Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Ein Stück deutscher Zukunft"

Wir trauern vor diesem Toten um ein Stück deutscher Zukunft.

Von Andreas Meier | 29.10.2004
    Bundespräsident Theodor Heuss auf der Trauerfeier für Hermann Ehlers, der im Alter von 50 Jahren verstorben war. In den vier Jahren seit 1950 war er einer der wichtigsten und bekanntesten Politiker der Bundesrepublik geworden.

    Carlo Schmid:

    Als vor vier Jahren die Wahl eines neuen Präsidenten fällig wurde und die CDU den Abgeordneten Hermann Ehlers, Oberkirchenrat in Oldenburg, vorschlug, da wussten die wenigsten Menschen im Bundestag, wer denn dieser Mann eigentlich sei. Nur die Mitglieder des Haushaltsausschusses wussten, mit wem man es zu tun haben würde, nämlich mit einem ungewöhnlich intelligenten, kenntnisreichen, energischen, tatkräftigen, fleißigen Mann.

    Als Ehlers im Oktober 1950 zum Bundestagspräsidenten gewählt wurde, berichtete der RIAS, der Rundfunk im amerikanischen Sektor von Berlin:

    Bonn. Heute wurde von der deutschen Volksvertretung der zweite Bundestagspräsident gewählt. Wir sprechen mit Dr. Ehlers:

    Ehlers: Ich bin in Berlin geboren, bin in Berlin aufgewachsen, und freue mich, es zu sein.

    RIAS: Aber jetzt sind Sie Oldenburger geworden?

    Ehlers: Ich bin jetzt Oldenburger geworden und habe bisher meine Arbeit im Oberkirchenrat in Oldenburg in der Leitung der Verwaltung der oldenburgischen Kirche neben der Tätigkeit im Bundestag fortgesetzt und habe damit natürlich eine verhältnismäßig starke Doppelarbeit gehabt.


    Hermann Ehlers war am 1. Oktober 1904 in Berlin geboren worden. Er war national gesonnen, engagierte sich in der Jugendbewegung und war aktiv in den evangelischen Schülerbibelkreisen. Im Dritten Reich wurden die Bibelkreise auf Drängen Ehlers‘ aufgelöst, damit sie nicht von der Hitlerjugend gleichgeschaltet wurden. So wurden sie Teil der kirchlichen Gemeindejugend, und Ehlers und die Bibelkreisler engagierten sich in der "Bekennenden Kirche". Nach dem Untergang des Dritten Reiches und dem Kriegsende wurde Ehlers als Doktor der Rechtswissenschaften in die Leitung der Lutherischen Kirche Oldenburgs gewählt. Ein Jahr später trat er in die CDU ein. Als führender Vertreter des Protestantismus in der Bundesrepublik wurde er für die Union interessant – denn die sollte nach dem Willen Adenauers nicht nur eine katholische, sondern eine überkonfessionelle konservative Partei sein. 1949 zog Ehlers in den ersten Deutschen Bundestag ein, und als 1950 der erste Bundestagspräsident zurücktrat, wurde er in das repräsentative Amt gewählt.

    Ehlers im RIAS-Interview:

    Der Bundestagspräsident hat die Aufgabe, in seinem ganzen Handeln und Reden, so weit es irgend möglich ist, die Gesamtheit dieses Parlamentes zu repräsentieren.

    Auch wenn sich Ehlers durch seine ruhige und sachliche Sitzungsleitung rasch Ansehen im Bundestag erwarb, fiel es ihm schwer, sich immer politisch zurückzuhalten. Der RIAS berichtete nach seinem Tod:

    Manchmal hielt es den temperamentvollen Politiker Hermann Ehlers nicht auf seinem Präsidentenstuhl, auf dem er mit einer von allen Parteien anerkannter Objektivität seines Amtes waltete. Dann übergab er das Präsidium, nahm seinen Abgeordnetenstuhl in den Reihen seiner Fraktion ein und meldete sich zu Wort, um selber in die Debatte einzugreifen.
    Ehlers war ein Verfechter der deutschen Einheit. Er korrespondierte mit Freunden in der DDR; fuhr zu Kirchentagen und Synoden in Ost- und Westdeutschland und sprach auf dem gesamtdeutschen Kirchentag in Leipzig 1954 mit dem Präsidenten der DDR-Volkskammer, Johannes Dieckmann.

    Ich habe mich mit Herrn Dieckmann unterhalten über gemeinsame Bekannte, über sein Studium und über die Standorte unserer Wohnungen und habe ihn im Übrigen gefragt, wie die Praxis der Volkskammer in der Behandlung der Gesetze ist, wie viel Personal es in der Volkskammer gibt – es gibt dort keine Raumnot, weil es offenbar nicht sehr notwendig ist, praktisch an Gesetzen zu arbeiten. Ich habe mich auch nach der Ausschusspraxis erkundigt.

    Am 28. Oktober 1954 brach Ehlers in Hannover zusammen, wo er seine Kandidatur für die Landtagswahlen 1955 vorbereitete. Er wollte Ministerpräsident in Hannover werden und dann den alten Adenauer als Kanzler ablösen.

    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carlo Schmid zum Gedenken an Ehlers:

    Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass er Tag und Nacht in der Arbeit stand. Und wohl wenige Menschen in Deutschland haben in den letzten Jahren so viele öffentliche Reden gehalten wie er.