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Ein Picknick im Abendkleid

Das Opernfestival im englischen Glyndebourne gehört zu den exklusivsten Adressen weltweit. Unverzichtbarer Bestandteil der Aufführungen ist das Picknick während der Pause, das traditionell in bester Abendgarderobe zelebriert wird. Vor 75 Jahren fand mit Mozarts "Hochzeit des Figaro" die erste Aufführung der Glyndebourne Festival Opera statt.

Von Uwe Friedrichs | 28.05.2009
    Die Weltwirtschaftskrise war noch lange nicht vorüber, als John Christie im Jahr 1934 sein eigenes Opernfestival gründete. Als Bauunternehmer profitierte er von der Geldentwertung des britischen Pfunds und konnte es sich leisten, einen Stall auf seinem Landsitz Glyndebourne in ein kleines Opernhaus mit etwa 300 Plätzen umzubauen.

    Der Dirigent Fritz Busch, Carl Ebert, früher Intendant der städtischen Oper Berlin, und Rudolf Bing, später Intendant der New Yorker Metropolitan Opera, waren gerade von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben worden und in London gestrandet. Da kam ihnen der wohlhabende Opernnarr John Christie gerade recht, als er ihnen vorschlug, in Südengland ein neues Bayreuth zu errichten. Wagners Musikdramen haben die drei dem Enthusiasten schnell ausgeredet. Mit Mozarts "Hochzeit des Figaro" war es schwer genug, Opernliebhaber in die South Downs in der Nähe von Brighton zu locken. Weil es weit und breit keine nennenswerten Restaurants gab, mussten die Zuschauer der ersten Aufführung am 28. Mai 1934 ihr Essen selber mitbringen. So entstand das berühmte Picknick in Smoking und Abendkleid.

    "Das ist schon einzigartig, dieser Stil, dieses allgemeine Abendkleid, Smoking, Dressing Code, und gleichzeitig dieses absolut Relaxte und Rustikale. Im Garten zwischen Schafen ein Picknick zu machen aber trotzdem Champagner zu trinken und 200 Pfund für eine Karte hinzublättern. Also, das ist spleenig würde ich sagen. Das ist schon sehr typisch englisch."

    Der Dirigent Peter Tomek gehörte im vorigen Sommer zum musikalischen Personal des Festivals und durfte im Privathaus der Christies mit Blick auf Park und Picknick wohnen. Mahlzeiten mit der Familie Christie inklusive. Inzwischen leitet Gus Christie das Festival in der dritten Generation.

    "Es ist ein Familienunternehmen. Ich lebe im Herrenhaus und ich glaube, dass die Menschen, die hierher kommen und hier arbeiten, das auch zu schätzen wissen. Ich habe vier Söhne und hoffe, dass einer von ihnen das einmal von mir übernehmen wird. Das Haus ist ein Familiensitz. Ich wurde hier geboren und ich bin hier aufgewachsen. Ich habe die Oper im Blut."

    1992 wurde das alte Opernhaus abgerissen, zum 60-jährigen Jubiläum 1994 das neue mit 1200 Plätzen eingeweiht, wieder mit Mozarts "Hochzeit des Figaro". Der Bau ist hell, verblüffend intim, hat eine hervorragende Akustik. So können die Wagnerträume des Festivalgründers John Christie endlich verwirklicht werden: In diesem Sommer dirigiert der musikalische Leiter Vladimir Jurowski "Tristan und Isolde", demnächst folgen "Die Meistersinger von Nürnberg".

    Vladimir Jurowski: "Man verbringt hier wochenlang in wirklich tollster Atmosphäre mit wunderbaren Künstlern zusammen und es fühlt sich an wie ein bezahlter Urlaub bis zu dem Moment, wo das Publikum ankommt und dann plötzlich spürt man diesen furchtbaren Druck."

    Neben den Hausgöttern Mozart und Rossini stehen immer wieder Uraufführungen auf dem Spielplan in Glyndebourne. Im letzten Sommer war das "Love and Other Demons" von Peter Eötvös, inzwischen auch in Deutschland nachgespielt. In diesem Jubiläumssommer werden Dvoraks "Rusalka" und Händels "Giulio Cesare" ebenso aufgeführt wie Purcells "Fairy Queen", Verdis "Falstaff" und Donizettis "Liebestrank". Ein Repertoire, das manchem großen Opernhaus zur Ehre gereichen würde.

    So bleibt Glyndebourne dem Motto des Festivalgründers John Christie treu, der nur das Beste auf seiner Opernbühne sehen wollte. Bis heute ist das Festival komplett privat finanziert, erhält keine öffentlichen Zuschüsse. Inzwischen ist das sommerliche Opernvergnügen zu einem Ganzjahresbetrieb mit eigenem CD-Label und Nachwuchsprogrammen angewachsen. Die besondere Atmosphäre eines Familienbetriebs möchte allerdings auch der Geschäftsführer David Pickard für die Zukunft erhalten:

    ""Die Verträge mögen zwar von mir unterzeichnet sein, aber in gewissem Sinn sagt immer noch die Familie Christie zu den Künstlern: Möchten Sie in dem Opernhaus auftreten, das zufälligerweise neben unserem Landsitz steht?”"