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"Ein Teil ist natürlich immer Spekulation"

Mancher Autofahrer reibt sich an der Zapfsäule in diesen Tagen wohl erschrocken die Augen: die Benzinpreise liegen auf Rekordniveau. An mögliche Preisabsprachen in der Kraftstoffbranche glaubt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung allerdings nicht.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Stefan Heinlein | 15.03.2010
    Stefan Heinlein: Auch wenn die Prognosen für die nächsten Tage weiter eher Winterwetter vorhersagen, Ostern steht vor der Tür und in vielen Bundesländern beginnen schon bald die Ferien - Auftakt für die erste große Reisewelle des Jahres. Wer dann mit dem Auto unterwegs ist, muss tief in die Tasche greifen. Die Spritpreise sind auf Rekordniveau, obwohl Rohöl derzeit deutlich billiger zu haben ist als noch vor Jahren. Verbraucher- und Automobilverbände schlagen deshalb Alarm, sie wittern erneut Preisabsprachen. Es gibt Forderungen nach staatlichen Höchstpreisen an den Zapfsäulen, doch die Industrie wehrt sich. Funktioniert der Wettbewerb an den Tankstellen? Darüber möchte ich jetzt reden mit der Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen, Frau Kemfert.

    Claudia Kemfert: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Wucherpreise und Abzocke an den Tankstellen, stimmen diese Vorwürfe der Automobilverbände?

    Kemfert: Na ja, die Preise sind natürlich schon sehr hoch, das ist richtig. Das liegt aber in erster Linie daran, dass die Preise an der Rotterdamer Börse sehr hoch sind, es liegt daran, dass wir nicht genügend Raffineriekapazitäten gerade in den USA haben und die Amerikaner regelrecht auf dem europäischen Markt gerade zu Reisebeginn, gerade im Frühjahr – das beobachten wir immer wieder – den europäischen Markt fast leerkaufen. Das bringt bei uns die Preise nach oben und deshalb auch die Diskrepanz. Der Ölpreis ist ja relativ niedrig, jedenfalls im Vergleich zu vor zwei Jahren, als die Spritpreise schon mal sehr hoch waren.

    Heinlein: Also sind die Amerikaner schuld, dass bei uns in Deutschland die Spritpreise hoch sind?

    Kemfert: So ungefähr. Natürlich ist es so, dass die Mineralölkonzerne insgesamt zu wenig in die Raffineriekapazitäten investieren. Es lohnt sich schlichtweg für sie nicht. Daran müsste man arbeiten und das wäre auch eine Aufforderung, die wir an die Mineralölkonzerne hätten.

    Heinlein: Wird die Zahl der Raffinerien von den Konzernen bewusst niedrig gehalten, damit der Preis hoch bleibt?

    Kemfert: So direkt kann man das leider nicht feststellen, aber es ist natürlich eine Vermutung, gerade deshalb, weil natürlich die Preise im Moment sehr hoch gehen und damit auch die Margen für die Konzerne ganz gut sind, insbesondere deshalb, weil sie im letzten Jahr oder gerade auch zur Wirtschaftskrise sehr niedrig waren und die Konzerne natürlich versuchen, auch ihre Gewinnmargen zu optimieren. Das können sie immer dann, wenn insbesondere die Nachfrage sehr hoch ist, und dadurch, dass es nicht genügend Raffineriekapazitäten gibt, dann dementsprechend die Preise auch sehr hoch sind. Das ist etwas, was die Konzerne, glaube ich, nicht ganz so schlecht finden.

    Heinlein: Hohe Nachfrage, sagen Sie, aber wir erleben doch derzeit eine Wirtschaftskrise. Die Nachfrage müsste doch eher geringer sein als in den vergangenen Jahren.

    Kemfert: Ja, sie steigt wieder und insbesondere ist es auch so, dass man erwartete Preise immer wieder auch an der Börse sieht. Das ist beim Ölpreis ja vor einiger Zeit auch so gewesen und dadurch, dass man annimmt, dass die Konjunktur sich wieder belebt und auch wieder hier die Nachfrage steigen wird, dadurch entwickeln sich die Preise an der Börse. Gerade zu Reisebeginn in Amerika und auch in Europa ist es so, dass die Nachfrage nach Benzin deutlich zunimmt, zumindest im Vergleich zu der Zeit davor.

    Heinlein: Sie sagen, erwartete Preise. Also alles eine Folge von Spekulantentum?

    Kemfert: Ein Teil ist natürlich immer Spekulation. Man kann das sehr schwer herauskristallisieren, was jetzt eindeutig Spekulation ist. Aber natürlich spielt die Psychologie an der Börse immer auch eine Rolle und dadurch, dass man jetzt weiß, dass die Konjunktur zumindest ihre Talfahrt überschritten hat, denkt man, dass entsprechend die Preise auch wieder nach oben gehen werden, und das bringt dann die Benzinpreise an der Rotterdamer Börse nach oben.

    Heinlein: Sie haben, Frau Kemfert, die Gewinnmargen der Konzerne erwähnt. Ist denn der aktuelle Spritpreis von 1,40 Euro für den Liter Benzin aus Ihrer Sicht gerechtfertigt, oder wie viel Gewinn ist darin beinhaltet?

    Kemfert: Er ist ein Resultat tatsächlich der hohen Benzinpreise an der Rotterdamer Börse. Insofern ist er gerechtfertigt und kann nicht jetzt nur auf den Ölpreis zurückgeführt werden. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Margen, die jetzt in der Vergangenheit gerade im letzten Jahr für die Mineralölkonzerne gering waren, jetzt etwas höher sind. Insofern ist das ein Resultat auch des Marktes. Man kann aber nicht sagen, dass es Preisabsprachen sind, oder kein Wettbewerb dort ist. Man hat ja Studien, auch das Kartellamt hat Studien angefertigt, die diese Preisabsprachen sich angeschaut haben, und festgestellt, es gibt sie nicht. Man muss das natürlich wiederholen, aber es ist insofern natürlich eine aus Autofahrersicht unliebsame Entwicklung, aber aus Mineralölsicht auch durchaus eine Entwicklung, die wir immer im Frühjahr sehen.

    Heinlein: Keine Preisabsprachen, Frau Kemfert, da sind Sie sich sicher. Nun gibt es aber dennoch politische Forderungen nach staatlichen Höchstpreisen für Benzin. Muss der Staat den Markt regulieren in diesem Bereich?

    Kemfert: Nein. Das halte ich für völlig falsch, dass man hier den Preis versucht festzuschreiben. Der Markt muss natürlich funktionieren, gar keine Frage. Man muss sicherstellen, dass es kein diskriminierendes Verhalten gibt oder Marktmissbrauch, was das Kartellamt ja auch regelmäßig macht. Was aus politischer Sicht absolut sinnvoll wäre ist, dass man sich auch darauf vorbereitet, dass wir wegkommen vom Öl und wegkommen vom Benzin. Wir müssen ja ohnehin damit rechnen, dass in den nächsten zehn Jahren die Preise sehr, sehr stark weiter ansteigen werden aus unterschiedlichsten Gründen, und deshalb kann man nicht fordern, dass dann automatisch Benzin immer gleich niedrig bleibt. Das geht nicht. Wir müssen auf andere Alternativen umsteigen, zum Beispiel die Elektromobilität. Das wäre auch eine politische Aufgabe, das zu fördern. Elektrowagen beispielsweise sind zwar in der Anschaffung derzeit noch sehr viel höher, aber im Vergleich zu Benzin wären sie sehr viel preisgünstiger und das ist ja etwas, was auch für die Bürger und für die Verbraucher attraktiv wäre.

    Heinlein: Sie sind gegen staatliche Regulierungen. Dennoch: in Luxemburg, wenn ich richtig informiert bin, gibt es ja staatliche Höchstpreise für Benzin.

    Kemfert: Ja, das ist natürlich politisch immer eine Frage, wie das dort umgesetzt wird. Luxemburg ist ein kleineres Land. Für Deutschland ist es absolut nicht sinnvoll, jetzt auch in Europa, staatliche Höchstgrenzen festzulegen. Wie gesagt, wir müssen wegkommen vom Benzin, von dem Verbrennungsmotor, und das ist eine politische Aufgabe, das auch zu unterstützen, damit die Verbraucher auch dauerhaft mobil bleiben, auch individuell mobil bleiben. Elektromobilität ist hier eine Antwort, die dann auch noch deutlich preisgünstiger wäre.

    Heinlein: Was kann denn der einzelne Verbraucher unternehmen, um die Preispolitik der Konzerne zu beeinflussen, wenn schon der Politik die Hände gebunden sind?

    Kemfert: Der einzelne kann natürlich immer schauen, sich umschauen, wo jetzt preisgünstigere Angebote sind. Es gibt ja durchaus Wettbewerb auch zwischen den Tankstellen und man sieht, dass es deutliche Preisdifferenzen gibt. Es gibt auch immer Tendenzen, gerade zum Wochenende, wo man sieht, dass die Preise noch mal deutlich ein bis zwei Cent nach oben gehen. Auch da könnte man ja die Verbraucher motivieren, dass sie aufpassen und nicht jetzt gerade zu Höchstpreisen immer tanken. Der Wettbewerb ist da und der Verbraucher muss sich dort auch entsprechend umschauen.

    Heinlein: Also zusammengefasst, Frau Kemfert: wer Freitags oder Samstags bei Markentankstellen und nicht bei freien Tankstellen tankt, ist selber mit schuld an den hohen Preisen?

    Kemfert: Ja. Zumindest könnte er Geld sparen, wenn er genau dies nicht tut.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich danke ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kemfert: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!