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Ein Retter der Vernunft

Max Horkheimers wohl größter Verdienst: Die Rettung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Dank seiner umsichtigen Führung überlebte es den Nationalsozialismus und brachte nach dem Krieg frischen Wind ins intellektuelle Klima der jungen Bundesrepublik.

Von Hans-Martin Lohmann | 07.07.2013
    Als Max Horkheimer am 7. Juli 1973 starb, endete eine Epoche der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er war der erste und letzte Patriarch des renommierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das bis heute fortexistiert. Damals schrieb der Philosoph Alfred Schmidt:

    "In die Geschichte der deutschen Philosophie und Soziologie ist er als Begründer der schulbildenden Kritischen Theorie eingegangen, die heute allenthalben, über den akademischen Bereich hinaus, studiert, erforscht, auch weiterentwickelt wird."

    Max Horkheimer, am 14. Februar 1895 in Stuttgart geboren, war es nicht in die Wiege gelegt, zu einem bedeutenden Wissenschaftler und Intellektuellen zu avancieren. Als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Fabrikanten wies ihn sein familiärer Hintergrund zunächst in die praktische Welt der Wirtschaft, in die Firma des Vaters. Dann aber holte er mit Verspätung das Abitur nach, studierte und erwarb die akademischen Weihen bis hin zur Habilitation. Seit Mitte der zwanziger Jahre engagierte er sich am von Max Grünberg gegründeten Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen soziologische und sozialphilosophische Arbeiten sich an Hegel, Marx und Freud orientierten. 1930 wurde Horkheimer Ordinarius für Sozialphilosophie an der Frankfurter Goethe-Universität, im selben Jahr übernahm er die Leitung des Instituts für Sozialforschung. Der Freund und langjährige Institutsmitarbeiter Leo Löwenthal erinnert sich.

    "Und unsere Intention war es, alle sozialwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Ausrichtungen unter eine gemeinsame kritische Perspektive zu bringen, sie gegenseitig sich befruchten zu lassen und uns Aufgaben zu stellen, wissenschaftlicher Art, die auch kritisch-historisch auf der Tagesordnung waren, also nicht luftleerer Raum, sondern Theorie ausgerichtet auf Praxis."

    Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, hatte Horkheimer bereits Vorsorge getroffen und das Vermögen des Instituts rechtzeitig nach Genf transferiert. Wie viele andere jüdische Intellektuelle fand Horkheimer schließlich Zuflucht in den Vereinigten Staaten, wo er und seine Mitarbeiter, allen voran Theodor W. Adorno, eine reiche wissenschaftliche Tätigkeit entfalteten. 1949, mit der Gründung der Bundesrepublik, kehrten er und das Institut nach Frankfurt zurück. In den nun folgenden Jahren gelang es, das Institut erneut als Zentrum kritischer Sozialforschung zu etablieren und erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gewinnen – am auffälligsten in den Jahren um 1968.

    Horkheimers Denken kreist um die großen Katastrophen und Brüche des 20. Jahrhunderts, um Autoritarismus, Antisemitismus, Massenmord und die wissenschaftlich-technische Selbstermächtigung des Menschen im Modus seiner Ohnmacht. Orchestriert wird dieses Denken vom abgründigen Pessimismus der Schopenhauerschen Philosophie, die das Individuum als bedürftiges Etwas im Kosmos sieht. Wahrscheinlich hat Horkheimer dem demokratischen deutschen Neuanfang nach dem totalen Zivilisationsbruch des "Tausendjährigen Reichs" nie wirklich getraut. Seine Begrüßung Konrad Adenauers in seiner Eigenschaft als Rektor der Frankfurter Universität im Jahre 1952 klingt nachgerade wie eine verzweifelte Beschwörung:

    "Den Augenblick, in dem ich Sie, Herr Bundeskanzler, namens der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt feierlich begrüße, darf ich als symbolisch betrachten."

    Max Horkheimer war ein pessimistisch gebrochener Aufklärer. In seinem verzweigten Werk mischen sich klassische Motive der französischen Aufklärung mit solchen der Vernunftkritik und tiefer Skepsis. Die gemeinsam mit Adorno geschriebene "Dialektik der Aufklärung" ist ohne Zweifel eines der großen philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts. Gegen Ende seines Lebens verteidigte er mit Blick auf die Zukunft Europas nur noch ein philosophisches Minimalprogramm:

    "Ich sehe für Europa in der künftigen Geschichte keine gültigere Rechtfertigung als die Verwirklichung der großen Philosophie. Sofern es gelingt, den jungen Generationen die Gesinnung einzupflanzen, nach der die Erfüllung des Kantischen Prinzips zur eigenen Sache wird, ist die Mission der westlichen Länder für eine lange Zeit umrissen."