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Ein schonungsloses Leben

Mit 40 Jahren war Max Frisch in erster Linie noch Architekt, Ehemann und Vater. Mit den großen Romanerfolgen kam der Bruch und ein Leben mit Exzessen.

Von Cornelie Ueding | 15.05.2011
    Dass er einmal einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller sein würde, hatte man Max Frisch wahrlich nicht an der Wiege gesungen. Geboren am 15. Mai 1911 in Zürich, wo er 80 Jahre später auch starb, wuchs er in kleinbürgerlichen und beengten Verhältnissen auf. Den ersten Theaterbesuch erlebte er geradezu als Initialzündung.

    "Nach dem ersten Besuch im Theater, die mir einen ungeheuren Eindruck gemacht haben - Ich erinnere mich, ich habe nicht verstanden, dass ein Mensch der Taschengeld hat, mehr Taschengeld hat als ich, dass der nicht jeden Abend im Theater ist. Und fing also mit Theater an, hab das dann auch sofort geschickt an die großen Bühnen, Reinhardt und so weiter; und hab also bis zur Maturität wahrscheinlich drei oder vier Stücke geschrieben, die nicht mehr existieren. Und bin also zur Literatur ganz eindeutig nicht vom Roman oder vom Gedicht her gekommen. Der Einstieg war durch's Theater."

    Das war also mehr als jugendliche Theaterbegeisterung: Es war die Entdeckung einer neuen Lebensmöglichkeit, die sich natürlich in einer Fülle erster Schreibversuche entlud. Unabweisbar war von diesem Moment an die Literatur als eine zweite Welt in sein Bewusstsein geraten, wenngleich noch Jahre vergehen sollten, bis er sich von seinem zweiten Fach, der Architektur, verabschiedete, denn:

    "Für einen Architekten war das, was ich literarisch lieferte, ganz großartig. Das, was ich baute, war für einen Schriftsteller ganz großartig. Ich hatte Angst vor der üblen Nachrede, dass die Architekten sagen, er soll ein guter Schriftsteller sein, und die Schriftsteller sagen, er soll ein guter Architekt sein. Dann kam es zu dieser Entscheidung, weil ich den Eindruck hatte, dass ich auf dem literarischen eigener sein würde als auf dem architektonischen Gebiet."

    Eigen sein, wie Frisch es nennt, bedeutet freilich nicht, sich ins Private, allzu Persönliche zu verstricken, sondern im Gegenteil, zu einer unverwechselbaren und unkorrumpierbaren Art der Wahrnehmung zu gelangen. Auf vielen Reisen ins zerstörte Deutschland, nach Italien, Prag und Wien, Paris und Warschau wurde die brennende Gier nach Außenwelt fast rauschartig befriedigt und weiter angeregt.

    "Nach dem Krieg kam ja nun endlich die Möglichkeit, dass wir reisen konnten. So leicht war das nicht. Man konnte nicht einfach reisen. Sie müssen sich vorstellen, wir waren doch sechs oder sieben Jahre in diesem sehr kleinen Land gefangen."

    Das bedeutete: endlich nicht mehr nur "Fernseher, Fernhörer, Fernwisser" zu sein, wie es in seinem ersten großen Roman Stiller heißt, und auch nicht mehr nur von Leseerlebnissen, also aus zweiter Hand zu leben, sondern nur noch, wie er immer wieder betont, über selbst Erlebtes zu schreiben. Genau das wurde ihm dann immer wieder zum Vorwurf gemacht.

    Biografische Details sind genügend bekannt, und es werden noch mehr, wenn jetzt, 20 Jahre nach seinem Tod, das Archiv geöffnet werden darf: der Alkohol, die Egozentrik, gescheiterte Ehen, Geliebte, Affären. Er hat sich selbst entblößt und andere nicht geschont. Freilich, die gleiche Rücksichtslosigkeit, ja Schonungslosigkeit wie im Privaten zeichnete ihn auch in Auseinandersetzung mit politischen und technologischen Phänomenen aus:

    "Was wir der Naturwissenschaft zu verdanken haben, steht außer Frage. Bis zu einer gewissen Grenze. Wo beginnt das Defizit? Wissenschaft ohne sittliche Vernunft und infolgedessen eine wissenschaftliche Forschung, deren Folgen niemand zu verantworten hat. Das ist schon mehr als ein Defizit. Das ist die Perversion der Aufklärung, die uns mündig machen sollte. Aufklärung heute ist Revolte gegen den Aberglauben in die Technologie, die den Menschen antiquiert, wie Günter Anders es bezeichnet und zur Ohnmacht gegenüber der Technologie führt. Das alles wäre Alarm genug. Aber als Alarm nicht wirksam in einer Gesellschaft, die darauf besteht: Vernünftig ist, was sich rentiert."

    Max Frischs Romane wie Homo Faber, Gantenbein und Montauk kreisen um eine Person und die Entwürfe möglicher Lebensmodelle. In den Tagebüchern und Reden tritt vor allem der Kulturkritiker und Aufklärer Max Frisch hervor. Und dessen ebenso nüchterne wie kluge Analysen sind von frappierender Aktualität und Illusionslosigkeit:

    "Natürlich sind Bürger ohne Aufklärung leichter zu dirigieren, leichter zu manipulieren, leichter zu militarisieren und so weiter - leichter zu regieren. Zu ihren eigenen Lasten."