Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ein Platz für konkrete Klänge

Soundfreaks, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, kurz nach Mitternacht, Deutschlandradio einschalten, wackeln schon mal die Ohren vor Freude. Diesen Termin nämlich hält der Berliner Sender für besondere Hörspielprojekte bereit. In der "Hörspielwerkstatt" haben Soundkünstler wie Ronald Steckel, Arsenje Jovanovic, Werner Cee oder Cathy Miliken einen Sendeplatz. Auch Frieder Butzmann und Thomas Gerwin stoßen bei Werkstatt-Leiter Götz Naleppa auf offene Ohren. Frank Olbert sprach mit den drei letztgenannten.

Frank Olbert | 13.09.2003
    Herr Naleppa, am Ende jedes Quartals ist der Werkstatt-Termin überdies klangkünstlerischen Newcomern vorbehalten?

    Die "Newcomer-Werkstatt" gibt es seit drei, vier Jahren. Sie findet ein Mal im Quartal innerhalb der "Hörspielwerkstatt" statt. Es gibt immer mehr Leute, die privat ihre kleinen Studios aufbauen, weil die Software und Hardware billiger geworden ist. Entsprechend rollt welteit die Soundwelle. Es gibt sehr viele Komponisten, bekannte und unbekannte, die zu Hause Klang produzieren. Dadurch bekam ich immer mehr Einsendungen von unbekannten Komponisten in immer höherer Qualität und ich hatte keinen Sendeplatz dafür. Und dafür ist die "Newcomer"-Werkstatt geschaffen worden. Sie ist insofern anders als meine sonstigen "Hörspielwerkstatt"-Sendungen, in denen das große Werk von etwa 50 Minuten die Hauptsache ist, da ich in der "Newcomer"-Werkstatt mehrere Komponisten mit Ausschnitten ihrer Arbeiten vorstelle. Diese Sendung ist inzwischen ein Lieblingskind von mir geworden. Es macht ungeheuer Spaß, die jungen Begabungen zu betreuen. Es gibt auch sehr viel Rückkopplung und Hörerkontakt zu dieser Sendung.

    Frieder Butzmann und Thomas Gerwin, Sie sind Komponisten, arbeiten aber auch in einem Hörspiel-Kontext. Wie würden Sie sich denn eigentlich definieren, Herr Butzmann?


    Es ist vor allem eine Materialfrage.Mich interessieren Töne weniger nach ihrem Klang oder ihrer Schönheit, sondern eher nach ihrem Inhalt. Was sage ich aus mit bestimmten Tönen. Da ist natürlich der Übergang zum Wort sehr nah. Es ist für mich kein großer Unterschied, ob ich ein Hörspiel, eine Musik oder gar ein Radio-Feature zu einem bestimmten Thema mache. Schön ist für mich immer der Übergang vom Abstrakten zum Konkreten oder vom reinen Klang zum bedeutungsvollen Klang. Insofern sehe ich mich sowohl als Hörspielautor als auch als Komponist.

    Herr Gerwin, wie sehen Sie das?

    Ich bin klassisch ausgebildeter Komponist. Ich habe aber schon sehr früh mit elektronischen Mitteln gearbeitet. Nach John Cage, den ich auch persönlich kannte und der mich sehr beeinflusst hat, ist ja Musik die akustische Strukturierung der Zeit. Die Materialien, über die Frieder Butzmann gerade gesprochen hat, sind natürlich in meinem Computer alle gleich behandelbar. Mein Hauptinstrument ist der Computer und alles, was ich in meinem Computer in digitaler Form vorliegen habe, kann ich auf bestimmte Weisen bearbeiten. Etwas von dieser Arbeitsweise spiegelt zum Beispiel mein Hörspiel "Metamorphosen", in dem ein Ich-Erzähler mit Klängen am Computer arbeitet, die sich dann verselbständigen und ein Eigenleben entfalten. Klänge sind für mich Lebewesen. Sie werden geboren, verbringen eine gewisse Zeit in einem bestimmten Raum und sterben dann. Und manchmal formen sie soziale Organismen und das ist das Interessante dann, wenn ich als Komponist wie Regisseur, der mit verschiedenen zum Teil sehr schwierigen Charakteren umgeht.

    Immer wieder fällt das Stichwort "Computer". Herr Naleppa, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die ganze Szene durch die technische Entwicklung ungemein expandiert ist. Gibt es denn Soundart oder Klangkunst erst seitdem es Computer gibt?

    Nein, die Klangkunst – so vage wie der Begriff überhaupt ist – begann spätestens mit den Klangexperimenten der Futuristen, und allerspätestens mit der musique concréte am Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, Pierre Schaeffer, Pierre Henry und Luc Ferrari - um nur drei wichtige Namen zu nennen -, die entdeckt haben, dass man mit konkreten Geräuschen, zum Beispiel mit einer Kaffetasse, mit dem Geräusch eines fahrenden Zuges komponieren kann. Die Einflüsse kamen danach dann teilweise aus der Popmusik. Es gibt bei "Pink Floyd" oder den "Beatles" sogar Elemente daraus. Die Einflüsse kommen aus der E-Musik, aus der Literaturszene. Es ist ein Konglomerat verschiedener Wurzeln und Einflüsse zu dem, was wir vage "Klangkunst" nennen.

    Die "Hörspielwerkstatt" ist zu hören: freitags um 0.05 Uhr im Deutschlandradio. Am ersten Freitag im Monat gibt es eine aktuelle Ursendung. Die "Newcomer-Werkstatt" hat einen festen Platz an dem jeweils letzten Freitag eines Quartals, das nächste Mal am 26. September. Kommenden Freitag, also am 19. September sendet Deutschlandradio das Stück "Undeutliche Landschaft" von Ronald Steckel. Am 7. Oktober hat SWR 2 "Relay Race" im Programm: ein Gemeinschaftsprojekt der Europäischen Rundfunkunion, an dem unter vielen anderen auch Goetz Naleppa und Frieder Butzmann mitgewirkt haben. SWR 2 , 7.Oktober, 23 Uhr. "sieben versuche mit einer polaroid", ein Stück von Frieder Butzmann und Max Glauner wird am 12. Dezember auf Bayern 2 Radio ausgestrahlt. 12. Dezember, 20.30 Uhr.