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Ein Plädoyer für die Energiewende

Die Mobilitätsforscher Weert Canzler und Andreas Knie entwerfen in ihrem Buch ein Szenario, das eine Wende in der Strom- und Wärmeerzeugung und im Verkehr zusammendenkt. Ihre zentrale Aussage: Wir brauchen keine Angst vor der Energiewende zu haben.

Von Manuel Waltz | 05.08.2013
    Vielleicht wäre ein Titel wie "Wir brauchen keine Angst vor der Energiewende zu haben, alles wird gut", für das Buch passender gewesen. Denn das ist die zentrale Aussage des knapp 150 Seiten starken Werks. Man merkt deutlich, dass den beiden Autoren Andreas Knie und Weert Canzler die Diskussion der vergangenen Monate, die vor allem die Kosten, die Probleme und die Risiken der Energiewende in den Vordergrund stellte, nicht behagt und sie mit "Schlaue Netze - Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt" etwas dagegen setzen wollen. Weert Canzler:

    "Wir betonen in dem Buch die Chancen, die mit der Energiewende verbunden sind, und die sind immens und zwar sowohl, was neue Geschäftsmodelle angeht, aber auch was Lebensqualität angeht."

    Zentral für den Ansatz der beiden technikaffinen Sozialwissenschaftler ist, dass sie die Energiewende nicht nur auf die Stromerzeugung verengen, sondern Verkehr und Wärmeerzeugung mitdenken. Schon in der Einleitung schreiben sie:

    Analog zur Strukturdebatte in der Stromversorgung gilt auch hier die Grundregel: Die Grundlogik des Verkehrs muss sich ändern. Gelingt eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehr nicht, droht die Klimaschutzpolitik selbst dann zu scheitern, wenn in anderen Sektoren die angestrebten Ziele erreicht werden.

    Anstatt nun in Panik zu verfallen, zeichnen die Autoren im Folgenden ein sehr konkretes und optimistisches Bild, wie dieser tief greifende Wandel aussehen kann, wie sich unsere Energienutzung und Mobilität so umbauen lassen, dass unsere Bedürfnisse mit der Kraft aus Sonne, Wind und Wasser erfüllt werden. Dazu bedarf es der konsequenten Anwendung bereits etablierter Techniken und technischer Innovationen genauso wie sich auch unser aller Verhalten und unsere Gewohnheiten ändern müssen – ohne dabei, das betonen die Autoren immer wieder, auf Komfort verzichten zu müssen.

    Vor allem aber fordern sie in dem Buch einen ordnungspolitischen Rahmen, den die Politik vorgeben muss und der dann, nach Ansicht von Weert Canzler und Andreas Knie, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte für eine Energiewende freisetzt. Dieses Gesetz, in dem Buch "Schlaue Netze Gesetz" genannt, soll das heutige EEG ablösen und erweitern, so Weert Canzler.

    "Es soll Anreize geben, diese bisher getrennt betrachteten Bereiche - Strom, Transport, Wärme - zusammen zu denken und es soll vor allem auch Anreize geben zu Geschäftsmodellen und, das ist der dritte Pfeiler, es soll vor allen Dingen die einzelnen Bürger und die zusammengeschlossenen Bürger in Genossenschaft beispielsweise dazu ermutigen und auch Anreize geben, in diesem Bereich aktiv zu werden und das nicht den großen Playern zu überlassen, die bisher das Spiel gespielt haben."

    Großkonzerne wie RWE, E.ON, Vattenfall oder EnBW spielen für die Energiewende nach Ansicht der beiden Autoren keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle. Sogenannte Prosumer, also Bürger und kleinere Firmen, die sich in Genossenschaften oder ähnlichem zusammenschließen und die Energie, die sie verbrauchen, selbst erzeugen, sind für sie die tragende Säule für eine nachhaltige Energieerzeugung und Nutzung. So heißt es beispielsweise:

    Das Schlaue Netze Gesetz setzt darauf, dass die Zivilgesellschaft mittlerweile über einen hohen Grad an Selbstorganisationsfähigkeit verfügt, die durch entsprechende Anreize weiter stimuliert und entwickelt werden kann. Die Aktivposten der doppelten Verkehrs- und Energiewende kommen – so die Annahme – mehrheitlich aus der Zivilgesellschaft.

    Schließlich müssen noch, und das ist das dritte Element zum Gelingen der Energiewende, Energieproduktion und -konsum in Einklang gebracht werden. Auch die Lösung dieses Problems zeichnen die beiden Mobilitätsforscher sehr anschaulich nach. Es sind die sogenannten schlauen Netze, die immer wissen, wo gerade produziert und wo konsumiert wird. Das Smartphone spielt dabei eine elementare Rolle, es ist das Glied, das den Konsumenten mit dem Netz und dem Angebot verbindet und das jeden Einzelnen teilhaben lässt.

    Sicherlich ist hier auch eine der Schwachstellen des Szenarios zu finden, denn wer sich dem Smartphone verweigert oder es nicht bedienen kann, aus welchen Gründen auch immer, dem fällt die Teilhabe an dieser neuen Welt schwer, sie wird gar unmöglich. Auch eine andere Frage lässt das Buch unbeantwortet, denn diese neue Welt funktioniert nur durch den Austausch riesiger Informationsmengen über digitale Kanäle. Informationen darüber, wo wie viel Energie produziert wird und wer an welchem Ort was konsumieren will. Weert Canzler sind die Konsequenzen daraus durchaus bewusst.

    "Dann haben wir natürlich den gläsernen Kunden. Natürlich fließen dann Informationen, die auch decodierbar sind und einzelnen Personen zuzuordnen. Das ist ein Riesenproblem. Also wie man da den Datenschutz organisiert unter diesen Bedingungen einer extremen Vernetzung, das ist noch einer der offenen Punkte."

    Abgesehen davon aber entwerfen die beiden Autoren ein sehr genaues und detailreiches Bild davon, wie eine Gesellschaft aussehen kann, die die Energiewende erfolgreich vollendet hat. Dies geschieht vor allem im letzten fast belletristisch gehaltenen Kapitel, das vier unterschiedliche Szenarien beschreibt, in denen Canzler und Knie alltägliche Situationen nachzeichnen. Dadurch stellen sie sehr anschaulich dar, wie diese mögliche neue Gesellschaft funktionieren könnte, wie Prosumer ihre Energie selbst erzeugen, sie konsumieren, wie der alltägliche Verkehr aussehen kann. Dem Buch gelingt es so sehr gut, den immer noch recht abstrakten Begriff der Energiewende mit Leben zu füllen.

    Weert Canzler/Andreas Knie: "Schlaue Netze. Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt"
    Oekom Verlag, 131 Seiten, 9,95 Euro
    ISBN: 978-3-865-81440-1