Ein Original mit viel Schminke

Von Beatrix Novy · 16.10.2012
Lotti Huber, eine Frau mit markantem, stets heftig geschminktem Gesicht, wurde erst mit weit über 60 von Rosa von Praunheim entdeckt. Da hatte sie schon ein Leben gehabt, und war dem Tod nur knapp entkommen. Rotzig und respektlos rebellierte sie gegen die Normen ihrer Generation und erarbeitete sich den Status eines Originals, dem man alles verzieh. Von der Würde des Alters wollte sie ausdrücklich nichts wissen.
"Was ist Liebe? Was ist Liebe? Träume und Triebe …"
"Bevor ein Mensch jemand anderes liebt, muss er sich selbst lieben. Denn wer sich nicht liebt, wird er böse und wird er schlecht. Aber ich hab’ mich immer sehr geliebt, darum bin ich so’n guter Mensch."

Es gibt verschiedene Arten, sich als Selbstdarstellerin zu profilieren. Madonna oder Lady Gaga betreiben dafür technische Hochrüstung und ausgefeiltes Show-Arrangement, fahren mit schweren Motorrädern auf die Bühne, versuchen mit Kreuz und Dornenkrone oder Hitlerbärtchen zu provozieren. Lotti Huber provozierte auch, aber sie war sich dabei selbst genug. Ihre Herausforderung an die Welt hatte einen genuinen Kern, sie spielte sie nicht nur - auch wenn ihre Umschulung zum bekannten Original erst im Alter erfolgte. Ein wirklich bürgerliches Leben hatte sie auch vorher nicht geführt, obwohl das vorgesehen war für Lotti Goldmann, Tochter eines wohlsituierten Kieler Textilkaufmanns, geboren im Kaiserreich, am 16. Oktober 1912.

"Ich wollte schon immer Schauspielerin werden, nur es war mir nicht vergönnt in Deutschland zu studieren, weil es Juden ja verboten war."

Die Geschichte der jungen Lotti ist voller Schrecklichkeiten; es fällt schwer, in die manchmal forcierte Schnoddrigkeit, mit der die alte Lotti Huber von sich erzählte, nicht Verzweiflung hineinzulesen. 1937 denunzierte eine Schulfreundin sie und ihren Freund Hillert Lueken, Sohn des Kieler Oberbürgermeisters, mit dem sie in Berlin zusammenlebte, wegen Rassenschande. Hillert wurde in der Untersuchungshaft erschossen, Lotti kam ins KZ. Von einer amerikanischen Organisation freigekauft, konnte sie 1938 ausreisen und in Haifa ein Tanzstudium beginnen.

"Und zwar hab’ ich schon Pantomime getanzt, als man von Marcel Marceau noch gar nichts wusste."

Aber um zu leben, musste Lotti auch für Geld tanzen, in einer Nachtbar, und ihr gefiel’s. Es kam ihr zugute, dass die Umstände ihr den Lebenshunger nicht austreiben konnten. Viele ihrer Zuschauer und manchmal auch Liebhaber waren britische Offiziere, einen von ihnen heiratete sie und ging mit ihm, als das britische Mandat in Palästina endete, nach Zypern. Hier eröffnete sie, inzwischen geschieden, das elegante Restaurant Octopus, mit dem sie bewies, dass sie eine begnadete Gastronomin war: entschiedene Chefin, schlagfertige Unterhalterin. 1959 verließ sie Zypern mit ihrem zweiten Mann, Colonel Huber, und versuchte es mit London, landete 1965 aber in Berlin.

"Berlin, Berlin, ick liebe dir. Küss mich, Berlin."

Anfang der 70er Jahre starb Colonel Huber. Es war ein Schlag. Es wurde aber auch die Geburtsstunde der öffentlichen Person Lotti Huber: Schauspielerin, verrückte Nudel, der nichts peinlich war, unermüdlicher Talkshow-Gast. Ausgeschlossen, sie in ihren Riesenhüten, Klimperwimpern, wallenden Gewändern und immer straff zurückgekämmten Haaren zu übersehen. Rosa von Praunheim stieß auf sie, der Regisseur, der die Abweichenden und Unangepassten in seinen Filmen feierte, aufgekratzt, übertrieben, in opulenten Bildern. In "Unsere Leichen leben noch" war Lotti eine von sechs alten Frauen, die sich in voller Lebenslust präsentieren, in "Anita Berber" eine alte Tänzerin, in "Affengeil" sie selbst. Das war ihr auch am liebsten.

"Affengeil ist das Leeeben … affengeil, affengeil ….Pfui Lotti Huber sei doch nicht immer so ordinär."

Lotti Huber hatte bei zwei deutschen Auf- und Umbrüchen parat gestanden: Mit Rosa von Praunheim trat sie in das Erbe der 68er ein. Aber genauso entschlossen hatte sie als junges Mädchen die Freiheitsofferten der Weimarer Republik ergriffen.

"Nach dem Ersten Weltkrieg, weißt du: der große Expressionismus, dann kommt die Freiheit im Tanz, der Ausdruckstanz, die Körperfreiheit, ich tanzte splitternackt selig herum und bekam gleich zwei Ohrfeigen von meiner Mutter mit viel 'Um Gottes Willen' begleitet."

Diese erste Befreiung endete unter den Stiefeln der Nazis. Ihr zweites Leben hat Lotti Huber zu Ende gelebt. Sie starb 1998 in Berlin.