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Ein Teil des Lebens

Das Schweizer Vorhaben, den Sterbetourismus zu unterbinden, ist bei einigen Sterbehilfeorganisationen auf Kritik gestoßen. Der Schweizer Verein für Freitodbegleitung "Exit" bietet sich jedoch ohnehin in der Regel nur Sterbewilligen mit Wohnsitz Schweiz an.

Von Knut Benzner | 30.10.2009
    Den Freitod gibt es bei "Exit" nur auf Rezept, und die Urteilsfähigkeit muss durch einen Arzt überprüft werden. Alles ist in diesem Verein genau vorgeschrieben: Das Wasserglas wird mit einem aufgelösten Medikament - meist Natrium-Pentobarbital - gereicht. Der Sterbewillige muss es ohne fremde Hilfe trinken. Eine Aufnahmegebühr, wie bei "Dignitas", gibt es bei "Exit" nicht. Die Kosten zumindest sind überschaubar.

    Der Mitgliedsbeitrag bei "Exit" beläuft sich auf 35,- CHF pro Jahr, etwa 24,- Euro, die Mitgliedschaft auf Lebenszeit kostet 600,- CHF, 400,- Euro. Das ist nicht viel.

    "Nein, also, da ist auch die, wenn man eine Freitodbegleitung braucht, ist mit drin."

    Bernhard Sutter, 40, im Vorstand von "Exit", ehrenamtlich, Herausgeber des Mitgliedermagazins, unverheiratet, in Zürich aufgewachsen, bei "Exit" seit 2007, hauptberuflich Reisejournalist.

    "Wir legen unsere Zahlen komplett offen."

    Knapp 200 Menschen sterben mit "Exit" im Jahr, 179 waren es 2007, 94 Frauen, 85 Männer, Durchschnittsalter 75 Jahre. 87 Krebserkrankungen, 44 mal Altersmorbidität, vier Herzerkrankungen, sechsmal ALS (amyotrophe Lateralsklerose), zwei Hirnschläge, neun Menschen mit multipler Sklerose, acht mit Parkinson, drei Schmerzpatienten, eine psychisch kranke Person, eine beginnende Demenz, ein mal HIV, 13 weitere mit diversen schweren und absehbar tödlichen Krankheiten.

    Im Aufenthaltsraum - eine Kaffeemaschine, ein langer Tisch, eine Küchenzeile, die Speisekarte eines Pizza-Bringdienstes an der Wand, Ausblick in den Garten und auf eine Kirche -, im Aufenthaltsraum der Geschäftsstelle von "Exit". Zürich, Stadtteil Albisrieden, ein Wohnviertel, westlich der Innenstadt. Ein einfaches, weißes, vierstöckiges Doppelhaus, die rechte Hälfte.

    "Das ist Herr Borter, er ist Freitodbegleiter."

    Paul David Borter. Freitodbegleiter seit Januar 2006.

    Wie ist das?

    "Hier zu arbeiten? Eine persönliche Bereicherung in dem Sinne, dass Sie mit Menschen arbeiten, die in einer Extremsituation sind. Das ist eigentlich ein Privileg, weil sich durch das wahnsinnig viele schöne Begegnungen einstellen, Teil sein kann von dieser Extremsituation wie eine Art Geburtshelfer auf der anderen Seite."

    Paul David Borter ist ein ausgeglichener, ein Vertrauen erweckender, ein ruhiger, 31 Jahre junger Mann. Keine Albträume:

    "Nein, definitiv nicht. Aber was Sie, wenn Sie das Thema ansprechen, was sicher ist, dass man - die Nacht vorher ist speziell, also man geht mit, ja. Die Begleitung fängt in dem Sinne viel früher an und wenn sie dann auf die Endphase zugeht, ist die Nacht vor der Begleitung keine gute Nacht, wenn Sie so wollen."

    Unruhe, Anspannung, Nervosität, Unrast.

    "Das ist das Büro der Leiterin Freitodbegleitung, Heidi Vogt."

    Die in ihren zwei Jahren "Exit" 30 Menschen in den Tod begleitet hat.

    "Also der Mensch nimmt das Medikament ein, die Atmung setzt langsam aus, und mit der Zeit schlägt auch das nicht mehr. Und dann stelle ich den Tod fest, und dann können die Angehörigen alle diese Schritte machen, die dann notwendig sind: Den Todesfall melden, die Kremation vorbereiten und was halt dann so passiert."

    Gestorben wird mit "Exit" in der Regel zu Hause, da wie bereits erwähnt ein Schweizer Wohnsitz obligat ist. Ein Sterbezimmer gibt es in den Geschäftsräumen in Zürich-Albisrieden dennoch. Bernhard Sutter, das Vorstandsmitglied, kommt zum letzten Teil seiner Führung:

    "Also, das ist das Sterbezimmer."

    20 Quadratmeter.

    "Wie Sie sehen mit schönem Licht, das man dämmen kann, das man auch individuell einstellen kann."

    Eine kleine Stereoanlage.

    "Es gibt Vorhänge, es gibt Bilder, es gibt Blumen, es ist alles auf Ruhe ausgelegt."

    Zwei helle Sessel auf einem Perserteppich, ein Tischchen, ein weiß bezogenes Bett - das Sterbebett - mit grauer Stahlumrandung, eine Stehlampe, zwei Kerzen.

    "Ist das okay?"

    Das ist okay. Was ist der Tod für ihn?

    "Für mich persönlich? Ein Teil des Lebens."