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Ein neues Dach für Tschernobyl

Technik. - 18 Jahre ist es inzwischen her, dass Reaktorblock 4 von Tschernobyl explodierte. Nach Einschätzung von Experten könnten noch etwa 96 Prozent des Kernbrennstoffs im Sarkophag eingeschlossen sein - in einem Sarkophag, der alles andere als stabil ist. Seit Jahren wird darüber geredet, wie das nach der Explosion eilig über dem Havaristen errichtete Gebäude gesichert und durch ein stabileres ersetzt werden soll. Die Zeit dafür drängt allerdings, denn die Haltbarkeit der eilig aufgeschütteten ersten Hülle geht ihrem Ende entgegen.

Von Dagmar Röhrlich | 26.04.2004
    Das Anthrazitgrau seiner Fassade ist von Roststreifen durchzogen. An der Front sind rote und grüne Leitern montiert. Sie sollen den Zugang zum Dach erleichtern. Denn der Sarkophag ist ein Notbehelf, der 1986 unter widrigsten Umständen innerhalb von fünf Monaten hochgezogen wurde. Es war klar, dass dieses Gebäude höchstens 30 oder 40 Jahre hält. Schließlich wurde es auf den Trümmern von Block 4 errichtet und deren Stabilität kennt niemand. Der Sarkophag ist eine ewige Baustelle:

    Der derzeitigem Zustand des Sarkophag kann so beschrieben werden, dass einige stabilisierende Maßnahmen getroffen worden sind: Man hat unter anderem das Dach abgedichtet. Das ist vorwiegend bis etwa zum Jahr 2000 passiert...

    ...erläutert Gunter Pretzsch von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS. Nachdem auch die Seitenwände besser abgedichtet wurden, dringt heute viel weniger Wasser ein als früher: Allerdings hat das unerwartete Nebenwirkungen: Der Sarkophag wird zum Treibhaus:

    Das heißt, es kondensiert bei warmem Wetter an den inneren Dachflächen und an den Wänden Wasser, und es läuft praktisch nach innen zurück. Früher war dieses Wasser durch Spalten und Schlitze nach außen verdampft.

    Ob das Folgen hat, weiß man nicht. Damit der Sarkophag nicht zusammenbricht, laufen etliche Sicherungsmaßnahmen: vor allem soll das Fundament durch Beton gestärkt werden. Diese Stabilisierung ist notwendig, damit um 2007 ein zweiter, vom ersten unabhängiger Sarkophag aus großen Stahlskelett-Bögen gebaut werden kann:

    Es ist derzeit geplant, den Baukörper des zerstörten Reaktorgebäudes von Block vier und einen Teil des Verbindungsgebäudes zum angrenzenden Block 3 einzuhüllen.

    Diese mehr als 100 Meter weite Hülle wird direkt neben dem Sarkophag entstehen und dann auf Schienen oder Rädern über den Havaristen geschoben werden.

    Das heißt, der jetzige Baukörper wird praktisch eingehüllt, durch eine bogenförmige Dachkonstruktion, die dann an den Seiten verschlossen wird. Die eine Seite wird praktisch genau auf der Mitte des Verbindungsgebäudes zwischen Block 3 und Block 4 enden und wird praktisch dort in eine Trennwand übergehen, die zwischen den Block 3 und Block 4 errichtet wird. Und auf der westlichen Seite wird durch eine ganz normale Trennwand dann der Block abgeschlossen.

    Das Ganze wird in etwa die Dimensionen einer Brücke über einen Fluss wie den Main haben. Da es keine Verbindung zum bestehenden Gebäude geben soll, hat Folgen:

    Man muss also auch völlig neu gründen, man muss völlig neue Fundamente bauen, und die Einhüllung wird praktisch den zerstörten Block 4 plus den jetzigen Sarkophag und das Maschinenhaus einschließen.

    Rechts und links vom Havaristen entstehen zwei große, parallele Fundamentstraßen. Das Problem: dieses Fundament, über das die schweren, komplexen Bogenkonstruktion aus Stahl über den Sarkophag geschoben und in dem sie dann verankert werden, braucht eine tiefe Gründung. Aber rund um den Havaristen lauert unter einer drei Meter dicken Schicht aus frischem Kies, Sand und Beton der alte Boden, auf dem bei der Havarie der heiße, radioaktive Auswurf aus dem brennenden Reaktor nieder geregnet ist:

    Dabei wird natürlich die Frage aufgeworfen, wie diese Kontaminationsschicht aus dem Jahre 1986 jetzt wieder aufgewühlt wird, und ob das zu neuen Kontamination führen kann. Das ist also ein Strahlenschutzproblem, was gelöst werden muss, und das in die derzeitigem Überlegungen miteinbezogen werden muss.

    Ansonsten gibt es bis zum Baubeginn 2007 oder 2008 viele offene Fragen: etwa, ob im Sarkophag II Unterdruck herrschen muss. Das weiß man erst, wenn klar ist, ob man den Elefantenfuß angeht, jene Masse aus geschmolzenen Brennstäben und Schrott aus dem Reaktordruckbehälter. Bislang wurde darüber noch nicht entschieden.