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Ein nahezu vergessener Müncher

Als "Bekenntnismusiker" galt er vielen. In Erinnerung geblieben ist vor allem als Gründer der Münchener "Musica Viva"-Konzerte. Karl Amadeus Hartmann gehört zu den Komponisten, die durch die Nazi-Diktatur um ihre besten Jahre gebracht wurden. Widerstand leistete, indem er sich dem Regime entzog. Heute vor hundert Jahren wurde er geboren.

Von Georg-Friedrich Kühn | 02.08.2005
    Das 1.Streichquartett war einer seiner wenigen internationalen Erfolge vor dem Krieg. Bekannt wurde Karl Amadeus Hartmann damit als "unabhängiger Deutscher". Erst nach dem Krieg konnte er Fuß fassen im Musikleben seiner Heimatstadt. Die Nazi-Zeit über war er abgetaucht in einer Art innerer Emigration, von Zuwendungen der Schwiegereltern lebend.

    Er hasste die Nazis. Aber sie verfolgten ihn nicht. Das Unheil, das mit Hitler aufzog, versuchte er schon 1933 zu formulieren in einem MISERAE genannten Orchesterwerk, nach dem Krieg eingeschmolzen in seine 1. Symphonie, ein Requiem nach Walt Whitman: "Ich sitze und schaue auf alle Plagen der Welt."

    "Ich wurde am 2. August 1905 in München geboren und habe niemals vermocht, von dieser Stadt loszukommen. "

    Karl Amadeus Hartmann in seinen melancholisch-autobiografischen Notizen.

    "Anerkennung oder Dank darf man in München weniger als anderswo erwarten. München ist eine schnell vergessliche Stadt. "

    Münchens Bohème war sein Humus, der Vater Maler, die Mutter Theater-enthusiasmiert. Im Familienkreis mimte man Wagners "Ring". Der älteste seiner drei Brüder, Adolf, avancierte als Porträtmaler. Selber wollte er früh zur Musik.

    Die Not nach dem I. Weltkrieg diktierte erst mal den Brotberuf Lehrer. Dann wechselte er an die Musikakademie, fand Anschluss bei einer Gruppe unabhängiger Künstler, den "Juryfreien". In deren Räumen veranstaltete er Konzerte, begegnete dort seiner späteren Frau Elisabeth.

    Mit dadaistisch jazzigen Stücken reüssierte er – und verbrannte sie wieder. Durch Einladungen zu den Festen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, IGNM, lernte er seinen wichtigsten Mentor kennen, den Dirigenten Hermann Scherchen. Mit Scherchen traf er sich immer wieder, auch während des Kriegs, in der Schweiz.

    Hartmanns Organisatoren-Talent war gefragt nach dem Krieg. Die Amerikaner suchten einen Intendanten für die Bayerische Staatsoper.
    Der Komponist beschied sich als Dramaturg.

    Er veranstaltete Matineen mit moderner Musik, konnte ab 1948 auch Radio München, den späteren Bayerischen Rundfunk, ins Boot ziehen. Geboren war die noch heute lebendige "Musica Viva"-Reihe zeitgenössischer Musik. Auf Moden gab er nichts.

    "Ich lasse mich von den allzu varianten Zeitströmungen nicht stören. Vor allem möchte ich so schreiben, dass man mich versteht. Jede Note ist durchfühlt und jede 1/32-Pause durchgeatmet. Wenn meine Aussage depressiv erscheint und den in diese Zeit Geworfenen wenig Hoffnung gibt, so ist dies ein Zeichen dafür, dass ich nicht traumwandelnd durch die Welt gehe, sondern dass ich mit meinen Ohren sehe und mit meinen Augen präzis höre. "

    "Bekenntnismusiker" nannten ihn viele – er hasste den Titel. So tilgte er aus seinen frühen Werken die NS-Zeit-bezogenen Hinweise. Zumal auch aus seiner Simplizissimus-Oper, die erst nach dem Krieg szenisch uraufgeführt wurde.

    Strawinsky, Berg, Schönberg – das war seine Welt. Anton Webern, bei dem er während des Kriegs Privatunterricht nahm, schätzte er als Analytiker – und erschrak über seine politische Naivität.

    Menschlich integer förderte Hartmann in seinen Konzerten die Jüngeren, vor allem Hans Werner Henze und Luigi Nono. Mit seinen Lokalrivalen, Carl Orff und Werner Egk, die in der NS-Zeit nicht verstummten, versöhnte er sich, auch wenn die anfangs gegen ihn intrigierten.

    Skeptisch blieb er, der sich "anarchistische Neigungen" testierte, ob der Restauration im Nachkriegs-Deutschland. Einem Abwerbeversuch der DDR, die seinen alten Freund Robert Havemann als Kurier schickte, verweigerte er sich gleichwohl.

    Hartmann starb 1963 an Krebs. Sein Œuvre ist schmal, zudem verwirrend durch die vielen Umarbeitungen. Er war ein langsamer Arbeiter trotz seines bajuwarischen Temperaments.

    Eine gewisse Renaissance erlebte seine Musik durch die Symphonie-Einspielungen von Ingo Metzmacher. Vieles bleibt noch wieder zu entdecken.