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Ein Master in Yin und Yang

Es geht um das Qi, um Yin und Yang, um Puls- und Zungendiagnose. Das sind zentrale Begriffe aus der Traditionellen Chinesischen Medizin. Die TU München bietet jetzt genau in dem Fach einen berufsbegleitenden Masterstudiengang an - der erste im deutschen Sprachraum.

Von Burkhard Schäfers | 06.11.2013
    20 Studierende sitzen im Seminarraum der TU München. Die meisten sind gestandene Mediziner – darunter Neurologen, Chirurgen, Kinderärzte. Hier aber starten sie als Erstsemester in den neuen, berufsbegleitenden Masterstudiengang Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM.

    Schulmediziner sind es gewohnt, sich nach messbaren Daten zu richten, etwa nach Laborwerten, und zu schauen, ob Organe wie Herz und Lunge gesund sind, sagt Professor Carl-Hermann Hempen, der das Masterstudium an der TU München entwickelt hat und selbst eine TCM-Praxis betreibt:

    "Die Chinesische Medizin interessiert sich dafür eigentlich sehr wenig. Die interessiert sich für die energetische Situation des Menschen. Es gibt ein Wort, das da im Zentrum des Interesses steht, das ist das Qi. Kann man ein bisschen schlecht übersetzen, das Qi ist so etwas wie Lebensenergie."

    Vereinfacht gesagt schaut die TCM, wo beim Patienten das innere Gleichgewicht gestört ist, welche energetischen Prozesse ablaufen. Dann versucht der Arzt, angeschlagene sogenannte Funktionskreise mit Hilfe von Heilkräutern zu kräftigen.

    "Sie haben eine Austestphase, die weit über das hinausgeht, was wir von unseren Sachen immer behaupten, wenn wir von Evidence-Based reden. Diese Sachen sind seit Jahrhunderten bis Jahrtausenden erprobt. Und zwar nicht von einer Handvoll, sondern von Millionen Ärzten, was man aus der durchgängigen Literatur sieht."

    Die Bücher auf den Tischen der Studierenden haben Titel wie "Chinesische Phytotherapie" oder "Atlas Akupunktur". Die relativ bekannte Akupunktur macht aber nur ein Zehntel der TCM aus. Mindestens genauso wichtig: Die Behandlung von Infektionen, Rheuma, Allergien oder Hautkrankheiten. Alles mit rein pflanzlichen Medikamenten. Viele Schulmediziner sind skeptisch, auch etliche Ärzte der TU München. Der Schmerzmediziner Thomas Tölle nennt TCM eher eine Heilslehre als eine Wissenschaft:

    "Viel aus der Zunge lesen zu wollen oder über die 365 Meridiane Einflüsse zu nehmen auf Organe, alles das ist spannend, spektakulär, aber doch in keinster Weise für mich und auch viele meiner Kollegen, die wissenschaftlich aufgestellt sind, nachvollziehbar."

    Auch die Krankenkassen erstatten nur einzelne Methoden der TCM wie Akupunktur. Setzt die Elite-Uni also ihren guten Ruf aufs Spiel? Soweit will Professor Tölle nicht gehen.

    "Ich glaube, man sollte nicht damit verbinden, dass die Technische Universität die TCM nun als den Heiligen Gral betrachtet. Aber zur Exzellenz passt Vielgestaltigkeit – man wird sehen, was daraus wird."

    Immerhin: Die 20 Studierenden kommen aus ganz Deutschland, sogar aus Liechtenstein und den Niederlanden. Für den sechs Semester dauernden, berufsbegleitenden Master zahlen sie gut 25.000 Euro, so viel wie für einen Mittelklassewagen. Die TU München sieht in der chinesischen Medizin einen wachsenden Markt. Viele Kliniken und Praxen würden den alternativ-medizinischen Bereich ausbauen und suchten qualifizierte Ärzte, sagt TCM-Dozent Hempen:

    "Niemand soll etwas über Bord werfen, es ist völlig überflüssig, seine bisherigen Kenntnisse zu ignorieren. Es geht um Erweiterung. Da haben wir so viele effektivere Sachen, die weit über das hinausgehen, was die westliche Medizin machen kann."