Donnerstag, 25. April 2024

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"Ein solcher Störfallablauf ist auch in deutschen Kernkraftwerken möglich"

Der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur, Stefan Kohler, hält einen Störfall wie in Schweden auch in Deutschland für möglich. Selbst wenn in Deutschland andere Techniken verwendet würden, sei der grundsätzliche Störfallablauf möglich. Deshalb solle die Bundesregierung den bestehenen Atomkonsens einhalten, unterstrich Kohler.

Moderation: Friedbert Meurer | 09.08.2006
    Friedbert Meurer: Am 25. Juli kam es im Reaktor 1 des schwedischen Kernkraftwerkes Forsmark zu einer Panne, die zum Gau hätte führen können. Ein Kurzschluss hat die Stromversorgung lahm gelegt und von vier Notstrom-Dieselmotoren sprangen nur zwei sofort an. Wären alle vier ausgefallen, hätte der Reaktor wohl nicht mehr gekühlt werden können. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, SPD, hat daraufhin alle Bundesländer aufgefordert, in denen Atomkraftwerke stehen, die Sicherheit der Anlagen zu prüfen. Das Ergebnis will er heute dem Kabinett mitteilen, anschließend der Öffentlichkeit. Aber es ist schon durchgesickert, dass alles in Ordnung sein soll.
    Am Telefon Stefan Kohler, er ist Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur, unter Rot-Grün gegründet, ist sie eine Agentur, die vor allem für das Energiesparen und für erneuerbare Energien eintritt.

    Guten Morgen Herr Kohler!

    Stefan Kohler: Guten Morgen, Hallo!


    Meurer: Wie sehr beruhigt Sie das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfungen in Deutschland?

    Kohler: Das beruhigt mich überhaupt nicht, weil wir wissen und das ist schon in den Sicherheitsstudien, die ja auch in Deutschland gemacht wurden, in den 1980er, in den 1990er Jahren und die ja laufend aktualisiert werden, dass eben genau dieser Störfall, also Ausfall der externen Stromversorgung, Schnellabschaltung des Reaktors und eben der so genannte Notstrom-Fall, dass dieser Störfall praktisch den häufigsten Beitrag zum Kernschmelzen bringt. Und der ist auch in deutschen Anlagen möglich. Es ist bekannt, dass einzelne Bauteile, die in Schweden zu diesem Unfall oder zu diesem Störfall geführt haben, in Deutschland nicht auftreten können, das ist wohl richtig, aber dieser Störfallablauf an sich, der ist auch in deutschen Kernkraftwerken möglich.

    Meurer: Aber das macht doch dann den entscheidenden Unterschied aus, dass es hier eine andere Technik gibt, um Notstrom für den Fall der Fälle zu erzeugen.

    Kohler: Ich sage ja, Das ist ja von Anlage zu Anlage auch verschieden. Wir haben ja in Deutschland nicht nur ein Kernkraftwerkstyp, wir haben Siedewasserreaktoren, wir haben Druckwasserreaktoren, wir haben unterschiedliche Baualter, aber was eben das Entscheidende ist, dass eben genau ein solcher Störfallablauf auch in deutschen Kernkraftwerken möglich ist und das dies und das ist ja bewiesen durch die Reaktorsicherheitsstudien, dass dieser Unfallablauf den höchsten Beitrag liefern kann zur Kernschmelzwahrscheinlichkeit, weil und das muss man sich mal vorstellen, wie es auch in Schweden, der Reaktor muss praktisch innerhalb kürzester Zeit, aus der Notstromversorgung umgeschaltet werden, die sicher sein muss, weil in einem Reaktor eben eine ganz wesentliche Leistung an Energie erzeugt wird und die muss durch Notkühlsysteme abgeführt werden. Und wenn es dann eben zum Ausfall von Notstromdieseln kommt, dann kann es zum Kernschmelzen kommen.

    Meurer: Aber die Notstromdiesel, die gibt es doch gar nicht in Deutschland.

    Kohler: Wie?

    Meurer: Die Notstromdieselmotoren gibt es doch wohl gar nicht in Deutschland.

    Kohler: Doch, doch, also natürlich haben die Kernkraftwerke…es gibt eine externe Stromversorgung, es gibt Batteriesysteme und es gibt eben Notstromdiesel, die diesen Notfall beherrschen sollen. Ich bin ja jetzt auch nicht ein Katastrofen-Argumentierer, aber wir müssen eben feststellen und das bestreitet ja auch niemand, dass eben solche Störfälle auch in deutschen Kernkraftwerken möglich sind. Die Frage ist ja immer: Wie wahrscheinlich sind diese Störfalle? Und mit welcher Wahrscheinlichkeit führt es zum Kernschmelzen?

    Meurer: Entschuldigung, die Überprüfungen, die der Bundesumweltminister jetzt zum Auftrag gegeben hatte und gestern wurden die Ergebnisse gemeldet. War das für Sie eine Showveranstaltung, hätte man das bleiben lassen sollen?

    Kohler: Nein, überhaupt nicht, nämlich durch jeden Störfall der auftritt und das gilt jetzt nicht nur für diesen, sondern das gilt auch für andere Störfälle, wird man schlauer. Man muss, man kann überprüfen, ob die Technik auch in deutschen Kernkraftwerken eingesetzt wird. Die Bundesländer haben festgestellt, dass jetzt genau die Technik, die in Schweden zu diesem Störfall geführt hat, nicht in deutschen Kernkraftwerken eingesetzt wird. Aber die Aussage, dass damit dieser Störfallablauf in deutschen Kernkraftwerken nicht möglich ist, die kann man daraus nicht ziehen, weil natürlich auch mit anderer Technik können solche Störfallabläufe eintreten.

    Meurer: Auf den Punkt gebracht: Was muss Ihrer Meinung nach, welche Lehre muss Ihrer Meinung nach zwingend aus Schweden gezogen werden?

    Kohler: Also wir haben eine Diskussion über den Ausstieg aus der Kernenergie und dieser Störfall zeigt wieder, dass eben die Kerntechnik eine Technik ist, die mit großen Risiken verbunden ist. Und deshalb denke ich, sollte die Bundesregierung den bestehenden Atomkonsens auch so einhalten und Energieeffizienz, regenerative Energiequellen, saubere Kohletechnologien entwickeln und einführen, damit wir möglich schnell auf diese Technik verzichten können.

    Meurer: Aber neue Sicherheitsmaßnahmen halten Sie jetzt nicht für erforderlich?

    Kohler: Natürlich und das passiert ja auch laufend, natürlich werden immer wieder neue Erkenntnisse gemacht, die dann auch in die Praxis umgesetzt werden müssen. Das ist, solange Kernkraftwerke laufen, ist das erforderlich. Aber eine grundsätzlich neue Sicherheitsphilosophie müssen wir aufgrund dieses Störfalls nicht einführen.

    Meurer: Nun heißt es ja sogar, es werde hinter den Kulissen verhandelt hier in Deutschland, zwischen den Betreibern von Atomkraftwerken und dem Umweltministerium, dem Wirtschaftsministerium, darüber, dass man die vier älteren Kraftwerke, die in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden sollen, dass man deren Laufzeiten vielleicht verlängern sollte. Gibt es diese Verhandlungen Ihrer Kenntnis nach?

    Kohler: Also natürlich werden Gespräche geführt, wobei ich nicht unbedingt die Laufzeit von Kernkraftwerken an deren Baualter abschätzen würde oder einschätzen würde, weil wir feststellen können, zum Beispiel der Unfall in Harrisburg, der Unfall in Tschernobyl, der ist ja nicht in den ältesten Anlagen aufgetreten, sondern in den jeweils neuesten Anlagen an diesen Standorten. Man muss sehr genau schauen, wie ist der sicherheitstechnische Zustand der Anlage und wenn eine Altanlage erst mit Sicherheitstechnik nachgerüstet worden ist, haben solche Anlagen manchmal einen höheren Standard, als neue Anlagen, die eben noch nicht auf den neuesten Stand gebracht worden sind.

    Meurer: Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie denn sagen, da ließe sich sozusagen ein Deal mit der Atomwirtschaft machen und sie dürfen ältere Kraftwerke, wie Biblis 1, Biblis 2 länger in Betrieb halten?

    Kohler: Also das Wort Deal würde ich jetzt in dem Zusammenhang nicht in den Mund nehmen, sondern es ist eigentlich nur möglich, dass man die Anlagen sicherheitstechnisch beurteilt. Wir können feststellen, dass die in Deutschland in Betrieb befindlichen Anlagen, dass dort Störfälle möglich sind, die eben zur massiven Freisetzung von radioaktiven Stoffen führen und das ist der entscheidende Punkt und deshalb denke ich, sollten wir nicht über die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken diskutieren, sondern, wie ich vorher schon gesagt habe, die Alternativen, die wir haben, möglich schnell auf den Markt zu bringen, damit wir sie ausschalten können, diese Kernkraftwerke.

    Meurer: Stefan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur. Besten Dank für das Interview und auf Wiederhören!