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Ein Snob in Afrika

1930 wurde Haile Selassie zum Kaiser von Äthiopien gekrönt. Unter den Teilnehmern der Zeremonie war unter anderem der britische Schriftsteller und Journalist Evelyn Waugh. Sein Bericht, 1931 erstmals in England erschienen, ist nun, 66 Jahre später, in deutscher Übersetzung erhältlich.

Von Wera Reusch | 17.08.2007
    ""An jeder Ecke sah man halbfertige, gelegentlich schon aufgegebene Gebäude, auf anderen Baustellen waren zerlumpte Guraghi bei der Arbeit. (…) Ein Vorarbeiter lief mit einem langen Stock umher. Wenn er anderswo abgelenkt war, stellten die Männer ihre Arbeit vollständig ein. Sie setzten sich aber nicht etwa hin, um zu plaudern und auszuruhen, sie blieben stocksteif stehen, wie angewurzelt, manchmal in erstarrter Bewegung, mit einem Stein in der Hand.""

    Es war Evelyn Waughs erste Begegnung mit Afrika. Der 1903 als Sohn einer Verlegerfamilie geborene Autor hatte sich gerade von seiner Frau getrennt und war auf der Suche nach Ablenkung. Er ließ sich kurzerhand von der Londoner "Times" anheuern und brach im Oktober 1930 auf, um an der Krönungszeremonie Haile Selassies teilzunehmen. Waugh, der Inbegriff eines britischen Snobs, fand sich plötzlich in der äthiopischen Hauptstadt wieder, einer Ansammlung unfertiger Betonbauten sowie zahlloser Wellblechhütten, die mit Lattenzäunen versehen wurden, um die Armut vor den internationalen Gästen zu verbergen. Umso grotesker wirkte das Auftreten des Kaisers:

    ""Manchmal kommt, eskortiert von Ulanen im kurzen Galopp, der Kaiser in einem eindrucksvollen roten Automobil vorbei. Hinter ihm ein Page, der einen mit Münzen und goldenen Troddeln geschmückten roten Seidenschirm hält, vorne ein Soldat mit einem Maschinengewehr, das mit einer Plüschdecke abgedeckt ist. Am Steuer sitzt ein Europäer in taubenblauer Livree mit dem Stern von Äthiopien.""

    Die Szenerie erinnert Evelyn Waugh an den berühmten Roman von Lewis Carroll:

    ""Tatsächlich muss ich immer wieder an Alice im Wunderland denken, wenn ich nach einer historischen Parallele für die Verhältnisse in Addis Abeba suche. Es gibt noch andere, Israel unter König Saul, das Schottland des Shakespeareschen Macbeth, (…) doch nur in Alice findet man jene besondere Atmosphäre einer galvanisierten und verfremdeten Realität.""

    An anderer Stelle spricht Waugh von einem Komplex aus Hysterie und Apathie, Erhabenheit und Farce. Für den spottlustigen Schriftsteller, dem kein absurdes Detail entgeht, bieten die tagelangen Feierlichkeiten Stoff in Hülle und Fülle. Er macht sich über den feudalen Pomp des Hofs lustig, liefert aber auch bissige Schilderungen der internationalen Delegationen:

    ""Zwei Regierungen entsandten Angehörige des Königshauses, die Vereinigten Staaten schickten einen Herrn mit Erfahrungen in der Elektrobranche. (…) Für geeignete Geschenke wurden erhebliche staatliche Gelder aufgewendet. Die Deutschen brachten eine signierte Photographie des Generals von Hindenburg sowie achthundert Flaschen Rheinwein, die Griechen eine moderne Bronzestatuette, die Italiener ein Flugzeug, die Briten zwei elegante Szepter.""

    Auch die anwesenden Journalisten bekommen ihr Fett weg: Um die Artikel über die Krönung Haile Selassies in den Londoner Montagszeitungen zu platzieren, erfinden sie ihre Berichte und telegraphieren diese lange bevor die Zeremonie überhaupt anfängt. Evelyn Waughs Reisebericht hat hohen Unterhaltungswert. Das gilt auch für den zweiten Teil, der seine langwierige Rückreise durch die britischen Kolonien Ostafrikas schildert. So schreibt er über die Insel Sansibar:

    ""Ich wohne im Englischen Club. (….) Man trägt hier lange Hose, Jackett, Hemd, Socken, Hosenträger, Fliege, Wildlederschuhe, alles. Halb angekleidet reibe ich mir den Kopf mit Haartonikum ein und setze mich unter den Ventilator. Das mache ich mehrmals am Tag. Es sind die einzigen erträglichen Momente.""

    Der 1966 gestorbene Autor, der sich mit satirischen Romanen einen Namen machte, gilt als brillanter Stilist. Seine spöttische Haltung kommt unseren heutigen Leseerwartungen zweifellos entgegen. Sie lässt sich vor allem goutieren, wenn es um die afrikanische Aristokratie und die koloniale weiße Oberschicht geht. Schaut man sich jedoch seine Äußerungen über die afrikanische Bevölkerung an, wird Evelyn Waughs zutiefst kolonialistische, um nicht zu sagen rassistische Haltung deutlich. Das zeigen Bemerkungen wie diese:

    ""So weit der Blick reichte, weißgewandete Stammesangehörige, bewegungslos, ohne Kopfbedeckung, barfüßig, das Gewehr geschultert; einige hatten olivfarbene Haut und scharfes Profil, anderen, dunkleren, mit wulstigen Lippen und flachen Nasen, war das Sklavenblut anzusehen.""

    Man mag einwenden, dies sei bei einem Reisebericht aus dem Jahr 1931 nicht verwunderlich. Doch abgesehen davon, dass es selbst unter den historischen Schilderungen Gegenbeispiele gibt, scheint Waugh mit all seiner schnöseligen Arroganz nicht das geringste Interesse an der afrikanischen Bevölkerung gehabt zu haben.

    "Evelyn Waugh reiste, um sich seine Vorurteile bestätigen zu lassen",

    schrieb der Schriftsteller Nicholas Shakespeare einst. Auch Rainer Wieland, der den vorliegenden Band mit einem sehr kundigen Nachwort versehen hat und Waugh sehr gewogen ist, räumt ein:

    "Die einheimische Bevölkerung bleibt ihm fremd, es liegt gar nicht in seinem Interesse, die Distanz zu verringern und sich um Nähe zu bemühen."

    Der deutsche Titel "Befremdliche Völker, seltsame Sitten" suggeriert fälschlicherweise eine ethnologische Herangehensweise. Der Werbeslogan des Verlags trifft die Sache schon eher: "Ein englischer Snob in Afrika."

    Evelyn Waugh: Befremdliche Völker, seltsame Sitten
    Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Mit historischen Fotografien und einem Nachwort von Rainer Wieland, Eichborn Verlag (Die Andere Bibliothek), Frankfurt / M. 2007, 325 Seiten, 27,50 Euro.