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"Ein sozial gerechtes und umweltfreundliches Haiti"

Für den Wiederaufbau Haitis benötige man mindestens elf Milliarden US-Dollar, sagt Susanne Wahl, Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes. Kurz vor der anstehenden Regenzeit sei aber vorrangig, die obdachlosen Menschen in sichere Camps unterzubringen.

Susanne Wahl im Gespräch mit Jochen Spengler | 31.03.2010
    Jochen Spengler: Die Vereinten Nationen haben eingeladen und heute kommen in New York Vertreter von über 100 Ländern zusammen. Ziel der Konferenz: Es sollen bis zu drei Milliarden Euro gesammelt werden für den Wiederaufbau des vor elf Wochen von einem Erdbeben zerstörten Haiti. 220.000 Tote mindestens, unzählige Verletzte, 1,3 Millionen Obdachlose. – Susanne Wahl ist Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) auf Haiti. Guten Morgen, Frau Wahl.

    Susanne Wahl: Guten Morgen!

    Spengler: Frau Wahl, am Anfang, unmittelbar nach dem Beben, stand die Notversorgung der Menschen mit Nahrung, mit Trinkwasser, mit Medikamenten im Zentrum der Bemühungen. Beschäftigt Sie das noch immer, oder worum geht es jetzt?

    Wahl: Es geht vor allem um die Ansiedlung der Menschen in sicheren Häusern. Momentan leben ja noch mehr als eine Million von Menschen in den Camps in der Hauptstadt und in deren Umgebung. Dabei gibt es unterschiedliche Camps, sehr gut ausgestattete, gut organisierte, wo es auch Spielmöglichkeiten, Lernmöglichkeiten für die Kinder gibt. Es gibt aber auch andere, die sehr erbärmlich aussehen und zwischen den Müllbergen angesiedelt sind. Die Regierung hat jetzt ein Dekret herausgegeben, in dem mehrere Grundstücke enteignet werden, die dann zum Wiederaufbau benutzt werden sollen.

    Spengler: Frau Wahl, es heißt, dass noch immer nicht genügend Zelte vorhanden seien, um für Hunderttausende eine notdürftige Unterkunft zu sichern vor der bald beginnenden Regenzeit. Woran liegt das?

    Wahl: Es liegt auch daran, dass es sicherlich schwierig ist, Zelte zu besorgen. Auf dem Weltmarkt, habe ich gehört, gibt es nicht mehr die guten Notzelte, das ist schwierig. Viele Leute haben sich aber auch beholfen mit irgendwelchen Plastikplanen, haben teilweise ihre alten Hütten notdürftig wieder aufgebaut, auch an Hängen, die ziemlich absturzgefährdet sind. Die Camps wie gesagt sind da, aber die Zelte reichen natürlich auch nicht aus gegen einen starken Regen. Es kommt trotzdem vor, wenn es jetzt ab und zu regnet, dass die Zelte, auch gute Zelte unter Wasser stehen.

    Spengler: Wie sieht es denn überhaupt derzeit auf Haiti aus? Sind irgendwelche Trümmer beseitigt, oder liegt das alles noch so da, wie wir das aus den Bildern vom Januar kennen?

    Wahl: Die meisten Trümmer und Ruinen stehen noch so da wie am Anfang. Es sind nur wenige Häuser richtig weggeräumt worden. Es gibt Hilfstrupps vor allem im Programm "Cash for Work" von den Vereinten Nationen, die die Trümmer beseitigen. Das machen sie aber vorwiegend mit Handarbeit und da können Sie sich vorstellen, dass das relativ lange dauert. Das Gute an diesen Trupps ist natürlich, dass die Leute auch was verdienen für ihre Arbeit, aber es wird sicherlich noch lange dauern, bis die ganzen Ruinen weggeräumt sind.

    Spengler: Das sind Trupps aus Einheimischen?

    Wahl: Es sind Trupps aus Einheimischen, meistens von der UN, aber auch von der EU und von anderen Hilfsorganisationen bezahlt, unter Vertrag genommen, Frauen wie Männer, die sowohl den Müll wegräumen, wie aber auch vor allem die Ruinen aufräumen.

    Spengler: Frau Wahl, gibt es denn überhaupt irgendjemand, der für Ordnung sorgt, oder herrscht dort das blanke Chaos?

    Wahl: Es herrscht nicht das blanke Chaos, das kann man nicht sagen. Im Gegenteil: Ich sehe immer wieder die langen Schlangen von Menschen, die sich anstellen um Lebensmittel in sehr, sehr organisierter Weise. Wir haben ja auch immer noch die amerikanischen und die kanadischen Truppen hier, es gibt die UN. Es herrscht nicht das blanke Chaos, das kann man nicht sagen, was aber nicht heißen soll, dass teilweise auch in den Camps es zu Vergewaltigungen und Überfällen kommt.

    Spengler: Es gibt Rechnungen, die sagen, diese drei Milliarden Euro, die man da in New York auf der Geberkonferenz heute sammeln will, die werden hinten und vorne nicht reichen, man bräuchte schon die Hälfte, allein um die Schuttberge zu beseitigen. Sehen Sie das ähnlich?

    Wahl: Ja. Es gibt den Aktionsplan für Wiederaufbau und Entwicklung, der von der haitianischen Regierung gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft erarbeitet worden ist, und dieser Plan sieht vor, dass der Wiederaufbau und auch die Entwicklung, das heißt eben auch landwirtschaftliche Produktion, Schulen, Gesundheitsfürsorge und so weiter, mindestens elf Milliarden US-Dollar benötigen.

    Spengler: Mal gesetzt den Fall, es käme dann über die Jahre zu diesen 11 Milliarden Dollar, wer soll, wer kann denn dann überhaupt den Wiederaufbau organisieren? Müsste das die UNO machen, oder die Weltbank, oder die haitianische Regierung, oder die USA?

    Wahl: Mit Sicherheit schafft es die haitianische Regierung nicht alleine. Es ist aber in diesem Aktionsplan vorgesehen, dass eine Kommission, eine Interimskommission für Wiederaufbau ins Leben gerufen werden soll. Diese Kommission soll dann auch bestückt sein durch Vertreter der Geberländer, der Weltbank und der UN, gemeinsam mit der haitianischen Regierung.

    Spengler: Und aus Ihrer Erfahrung heraus wäre das eine gute Idee?

    Wahl: Das ist die einzige Möglichkeit, weil alleine wird es die haitianische Regierung nicht schaffen.

    Spengler: Wenn nun eine gute Fee käme und Sie hätten einen Wunsch frei für Haiti, was würden Sie sich dann wünschen, Frau Wahl?

    Wahl: Ein sozial gerechtes und umweltfreundliches Haiti für die Menschen, die sehr fleißig sind und über die Jahre oder Jahrzehnte und Jahrhunderte gebeutelt worden sind von ihren Regierungen, dass diese Leute in Frieden arbeiten und leben können. Das würde ich mir wünschen.

    Spengler: Sagt Susanne Wahl, Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes. Die schlechte Leitung über Skype bitten wir zu entschuldigen. Frau Wahl, herzlichen Dank.

    Wahl: Gern geschehen. Auf Wiedersehen.