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Ein Risiko bleibt

Vor 20 Jahren explodierte der Kernkraftreaktor in Tschernobyl. Anlässlich des Jahrestages wird bei einem Kongress in Berlin um die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland debattiert. Dabei geht es auch um die immer noch ungelöste Frage, wie Atommüll sicher entsorgt werden kann.

Von Dieter Nürnberger | 25.04.2006
    Das Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle sei weiterhin nicht gelöst, somit könne es keine verlässliche Sicherheit bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie geben. Diese Meinung vertritt ein Großteil jener Experten, die derzeit in Berlin zusammengekommen sind, um - 20 Jahre nach Tschernobyl - die Perspektiven dieser Energieform zu diskutieren. Weltweit gibt es 440 Atommeiler in 31 Staaten, sie tragen mit 17 Prozent Anteil zur weltweiten Elektrizitätsversorgung bei, beim Gesamtendenergieverbrauch liegt diese Technik bei lediglich 2,7 Prozent. Das heißt, nur rund ein Siebtel aller Staaten nutzt überhaupt die Kernenergie. Das sind Zahlen der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, sie gelten als unstrittig.

    Wer derzeit einer Renaissance dieser Technik das Wort rede - auch unter klimapolitischen Argumenten- der müsse diese Tatsachen berücksichtigen, sagt Klaus Traube, einer der bekanntesten Kritiker der Atomkraft in Deutschland. Und dann würden ohnehin neue Probleme auftauchen:

    "Praktisch müssten alle Staaten dieser Welt dann auf rund 50 Prozent Anteil gehen. Schon das zeigt: Ein solches Szenario ist unwahrscheinlich. Aber es bedeutet auch Probleme für das Atomwaffen-Proliferationsproblem. Es wird ja damit auch immer die Infrastruktur geschaffen, die auch militärisch nutzbar ist - siehe Iran, siehe aber auch Nordkorea. Würden die Atomwaffenstaaten, würden vor allem die USA das überhaupt tolerieren? Dass in vielen Teilen der Welt, auch in Teilen, die politisch als instabil gelten, die Infrastruktur für Atomkraft ausgebaut wird?"

    Die Verbreitung dieses hochsensiblen Materials unter sicherheitspolitischen Bedenken ist das eine, die weiterhin ungeklärte Entsorgung ein anderes Problem. Bislang haben nur zwei Staaten festgelegt, wo sie ihre radioaktiven Abfälle einmal lagern wollen. Eine endgültige behördliche Genehmigung steht freilich noch aus. Die USA favorisieren einen vulkanischen Gebirgsstock in Nevada, doch auch hier bleiben Fragezeichen. Beim Tunnelbau wurde beispielsweise Feuchtigkeit entdeckt, und Wasser könnte Radioaktivität freisetzen. Robert Alvarez vom Institut für Politikstudien in Washington ist deshalb äußerst skeptisch.

    Alvarez geht davon aus, dass auch seine Kinder den Bau eines solchen Endlagers auf Grund der vielen ungeklärten Fragen nicht erleben werden. Und die politische Führung der USA würde grob fahrlässig handeln, weil sie derzeit Zwischenlager errichte, die ebenfalls mit Risiken behaftet seien. Für das Bundesumweltministerium befasst sich Wolfgang Renneberg seit Jahren mit dem Thema Endlagerung. Sein Fazit der internationalen Endlagersuche:

    "Die Zeitpläne der entwickelten Kernenergie-Staaten haben sich bis auf wenige Ausnahmen immer wieder und ausnahmslos verzögert. Erste Endlager für radioaktive Abfälle könnten bei allen Unsicherheiten und derartiger Prognosen etwa ab 2020 bis 2040 in Betrieb gehen. Die Rechtfertigung der Nutzung der Kernenergie unter den verbleibenden Unsicherheiten der Endlagerung bleibt in erster Linie eine ethische Frage. Und diese Frage muss jede Nation für sich beantworten."

    Die meisten Atomstaaten sind deshalb immer noch auf der Suche nach einem nationalen Endlagerstandort. Viele Staaten werden wohl langfristig Zwischenlager errichten. Doch zeigen Erfahrungen in Russland und auch den USA, dass hier - so Kritiker - die Möglichkeit des Entweichens von Radioaktivität gegeben ist. Die Untersuchung geeigneter Gesteinsformationen geht deshalb weiter. Und theoretisch könnte man sogar Erfolg haben, sagt Wolfgang Renneberg:

    "Man kann schon sagen, dass beispielsweise in Kanada hochkonzentriertes Uran in Tonschichten über Millionen von Jahren eingeschlossen war, ohne dass es wesentlich aus diesen Tonschichten ausgetreten ist. Das kann man heute schon nachweisen. Nur: Es bleibt natürlich die Unsicherheit, dass Aussagen über solch lange Zeiträume nur qualitativ möglich sind. Insofern verbleiben auch Unsicherheiten. Die Hand in das Feuer legen wird dafür aber keiner."

    Es bleibt somit jenes so oft zitierte Restrisiko. Der Unfall vor 20 Jahren in der Ukraine habe gezeigt, dass Atomkraft mit prinzipiellen Sicherheitsrisiken verbunden ist, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zu Beginn der Konferenz. Und das Zusammenkommen der Experten konnte diese Meinung nicht widerlegen, sie wurde eher bestätigt.