Werner Streletz bezeichnet seinen Text "Der Beifahrer" als ein "Selbstgespräch". In dieses Selbstgespräch vertieft ist ein Mann namens Wolfgang, der am Steuer eines Autos sitzt und noch eine längere Fahrt vor sich hat. Er reflektiert, was er durch die Windschutzscheibe sieht, den Augenblick; und er denkt darüber hinaus über sein Leben nach. Der Text ist etwas wie ein Road-Movie in Versen, assoziativ geschrieben ohne Punkt und Komma. Und er ist auch ein Buddy-Film, aber ohne Buddy, ohne Kumpel. Denn Wolfgang ist unterwegs zu einer Beerdigung. Sein alter Freund Rolf ist verstorben. Wolfgang hat Rolf jahrelang im Auto zur Arbeit in der Nachbarstadt mitgenommen:
"Rolf besaß keinen Führerschein
'Ist mir viel zu anstrengend
Ständig auf all die Verkehrsregeln zu achten', sagt er:
'Und dann kracht dir doch einer von der Seite rein.'"
Irgendwann hat man einander - und das für längere Zeit - aus den Augen verloren. Jetzt, auf dem Weg zur Beisetzung, macht Wolfgang sich seine Gedanken. Da der Weg lang ist, bleibt viel Raum für allerlei Nachdenkliches, denn Wolfgang, der Beifahrer, ist fern und in der Fremde gestorben, "irgendwo im Ländlichen". Wolfgang und Rolf - Nachnamen braucht es in dieser intimen Situation nicht. Auch die Stadt, aus der Wolfgang kommt, und die Stadt, in die er fährt, bleiben anonym. Die Städte heißen einfach "Stadt", "Ortschaft", "Ort" oder "Vorort".
Freilich ist klar, welche urbane Landschaft hier gemeint ist und von Wolfgang durchfahren wird. Werner Streletz ist in Bottrop geboren und lebt in Bochum. Für sein Gesamtwerk wurde er im Jahr 2008 mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Ruhrgebietsliteratur also, was manche für ein Manko, manche für ein Markenzeichen halten.
Aber, wie gesagt: Stadt und Land verschweigt der Selbstgesprächler. Nun existieren im Ruhrgebiet zweifellos Überlappungsfronten, in denen dem uneingeweihten oder unkonzentrierten Auto-Piloten nicht ganz klar ist, ob er sich noch innerhalb des Weichbildes von Wanne-Eickel oder schon im fremden Herne, Bochum oder gar Gelsenkirchen befindet.
Andererseits ist die Stadtlandschaft Ruhrgebiet natürlich - oder besser: aus historischen Gründen - ebenso wenig homogen wie Hamburg, München oder Berlin. Die Ununterscheidbarkeit, die Streletz hier fingiert, wirkt deswegen manchmal kumpanistisch, gerade so, als wollte er alles vereinnahmende Slogans wie "Wir im Revier" illustrieren. Das umso mehr, als auch hier die Szenerie mit den obligatorischen Kiosken bestückt wird, an denen man sich mit ortsüblichen Würstchen verpflegt. Auf diese Weise wirkt das Selbstgespräch zwar vertraulich - weil es per du mit allem ist -, zugleich erweckt es aber den Eindruck einer eigentümlichen Entrücktheit: Weg und Wirklichkeit schimmern nur vage auf, wenn Wolfgang über sich und Rolf, über ihre Freundschaft zueinander und über die Liebe zu den Frauen sinniert. Mit der Liebe, jedenfalls der ehelichen, ist es übrigens, was Wolfgang betrifft, nicht mehr allzu gut bestellt.
"Meine Ehe − seit Jahren tot
Ist zwar eine Beerdigung
Zu der ich fahre
Doch egal − Hauptsache weg!
Vielleicht wird's ja ganz nett."
Das Buch trägt den Untertitel "Zwischen Biedersinn und Lebensgier". Die Rollen sind rasch sortiert: Autofahrer Wolfgang repräsentiert den Biedersinn, Rolf die Lebensgier. Und dies ist sicher eine Pointe dieses Textes: dass der Lebensgierige tot ist, der Biedermann überlebt. Er lebt und hegt die Erinnerungen an die Eskapaden seines Beifahrers: Mal blaffte Rolf an einer Ampel einen Polizisten an, mal geriet er beinahe nach einem Diskothekenbesuch in eine Schlägerei. Überhaupt lebte er nach der Devise:
"Man muss sich mal richtig austieren!
Aus-tieren, verstehst du!
Solltest du auch mal machen!
Nicht immer brav zu Hause Milchreis essen.
Alles ist möglich, Wolfgang,
und was möglich ist, kommt vor."
So schreckt Rolf, der James-Bond-haftigere der beiden, nicht einmal vor dem Besuch zwielichtiger Bars zurück:
"Eve Bar −
An der Autobahnauffahrt
Rolf hatte mich mit dem Taxi hierher mitgenommen
Ich wusste gar nicht, wo das war
Kannte so was vorher gar nicht
Die rote Neonschrift über dem Eingang
Bin ich danach nicht mehr hin
Weil mein geschiedener Vater in der Nachbarschaft wohnte
Wie ich später entdeckte
Den ich lange nicht mehr getroffen hatte
Angst
Er könnte plötzlich reinkommen
Als Freier, lachend
Und würde mich sehen"
Biedermann Wolfgang hat überhaupt und vor allem Angst; nicht einmal sein eigenes Auto garantiert verlässliche Sicherheit:
"Sofort inspiziere ich von außen die Rücksitze
Könnte ja sein, dass sich dort
Ein Unhold verborgen hält
Der mich von hinten angreifen könnte
Sobald ich am Steuer Platz genommen habe."
Der Mann mit Biedersinn, der Biedermann oder Biedermeier, ist nach landläufigem Verständnis im ganz Privaten zuhaus. Er lebt aus dem Politischen zurückgezogen sein hausbackenes Leben: schlichte Möbel, Kaffeekränzchen, Hausmusik und Weihnachtsbaum. Mit Biedermann Wolfgang transponiert Streletz Wesenszüge dieses Modells aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart, tauscht allerdings das solide Haus als Refugium des Einzelnen gegen das Auto aus:
"Ich brauche seit jeher
Das stabile Gehäuse eines Autos
Mit dem kleinen Teppich unter den Füßen
Und dem stoffbespannten Metallbaldachin über mir
Schön wäre eine Stretchlimousine
Mit Küchenzeile und Kleiderschrank
Wie zu Hause
Doch dann befürchte ich
Ich donnere mit diesem Luxusgefährt
Gegen einen falsch geparkten Lastzug
Und das ganze Paradies ist dahin".
Baldachin und Paradies - fast scheint es, als wäre das Auto dem biederen Bürger zum Sakralbezirk geworden, zum mobilen Beichtstuhl auf der Reise zu den Letzten Dingen.
Mit geradezu ethnologischem Interesse untersucht Streletz des Deutschen Auto als kleinbürgerlichen Lebensraum: von den verklärten Erinnerungen an die Knutscherei mit der schüchternen Vera über den stummen Flirt mit der Fahrerin des Kraftfahrzeuges nebenan bis zum Ehekrach im Auto, der so eskaliert,
"dass ich den Wagen anhielt, ausstieg und fortging
Ich wusste
Meine Frau besitzt keinen Führerschein
Und kann kein Auto steuern
Dass sie also in freier Landschaft festsaß
Doch das empfand ich als gerechte Strafe".
Manche gelungenen Beobachtungen klingen wie Skizzen für ein Buch "Menschliches, Allzumenschliches beim Autofahren", eine Phänomenologie des Individualverkehrs in diesen Tagen:
"Ich mag es
Wenn jemand neben mir
Auf dem Beifahrersitz einschlummert
Am liebsten Frau, Freundin oder die kleine Nichte
Ich kann dann meinen Gedanken nachhängen
Und bin trotzdem nicht allein"."
Obwohl sich diesen automobilen Memoiren zufolge fast sein ganzes Leben im Kraftwagen abgespielt hat, wenigstens aber wesentliche Episoden, ist Wolfgang kein Auto-Narr, kein Bastler oder Tüftler:
"Früher bin ich
Viele Monate lang gefahren
Ohne Wasser, Öl und Luft zu überprüfen
Später stellte sich heraus
Dass eine gute Bekannte
Der ich hin und wieder das Auto lieh
Sich um derlei gekümmert hatte
Als sie dann
Fortgezogen ist
Bin ich kurz danach prompt
Auf der Autobahn liegen geblieben
Kolbenfresser!"
Manches in diesem Selbstgespräch klingt banal. Wenn etwa der Fahrer vermeldet, er fahre jetzt nach Vorschrift, Tempo 50, weil er am Ortseingang eine Radarkontrolle gesehen habe, wird man das als Verkehrsteilnehmer mit Beifall zur Kenntnis nehmen; literarisch reißt einen diese Information eher nicht mit. In diesem episodisch konstruierten Selbstgespräch wird hier mal ein Lieferwagen angehupt, weil er nach links zieht, dort ein Rentner ausgeschimpft, der unbedingt noch über die Ampel will - mag sein, dass die Straße selbst solche Klischees erzeugt.
Aber Wolfgang ist ja auch nicht als Heros oder Ritter der Landstraße angetreten. Insgesamt gelingt Streletz durchaus ein ebenso leicht und amüsant formuliertes wie stimmiges, immer wieder unterhaltsames, mit Anekdoten gespicktes Doppelporträt eines Freundespaares: des biederen, dabei von Ängsten wie von untergründiger Todessehnsucht geprägten Fahrers und seines lebenslustigen, aber nicht sehr verkehrstüchtigen Beifahrers. Rolfs Tod nämlich ist, wie man es auch dreht und wendet, nicht zuletzt ein Verkehrsunfall:
"Rolf wollte im Urlaub in Italien aus Jux mit dem Mofa
Über ein Brückengeländer fahren
Hat dabei die Balance verloren und ist abgestürzt
Zirkus bis zum Schluss
Er soll das sogar freihändig versucht haben."
Mit seinen gut 40 Seiten ist dieses Selbstgespräch eine schöne Geschichte, die man sich auf einer mittellangen Autofahrt - vielleicht vom Ruhrgebiet hinaus ins Ländliche - von seinem Beifahrer vorlesen lassen könnte. Falls man keinen Beifahrer hat, hilft der CD-Spieler: Joachim Hermann Luger, der in der Lindenstraße den Sozialarbeiter Hans Beimer spielt, hat den Text intensiv und stimmungsvoll eingesprochen.
Werner Streletz: Der Beifahrer, Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop 2010, 12,80 Euro
"Rolf besaß keinen Führerschein
'Ist mir viel zu anstrengend
Ständig auf all die Verkehrsregeln zu achten', sagt er:
'Und dann kracht dir doch einer von der Seite rein.'"
Irgendwann hat man einander - und das für längere Zeit - aus den Augen verloren. Jetzt, auf dem Weg zur Beisetzung, macht Wolfgang sich seine Gedanken. Da der Weg lang ist, bleibt viel Raum für allerlei Nachdenkliches, denn Wolfgang, der Beifahrer, ist fern und in der Fremde gestorben, "irgendwo im Ländlichen". Wolfgang und Rolf - Nachnamen braucht es in dieser intimen Situation nicht. Auch die Stadt, aus der Wolfgang kommt, und die Stadt, in die er fährt, bleiben anonym. Die Städte heißen einfach "Stadt", "Ortschaft", "Ort" oder "Vorort".
Freilich ist klar, welche urbane Landschaft hier gemeint ist und von Wolfgang durchfahren wird. Werner Streletz ist in Bottrop geboren und lebt in Bochum. Für sein Gesamtwerk wurde er im Jahr 2008 mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Ruhrgebietsliteratur also, was manche für ein Manko, manche für ein Markenzeichen halten.
Aber, wie gesagt: Stadt und Land verschweigt der Selbstgesprächler. Nun existieren im Ruhrgebiet zweifellos Überlappungsfronten, in denen dem uneingeweihten oder unkonzentrierten Auto-Piloten nicht ganz klar ist, ob er sich noch innerhalb des Weichbildes von Wanne-Eickel oder schon im fremden Herne, Bochum oder gar Gelsenkirchen befindet.
Andererseits ist die Stadtlandschaft Ruhrgebiet natürlich - oder besser: aus historischen Gründen - ebenso wenig homogen wie Hamburg, München oder Berlin. Die Ununterscheidbarkeit, die Streletz hier fingiert, wirkt deswegen manchmal kumpanistisch, gerade so, als wollte er alles vereinnahmende Slogans wie "Wir im Revier" illustrieren. Das umso mehr, als auch hier die Szenerie mit den obligatorischen Kiosken bestückt wird, an denen man sich mit ortsüblichen Würstchen verpflegt. Auf diese Weise wirkt das Selbstgespräch zwar vertraulich - weil es per du mit allem ist -, zugleich erweckt es aber den Eindruck einer eigentümlichen Entrücktheit: Weg und Wirklichkeit schimmern nur vage auf, wenn Wolfgang über sich und Rolf, über ihre Freundschaft zueinander und über die Liebe zu den Frauen sinniert. Mit der Liebe, jedenfalls der ehelichen, ist es übrigens, was Wolfgang betrifft, nicht mehr allzu gut bestellt.
"Meine Ehe − seit Jahren tot
Ist zwar eine Beerdigung
Zu der ich fahre
Doch egal − Hauptsache weg!
Vielleicht wird's ja ganz nett."
Das Buch trägt den Untertitel "Zwischen Biedersinn und Lebensgier". Die Rollen sind rasch sortiert: Autofahrer Wolfgang repräsentiert den Biedersinn, Rolf die Lebensgier. Und dies ist sicher eine Pointe dieses Textes: dass der Lebensgierige tot ist, der Biedermann überlebt. Er lebt und hegt die Erinnerungen an die Eskapaden seines Beifahrers: Mal blaffte Rolf an einer Ampel einen Polizisten an, mal geriet er beinahe nach einem Diskothekenbesuch in eine Schlägerei. Überhaupt lebte er nach der Devise:
"Man muss sich mal richtig austieren!
Aus-tieren, verstehst du!
Solltest du auch mal machen!
Nicht immer brav zu Hause Milchreis essen.
Alles ist möglich, Wolfgang,
und was möglich ist, kommt vor."
So schreckt Rolf, der James-Bond-haftigere der beiden, nicht einmal vor dem Besuch zwielichtiger Bars zurück:
"Eve Bar −
An der Autobahnauffahrt
Rolf hatte mich mit dem Taxi hierher mitgenommen
Ich wusste gar nicht, wo das war
Kannte so was vorher gar nicht
Die rote Neonschrift über dem Eingang
Bin ich danach nicht mehr hin
Weil mein geschiedener Vater in der Nachbarschaft wohnte
Wie ich später entdeckte
Den ich lange nicht mehr getroffen hatte
Angst
Er könnte plötzlich reinkommen
Als Freier, lachend
Und würde mich sehen"
Biedermann Wolfgang hat überhaupt und vor allem Angst; nicht einmal sein eigenes Auto garantiert verlässliche Sicherheit:
"Sofort inspiziere ich von außen die Rücksitze
Könnte ja sein, dass sich dort
Ein Unhold verborgen hält
Der mich von hinten angreifen könnte
Sobald ich am Steuer Platz genommen habe."
Der Mann mit Biedersinn, der Biedermann oder Biedermeier, ist nach landläufigem Verständnis im ganz Privaten zuhaus. Er lebt aus dem Politischen zurückgezogen sein hausbackenes Leben: schlichte Möbel, Kaffeekränzchen, Hausmusik und Weihnachtsbaum. Mit Biedermann Wolfgang transponiert Streletz Wesenszüge dieses Modells aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart, tauscht allerdings das solide Haus als Refugium des Einzelnen gegen das Auto aus:
"Ich brauche seit jeher
Das stabile Gehäuse eines Autos
Mit dem kleinen Teppich unter den Füßen
Und dem stoffbespannten Metallbaldachin über mir
Schön wäre eine Stretchlimousine
Mit Küchenzeile und Kleiderschrank
Wie zu Hause
Doch dann befürchte ich
Ich donnere mit diesem Luxusgefährt
Gegen einen falsch geparkten Lastzug
Und das ganze Paradies ist dahin".
Baldachin und Paradies - fast scheint es, als wäre das Auto dem biederen Bürger zum Sakralbezirk geworden, zum mobilen Beichtstuhl auf der Reise zu den Letzten Dingen.
Mit geradezu ethnologischem Interesse untersucht Streletz des Deutschen Auto als kleinbürgerlichen Lebensraum: von den verklärten Erinnerungen an die Knutscherei mit der schüchternen Vera über den stummen Flirt mit der Fahrerin des Kraftfahrzeuges nebenan bis zum Ehekrach im Auto, der so eskaliert,
"dass ich den Wagen anhielt, ausstieg und fortging
Ich wusste
Meine Frau besitzt keinen Führerschein
Und kann kein Auto steuern
Dass sie also in freier Landschaft festsaß
Doch das empfand ich als gerechte Strafe".
Manche gelungenen Beobachtungen klingen wie Skizzen für ein Buch "Menschliches, Allzumenschliches beim Autofahren", eine Phänomenologie des Individualverkehrs in diesen Tagen:
"Ich mag es
Wenn jemand neben mir
Auf dem Beifahrersitz einschlummert
Am liebsten Frau, Freundin oder die kleine Nichte
Ich kann dann meinen Gedanken nachhängen
Und bin trotzdem nicht allein"."
Obwohl sich diesen automobilen Memoiren zufolge fast sein ganzes Leben im Kraftwagen abgespielt hat, wenigstens aber wesentliche Episoden, ist Wolfgang kein Auto-Narr, kein Bastler oder Tüftler:
"Früher bin ich
Viele Monate lang gefahren
Ohne Wasser, Öl und Luft zu überprüfen
Später stellte sich heraus
Dass eine gute Bekannte
Der ich hin und wieder das Auto lieh
Sich um derlei gekümmert hatte
Als sie dann
Fortgezogen ist
Bin ich kurz danach prompt
Auf der Autobahn liegen geblieben
Kolbenfresser!"
Manches in diesem Selbstgespräch klingt banal. Wenn etwa der Fahrer vermeldet, er fahre jetzt nach Vorschrift, Tempo 50, weil er am Ortseingang eine Radarkontrolle gesehen habe, wird man das als Verkehrsteilnehmer mit Beifall zur Kenntnis nehmen; literarisch reißt einen diese Information eher nicht mit. In diesem episodisch konstruierten Selbstgespräch wird hier mal ein Lieferwagen angehupt, weil er nach links zieht, dort ein Rentner ausgeschimpft, der unbedingt noch über die Ampel will - mag sein, dass die Straße selbst solche Klischees erzeugt.
Aber Wolfgang ist ja auch nicht als Heros oder Ritter der Landstraße angetreten. Insgesamt gelingt Streletz durchaus ein ebenso leicht und amüsant formuliertes wie stimmiges, immer wieder unterhaltsames, mit Anekdoten gespicktes Doppelporträt eines Freundespaares: des biederen, dabei von Ängsten wie von untergründiger Todessehnsucht geprägten Fahrers und seines lebenslustigen, aber nicht sehr verkehrstüchtigen Beifahrers. Rolfs Tod nämlich ist, wie man es auch dreht und wendet, nicht zuletzt ein Verkehrsunfall:
"Rolf wollte im Urlaub in Italien aus Jux mit dem Mofa
Über ein Brückengeländer fahren
Hat dabei die Balance verloren und ist abgestürzt
Zirkus bis zum Schluss
Er soll das sogar freihändig versucht haben."
Mit seinen gut 40 Seiten ist dieses Selbstgespräch eine schöne Geschichte, die man sich auf einer mittellangen Autofahrt - vielleicht vom Ruhrgebiet hinaus ins Ländliche - von seinem Beifahrer vorlesen lassen könnte. Falls man keinen Beifahrer hat, hilft der CD-Spieler: Joachim Hermann Luger, der in der Lindenstraße den Sozialarbeiter Hans Beimer spielt, hat den Text intensiv und stimmungsvoll eingesprochen.
Werner Streletz: Der Beifahrer, Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop 2010, 12,80 Euro