situation hier. Aber ich habe noch kein Script gelesen oder eine Story gefunden."

    Ein Jahr später hatte der inzwischen geadelte Sir Reed mit "The Man Between" sein Berlin-Thema zwar entdeckt, doch der Erfolg blieb aus. Das Drama über eine Liebesbeziehung zwischen den Fronten des Kalten Kriegs wirkte bemüht und konstruiert und hielt dem Vergleich zur künstlerisch dichteren Atmosphäre in "The Third Man"nicht stand. Mehr oder weniger erfolgreich drehte Carol Reed bis Anfang der 70er Jahre. Er starb in London am 25. April 1976.