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"Ein Missbrauch des öffentlichen Amtes"

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin empört mit seinen Aussagen und Thesen zur Integrationsbereitschaft muslimischer Migranten. Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth sagt, Sarrazins Verhalten sei "am Ende der politischen Moral".

Gerd Langguth im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.08.2010
    Tobias Armbrüster: Von Roland Koch kommen wir auf einen weiteren Provokateur in der deutschen Politik zu sprechen: Thilo Sarrazin. Sein Buch "Deutschland schafft sich ab" war das meist diskutierte der vergangenen Woche. Es soll heute erscheinen. Dazu wird es in Berlin eine größere Pressekonferenz geben. Wir werden also im Laufe des Tages noch einiges davon hören. Einige seiner Thesen wurden bereits in den vergangenen Tagen ausführlich diskutiert, etwa über mangelnde Integrationsbereitschaft von Muslimen, oder über das deutsche Einwanderungsrecht, und gestern dann seine Aussagen über genetische Unterschiede von Basken und Juden. Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Schönen guten Morgen, Herr Langguth.

    Gerd Langguth: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Langguth, mal ganz abgesehen davon, ob Thilo Sarrazin richtig oder falsch liegt mit seinen Thesen, brauchen wir in einer Demokratie Leute, die so provozieren wie er?

    Langguth: Ja, wir brauchen immer Leute, die provozieren, die mit klugen und richtigen Büchern auch uns weiter vorantreiben. Aber das, was Herr Sarrazin hier macht, ist ja sozusagen am Ende der politischen Moral. Er verletzt ja einen Teil der Gesamtbevölkerung, und vor allem durch seine Aussagen, dass alle Juden ein bestimmtes Gen teilen, hat er doch Aussagen gemacht, die so verwerflich sind, dass sie meines Erachtens so auch nicht im Raume stehen bleiben dürfen, und ich bin mal sehr gespannt, wie sein Chef, der oberste Bundesbanker, Herr Weber, heute, wenn er aus Amerika zurückkehrt, darauf reagiert.

    Armbrüster: Können solche Thesen, die Menschen aufhorchen lassen, die Menschen regelrecht aufrütteln und agitieren, können solche Thesen Menschen auch näher an die Politik heranbringen, vielleicht auch Menschen, die sich sonst nicht so sehr für Politik interessieren?

    Langguth: Ja. Er bedient aber hier eher diejenigen, die über die Politik irritiert sind. Das Problem besteht ja darin, das was er schreibt, soweit man das überhaupt sehen kann – ich kenne auch bisher nur die Auszüge; alle reden ja schon, als hätten sie schon das Buch von Anfang bis Ende gelesen -, deswegen muss man vorsichtig sein, aber es ist ja eine Mixtur aus Wahrem, aus Tabuisiertem und aus Falschem. Das natürlich, das kann eine sehr gefährliche Mischung sein. Das muss man einfach sehen. Durch die Tatsache, wie er es formuliert, bringt er sich eigentlich durch seine Wortwahl, leistet er einer Tabuisierung bestimmter Themen ja eher sogar selber noch Vorschub, und das ist das Problem. Seine Wortwahl ist teilweise eben doch so überspitzend provozierend, dass eben hier doch viele einfach, wie soll ich sagen, sofort zu Gegnern seiner Thesen werden und gar nicht erst darüber nachdenken, ob vielleicht auch das eine oder andere dabei ist, worüber sich zu diskutieren lohnt.

    Armbrüster: Man hört jetzt in dieser Debatte immer wieder den Satz, "endlich spricht mal jemand aus, was man öffentlich nicht mehr sagen darf". Beobachten Sie das ebenfalls, dass die Zahl der Tabus in der öffentlichen Diskussion größer wird?

    Langguth: Ja, ich beobachte schon, dass er sich eines Themas annimmt, das ja in der Bevölkerung eine Riesenlawine losgetreten hat, und ich kenne viele, die mir auch selber immer wieder die Frage stellen, wenn man Menschen trifft, die sagen, ja sagt er denn nicht im Kern auch das richtige, und da sind noch manche verstört, die sagen, ja man will ihm das Wort verbieten, und sobald er dann in eine Märtyrerrolle reinkommt, dann gibt es natürlich die Probleme. Aber man muss natürlich sehen, wir haben ja immer schon Tabubrecher gehabt, aber auch gerade übrigens bei diesem Thema. Ralph Giordano hat Sturm gegen Moscheebauten gelaufen, oder auch Alice Schwarzer gegen die Burka, aber die haben sich doch etwas anders ausgedrückt und nicht in dieser dramatischen Form, wie das eben Sarrazin tut.

    Armbrüster: Aber zeigt nicht, Herr Langguth, gerade das Erscheinen dieses Buches, dass wir eine sehr große Meinungsfreiheit haben in Deutschland, denn man darf es ja offenbar durchaus sagen und Herr Sarrazin ist ja immer auch noch in leitender Position in der Bundesbank tätig?

    Langguth: Ja, man darf es sagen. Es ist natürlich nur so, dass auch andere Bücher – nehmen wir mal das Buch von der Richterin Kirsten Heisig, die ja Selbstmord begangen hat; Ihr Buch "Das Ende der Geduld" ist seit geraumer Zeit schon auf Platz 1 der Bestsellerliste und das beschreibt ja, dass es doch bei diesem Thema Bedarf gibt, darüber zu diskutieren. Viele Deutsche haben eben den Eindruck, sie haben Angst, dass die Politik die Probleme, die auch aus der Migration kommen können, nicht aufgreift, wie Belastung der Sozialversicherungssysteme, oder was ganz einfaches, aber wichtiges, dass in einigen Städten kaum noch Weihnachtslieder in den Kindergärten gesungen werden dürfen, Stichwort Kriminalitätsrate unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das sind alles Themen, die die Menschen natürlich bewegen, und da ist natürlich Sarrazin ein Tabubrecher. Aber noch einmal: durch die Art und Weise, wie er das Thema jetzt angepackt hat, leistet er eigentlich gar nicht einer offenen Diskussion wirklich Vorschub.

    Armbrüster: Aber alle Themen, die Sie gerade angesprochen haben, sind ja eigentlich Themen, die durchaus öffentlich diskutiert werden. Da kann ja niemand wegen belangt werden.

    Langguth: Ja, das stimmt. Natürlich, er kann es auch öffentlich diskutieren. Aber die Frage ist natürlich auch, ob er als Bundesbanker das darf, denn zunächst mal ist es ja auch ein Missbrauch des öffentlichen Amtes, dass er mit seinem hohen Bekanntheitsgrat als Bundesbanker hier so argumentiert. Dort gibt es nämlich ein Zurückhaltungsgebot für jeden – das gilt übrigens auch für andere Beamte -, dass sie, wenn sie zu aktuellen Fragen der Politik Stellung nehmen, sich dann zurückhalten sollten. Und nachdem ihm der wichtige Bereich Bargeld in der Bundesbank weggenommen wurde, verfolgt er eben mit diesem Buch mehr und mehr seine eigene Agenda. Vielleicht hätte Präsident Weber ihm so was auch durch ein Nebentätigkeitsrecht verbieten können, aber warten wir mal ab. Nur: jemand, der Mitglied des Vorstandes der Bundesbank ist, hat die Unabhängigkeit der Rechtsstellung etwa vergleichbar mit der Unabhängigkeit eines Richters. Insofern bin ich sehr gespannt, ob hier diejenigen, die sagen, es müsste am Stuhl von Herrn Sarrazin gesägt werden, damit überhaupt durchkommen.

    Armbrüster: Wie lang, meinen Sie, kann er noch Bundesbankvorstand bleiben?

    Langguth: Das ist schwer zu sagen. Das hängt sehr von Herrn Weber ab. Aber es hängt natürlich auch insgesamt von der Diskussion, wie sie weitergeht, in Deutschland ab.

    Armbrüster: Und wie lang bleibt er noch in der SPD?

    Langguth: Ich denke, dadurch, dass er diese Aussagen gemacht hat zu den Genen und den Juden, dass es jetzt vielleicht doch einen guten Grund gibt, ihn aus der SPD auszuschließen. Nur Parteiausschlüsse sind höchst schwierig zu machen. Das hat man ja schon immer wieder festgestellt.

    Armbrüster: Über die Debatte um das neue Buch von Thilo Sarrazin sprachen wir mit dem Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Schönen Dank, Professor Langguth, für dieses Interview.

    Langguth: Danke auch.