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Ein Schloss wie im Märchen

"Was bleibet aber, stiften die Dichter". Dieser gerne zitierte Hölderlinvers für unverbindliche Feierstunden besitzt neben der weihevollen auch noch eine ganz handfeste Seite, die gewöhnlich übersehen wird. Dichter - zumindest einige - stiften nicht nur höheren Sinn, sondern sie schaffen auch Fakten in Form von Stadtschreiberposten, Stipendien und Preisen - und manchmal gründen sie auch einen Verlag. Ein Ort, wo das alles zusammenfällt, ist das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Brandenburg. Einst rettete es der Wunderhorndichter Achim von Arnim vor dem Verfall, um hier abseits vom lärmigen Berlin in Ruhe arbeiten zu können. Und das trifft auch heute noch für die aus dem In- und Ausland anreisenden Stipendiaten zu. Im Sommer feiern sie zusammen mit viel Publikum ihre in Wiepersdorf entstandenen Werke. Eine schöne Zeremonie. Und so beginnt auch die Geschichte des Gemini-Verlags.

Von Richard Schroetter | 14.06.2004
    Das war in Wiepersdorf. Und zwar an dem Abend dem 25. Juli. Das Fest hieß Rausch und Ernüchterung, wo wir alle gelesen haben. Und dann kamen wir am späteren Abend darauf, dass dies und jenes fehlte, und der große Auslöser war, der plötzliche Mangel des Grimm‘schen Wörterbuches, wie ich dann irgendwie einen Wutanfall bekam, inzwischen gibts das, und da sagte ich, da machen wir uns alles selber bitte, wenn die Dinge überhaupt nicht mehr vorhanden sind, und jeder nahm das so als Lustigkeit, ich auch nur zur Hälfte, aber ich hab in dem Moment, es war fast ein körperliches Gefühl, setzte sich eine, ich nenn das immer, eine Flause auf meine Schulter, etwas Unsichtbares, und diese Flause hat angehalten. Das war wirklich alles. Durch alle Tiefen und Unmöglichkeiten, die man da erstmal durchläuft, habe ich immer mit dieser Flause zu tun, bis heute, und irgendwann habe ich ihr einfach zu ihrem Recht verholfen.

    Diana Kempff, Kleistpreisträgerin von 1986, die jüngste Tochter des gefeierten Pianisten Wilhelm Kempff, die vor 25 Jahren mit dem autobiographischen Prosatext Fettfleck ziemliches Aufsehen erregte, nahm aus Wiepersdorf ihre Flause mit und gab ihr den Namen Gemini-Verlag. Gemini, also Zwilling, das Sternzeichen Diana Kempffs, verweist auch auf ihre Doppelexistenz als Dichterin und Verlegerin. Postmodern ausgedrückt, schrieben da fremde Federn die eigenen Texte fort.

    Ursprünglich war das ganz anders geplant, dass wir das zu ganz vielen Leuten machen, so ne Art Kollektiv, dass jeder eine Aufgabe übernimmt, aber dann wurde daraus nichts. Nach Wiepersdorf blieben wir alleine übrig. Und ich hatte immer noch das Gefühl, ich muß das jetzt irgendwie machen, irgendwas in mir wollte das, obwohl es in mehreren Beziehungen höchst unvernünftig war, und dann habe ich mich langsam hineingearbeitet. Ich hab eine Zeitlang, nicht sehr lange, als Lektorin gearbeitet, und das Lektorat hat mir immer großen Spaß gemacht. (

    Bücherverlegen bedeutet ein Netzwerk aufbauen, Kontakte zu Autoren, Übersetzern, Illustratoren, Druckern und vielen anderen knüpfen.

    Da habe ich auch erstmal mit Wiepersdorf angefangen, weil das Umfeld war ja nun sehr einfach, da musste man einfach nur zugreifen, da waren die Übersetzer da, da waren die Autoren da, an sich hätte ich viel mehr machen wollen natürlich. Ich hab auch ein bestimmtes Konzept, was ich aber nicht verrate, weil ich weiß nicht, ich bin da zu abergläubisch, ich hab ja erst die dritte Produktion, ... es beginnt ja eigentlich erst, dass man das Muster durchschauen kann von außen, also da halte ich mich lieber zurück.

    Eine gewisse nordische Ausrichtung fällt jedoch sofort ins Auge. Die große Dichterin Edith Södergran ist mit ihren wunderbaren Gedichten vertreten. Auch einen Briefband gibt es endlich von ihr. Carl von Linnés Lappländisches Tagebuch, diese Poesie des Faktischen, in der Übersetzung von HC Artmann ist jüngst erschienen, ebenso die Gedichte von Klaus-Jürgen Liedke und gleich vier Romane des international renommierten schwedischen Romanciers Carl Henning Wijdmark, zu dem Diana Kempff eine exclusive Beziehung hat.

    Ich hab eine ganz alte Beziehung zu Schweden, weil mein Onkel mit einer Schwedin verheiratet war, und ich mehrere Cousins und Kusinen habe, und für mich war Schweden immer sehr präsent im Kopf und die schwedische Lit. nat. auch, u. das Schreckliche ist, dass ich kein Schwedisch kann, es gibt da wirklich Dinge zu entdecken, die bei uns einfach nicht übersetzt sind, und vor allem ist im Falle von Karl Henning Wijkmark, das ist interessant, das ist jemand, der immer weiter singt, man hört das nur, Dinge, die bei uns im Krieg unterbrochen wurden. Es wäre bei uns garnicht möglich diese Art, jemand, der ein Europäer ist, der ist nun am unschwedischten, das ist kein sehr schwedischer Autor, sondern das ist ein großer Europäer, dessen Wurzeln ich mehr bei Hofmannsthal sehe als im Schwedischen. Ich nenn das immer, dieses Weitersingen, das es immer so weitergeht über die Jahrhunderte, das finde ich unglaublich reizvoll, weil: das gibt es bei uns nicht. Da ist Krieg, da ist Bruch, da kommt ne bestimmte Sprachzertrümmerung, das ist ne ganze andere Art. Und diese Art, dass sich die erhalten hat, ohne deswegen altmodisch zu sein, ist, was mich sehr fasziniert.

    Die Stimme aus Karelien drang tief in mich, ich meinte die wirkliche Stimme zu hören, die sich in unzugänglichen Hirnwindungen verbarg. Ich war verwirrt und kaum fähig klar zu denken. Keine Erinnerung ließ sich hervorkramen an die kleinste Äußerung oder Geste der Liebe oder anderer Gefühle von Seiten Papas. Ich begriff, dass ich ihm erst jetzt begegnete. Ich begriff auch froh und perplex, dass er mir weit überlegen war. Mit 26 Jahren besaß er ein größeres Register als ich es je haben würde. Ich ging hinunter, um mir ein Glas Wasser zu holen und vor dem letzten Brief eine Pause einzulegen.


    Das war die Stimme von Carl Henning Wijkmark, dessen Roman Der du nicht bist auch als Hörbuch im Gemini-Verlag herausgekommen ist. Wijkmark kennt man hierzulande leider viel zu wenig, aber das schert Diana Kempff nicht weiter. Ihr Verlag ist ein hortus conclusus fürs Sublime, für Unalltägliche, eine Herberge und Bleibe für die zu unrecht Übersehenen und Vernachlässigten - ja das sind ihre Auserwählten.

    Den von Baudelaire verehrten Mitbegründer der französischen Moderne Aloysius Bertrand findet man hier neu übersetzt von Rainer G. Schmidt, ebenso den Frühavantgardisten Victor Segalen mit seinem magischen Texten, seinen Poesien nach chinesischen Malereien. Das sind Randfiguren der Weltliteratur, interessant allenfalls jedoch für Eingeweihte. Aber das hat man einst über Proust und Kafka, über Joyce und Walser auch gesagt. Abgesehen von diesen übersehenen Klassikern ist die Gegenwart im Gemini-Verlag ebenso, ja noch vehementer vertreten: Der sanfte Barbar Karl Günther Hufnagel und Ernst Nowak; Franz Rosei, Helmut Eisendle u. William Everson sind mit mehreren Titeln vorhanden; und sie alle sind auch gute alte Freunde Diana Kempffs

    Ganz am Anfang wollte ich einen Freundes- und Bruder Verlag haben, und das ist vielleicht auch der Fall mit allen Freundes und Brudergeschichten, die natürlich auch ihre Schattenseiten haben, aber das macht die Sache ja auch sehr spannend.

    Insofern auch ein romantisches Unternehmen

    Könnte man durchaus sagen, also nicht umsonst ist das auch in Wiepersdorf entstanden.

    Aber gerät nicht die Dichterin, das poetische Ich mit sich selbst in Konflikt, wenn es sich statt in freie Prosa und Verse, in Umsatz und Bilanzen versenken muss.

    Ja. Aber es hat mich so gereizt, was anderes zu machen, was ja auch auf der anderen Seite befruchtend ist, man bliebt ja immer im Training, man sieht seine eigenen Sachen eigentlich noch kritischer als man es ohnehin sieht. Und das finde ich eigentlich sehr positiv daran, wenn man nicht meint, man muss jetzt alles ganz schnell veröffentlichen und so. Aber das Problem hatte ich nicht, ich hatte mir immer Zeit genommen, und werd es auch weiterhin tun.