Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ein Mann mit vielen Talenten

Giorgio Vasari wurde mit seinem wichtigsten Werk, den Künstlerviten, zum Erfinder der Renaissance und Gründer der Kunstgeschichte. Gerd Blum beschreibt das Leben und Wirken des Künstlers mit all seinen Widersprüchen.

Von Klaus Englert | 08.08.2011
    Die Verabschiedung der mittelalterlichen Weltsicht geht maßgeblich auf den italienischen Dichter Petrarca zurück, der, in Rückbesinnung auf die vermeintlich glücklichere Antike ein besseres Zeitalter herbeisehnte. Folgender Ausspruch Petrarcas, geschrieben Mitte des 14. Jahrhunderts, kann als Gründungsmanifest der Renaissance gelesen werden: "Es gab ein glücklicheres Zeitalter, und vielleicht wird es ein neues geben. In unserer Zeit siehst du, wie aller Schmutz und alle Schändlichkeit zusammengeflossen sind."
    Das Programm der italienischen Renaissancegelehrten war in nuce bei Petrarca bereits vorhanden. Doch zusammengefasst findet sich der Geist dieser Epoche erstmals bei Giorgio Vasari. 200 Jahre nach Patrarca distanzierte sich Vasari, der ebenfalls aus dem toskanischen Arezzo stammt, vom "dunklen Mittelalter" und begrüßte freudig die "rinascità" – die Wiedergeburt der antiken Künste und der antiken Philosophie.

    Nun hat der Konstanzer Kunsthistoriker und Renaissanceforscher Gerd Blum ein schönes Buch über Vasari geschrieben, dessen 500. Geburtstag sich am 30. Juli jährt. In Abwandlung eines bekannten Ausspruchs von Hegel könnte man sagen, Vasaris Künstlerviten konnten erst ihr grau in grau malen, ihre Zeit in Gedanken fassen, nachdem sie ihren Bildungsprozess vollendet hatte:

    "Als Vasari geboren wurde, war die goldene Zeit der Renaissance, also die Wiedergeburt der Antike, schon fast zu Ende. Noch bevor Vasari 1511 das Licht der Welt erblickte, hatte bereits Michelangelo die Decke der Sixtinischen Kapelle begonnen zu malen; als Vasari ein Kind war, ist Raffael in Rom gestorben; Leonardo war schon längst tot. Vasari ist jener, der die Summe dieser Epoche zieht. Er hat als Erster die kunstgeschichtliche Epoche der Renaissance beschrieben, ihr jene Konturen verliehen, in denen wir sie heute noch wahrnehmen. Giorgio Vasari ist insofern ein Erfinder der Renaissance, insofern er zentrale Kategorien formuliert hat, unter denen wir diese Epoche als einen Höhepunkt europäischer Kunstgeschichte wahrnehmen"

    Gerd Blum hält sich in seiner Vasari-Mongraphie an den Prinzipien, an denen sich auch der toskanische Gelehrte und Künstler bei der Abfassung seiner Vitae orientiert hat: Leben, Charakter und Werk sollten im Mittelpunkt der Darstellung stehen. So schildert Blum, wie der junge Giorgio im heimatlichen Arezzo die Malerei eines Piero della Francesca und Andrea del Sarto entdeckte, aber auch das Denken der Humanisten kennenlernte. Allerdings distanziert sich Blum deutlich von der Methode der Viten, die weniger ein nüchterner Tatsachenbericht als eine stark literarisch gefärbte Künstlerbiografie sind. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn Vasari auf die Hofkünstler des Medicisprösslings Cosimo zu sprechen kommt. Jenes florentinischen Herzogs, der Maler wie Bronzino und Pontormo als Hofkünstler einstellte, damit sie seine Herrschaft verherrlichen. Vasari, der zu den begehrtesten Günstlingen Cosimos gehörte, strafte sämtliche Künstler mit Häme oder Nicht-Beachtung, die seiner eigenen Karriere am Hofe hinderlich waren. Wenngleich Vasaris Urteile der kunsthistorischen Forschung nicht immer standhalten, hält Gerd Blum unbeirrt daran fest, in dem italienischen Universalgelehrten den Begründer der Kunstgeschichte zu sehen:

    "Giorgio Vasari hat nicht nur unsere Sicht auf die Renaissance geprägt, sondern auch das moderne Konzept von Kunstgeschichte, von Kunst und Künstler. In seiner Vita des Michelangelo, seines älteren Zeitgenossen, zu dessen Herold er sich berufen sah, hat er bereits den modernen Geniebegriff vorgeprägt. Vasari erst hat jene Idee kanonisch gemacht, die für uns so selbstverständlich ist – dass die bildenden Künste ein besonderer Bereich menschlicher Künste und Kunstfertigkeit sind. Er hat damit der Autonomie der Kunst und der Künstler maßgeblich Vorschub geleistet"

    Die von Giorgio Vasari in den Vitae proklamierte Einheit von Malerei, Architektur und Skulptur, setzte er nicht nur als Künstler, sondern auch in seiner Tätigkeit als Kunstunternehmer, Funktionär und Akademiker um. Dazu zählt Vasaris Mitbegründung der Florentiner Akademie der Zeichenkunst, die seinerzeit einen kaum zu überschätzenden Rang innehatte. Für Gerd Blum war Vasari nicht nur der Universalgelehrte, der in seinen Künstlerviten lebendig wird, er war auch ein Universalkünstler, wenngleich seine künstlerische Begabung heute weitgehend vergessen ist. Vergessen ist beispielsweise, dass Vasari zu den gefragtesten Malern seiner Zeit gehörte. Und dennoch:

    "Als Maler gehört er nicht zu den prägenden Figuren der Kunstgeschichte, wohl aber als Architekt, insbesondere durch seine Uffizien, ein weltbekanntes Bauwerk, ursprünglich Verwaltungsgebäude, seit dem frühen 16. Jahrhundert eine berühmte Gemäldegalerie. Aber die prägendste Kraft entwickelt der Schriftsteller, der in einem Kreis von Koautoren jene Kategorien der Kunstbetrachtung maßgeblich geprägt hat, die wir heute noch verwenden."

    Giorgio Vasari hält in der Kunstgeschichte eine eigentümliche Zwischenstellung inne. Eingekeilt zwischen mittelalterlichem und modernem Weltbild entwickelt Vasari eine spezifisch frühmoderne Sicht auf die Kunst. Er ahnt zwar bereits die Entwicklung hin zu den autonomen Künsten, hin zum individuellen Kunstschaffenden. Und trotzdem: Vasari bleibt weithin den Denkkategorien des 16. Jahrhunderts verhaftet. Für den italienischen Renaissancegelehrten ist die Entwicklung der Kunst nicht unabhängig von der christlichen Heilsgeschichte denkbar:

    "Vasari griff in seinen Viten auf das christliche Modell der Universalgeschichte zurück. Hier folgt er einem an der Bibel ausgerichteten, geschichtstheologischen Modell. Die Viten beginnen mit der Erschaffung des ersten Menschen und enden mit dem Jüngsten Gericht Michelangelos. Und dann werden die drei Epochen des progresso de la renascità, die zunehmende Erneuerung und Vervollkommnung der italienischen Künste im Rückgriff auf die Antike, nach dem Muster der drei sogenannten Heilszeiten formuliert."

    Gerd Blum hat ein Buch über den Gelehrten und Künstler Vasari geschrieben, der ihn erfreulicherweise nicht allein zur heroischen Gründerfigur der modernen Kunstgeschichte erhebt. Stattdessen wird Vasari beschrieben in all seinen Widersprüchen: schwankend zwischen mittelalterlich-theologischem und säkularem Weltbild, schwankend zwischen republikanischen Idealen und dem Kotau vor der grausamen Herrschaft Cosimos. Gerd Blum macht es sich zum Glück nicht einfach mit seinem Renaissancehelden.

    Gerd Blum: Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biografie. Verlag C. H. Beck, 320 S., München 2011, 24,95 Euro.